Redensarten Lexikon
Bär
Die verschiedenen Eigenschaften des Bären, seine Stärke und Schwerfälligkeit, seine unbeholfene Drolligkeit haben in vielen redensartlichen Vergleichen Ausdruck gefunden. Ein großer starker Mensch ist Ein Kerl wie ein Bär, ein ›Bärenkerl‹; auch mundartlich belegt, ›n Kerl as'n Boar‹ in der Mark Brandenburg; ostpreußisch: ›de is wie e Boar‹: strotzend vor Gesundheit und ›de heft Krefte wie e Boar‹.    Weniger schmeichelhaft heißt es in Bremen und Umgebung von einem rauhen, plumpen Menschen, ›he is een Baar‹. Fällt jemand durch linkisches Benehmen auf, dann sagt man in Nordostdeutschland: ›Der ös so tolpatschig wie e Boar‹: ungeschickt.
   Den belustigenden Eindruck, den der Bär durch seine Tapsigkeit hervorruft, gibt die schweizerische Redensart wieder: ›Er isch e Bäremani‹: ein gutmütiger, im Denken und Handeln etwas schwerfälliger Mensch. Auch ist der Bär ein vergleichsweise harmloses Raubtier, das – wenigstens im Märchen (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 161: Schneeweißchen und Rosenrot) – keinem Kinde etwas zuleide tut. Aber gerade seine liebenswerten Eigenschaften machen ihn in der Volkserzählung zum erkorenen Opfer seines gerissenen Begleiters, des Fuchses.
   Von einem mürrischen Menschen sagt man: Er brummt wie ein Bär; man nennt ihn ›Brummbär‹ oder ›Bärbeißig‹; und in den Mundarten, nordostdeutsch: ›bromm doch nich wie e Boar!‹ Ähnlich ist es in der Bibel bezeugt: »wir brummen alle wie die Bären« (Jes 59, 11). Für die Gemütslage übellauniger Menschen verfügt die Sprache über verwandte Formulierungen, beispielsweise schleswig-holsteinisch ›He maakt n Gesicht as'n Bar‹: grimmig. ›Er ist wie ein Bär, er trauert, wenn schön Wetter ist‹, damit meint man einen, der durch heiteres Wesen anderer verstimmt wird.
   Verbreitet sind auch die Wendungen Er schläft wie ein Bär und in Ostpreußen: ›he schleppt wie e Boar‹: fest schlafen, Anspielung auf den Winterschlaf des Tieres. Dazu kommt Einen Bärenhunger haben, letztere schon im 13. Jahrhundert bei Reinmar von Zweter. Vgl. dagegen französisch ›une faim de loup‹ (Wolfshunger).
   Ein ungeleckter Bär: ein ungehobelter, grober Geselle, ist in ähnlicher Form vielen europäischen Sprachen bekannt, z.B. französisch ›un ours mal léché‹; niederländisch ›het is een ongelikte beer‹. Die Redensart stammt aus dem bereits im Altertum bezeugten Volksglaubens, der Bär werde als gestaltloses unförmiges Stück Fleisch geboren und erst durch die Mutter in die richtige Form geleckt.
   Die Emblematik des 16. und 17. Jahrhunderts ward nicht müde, das dankbare Thema der mütterlichen Fürsorge der Bärin, ins Pädagogische gewendet, zu variieren. Steht doch bei Demokrit: ›wer soll den Bären lecken‹: wer soll die schwere Kulturarbeit ausführen? Nach den ›Centurien‹ (1615), den Emblembüchern des Joachim Camerarius, ist die Kunst mächtiger als die Natur. Sehr abgesunken erscheint das erzieherische Anliegen der Renaissance in der modernen saloppen Feststellung: ›Dich hat der Bär geleckt‹: du hast schlechten Umgang gehabt oder: du bist aus keinen guten Händen gekommen.
   Der Glaube an die verwandelnde Kraft der Kultur (›die alle Welt beleckt‹) geht auch durch die Dichtung. Die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts bietet zahlreiche Belege für die Wendung (zuerst bei Gottsched 1752). Jean Paul gebraucht sie z.B. 1795 in ›Quintus Fixlein‹: »Ein Opus, das, wenn ich es eben hinwerfe, gleich einem neugebornen Bären noch größer ist als eine Ratze, leck ich mit der Zeit zu einem breiten Landbären auf«.
   Die zoologische Merkwürdigkeit findet sich bei H. Heine. Er schreibt von einem »deutschen Edelmann, dem diese Künste in der bärenleckenden Lutetia mühsam eingeübt worden«: der in Paris unter Schwierigkeiten etwas dazugelernt hatte (H. Heine, ›Reisebilder‹ [1830]).
   An die lustigen Tanzbären der Jahrmärkte ist in den folgenden Redensarten gedacht: Tanzen wie ein Bär: unbeholfen tanzen; oft auf Menschen angewendet, ›Er macht lauter Bärensprünge‹: tanzt blind, ist ein plumper, ungelenker Tänzer.
   Den Bären machen: zu niedrigen Dienstleistungen mißbraucht werden; der Jahrmarktsbär hatte zu tanzen, sooft es der Bärenführer befahl. Für die sinnbildliche Darstellung der beginnenden Neuzeit war dies ein beliebtes Thema. So erscheint der Bär in den ›Emblemata moralia & bellica‹ (1615) des Jacob von Bruck: der Bärenführer mit Peitsche und Kette, dessen Geschöpf nach seiner Pfeife tanzen muß, versinnbildlicht die wohltätige Macht des Fürsten über das ohne seine Leitung zügellose Volk.
   Aber nicht immer gelingt es, ›Einem Bären den Ring durch die Nase zu ziehen‹: ihn zu zähmen. schleswig-holsteinisch: ›He is tagen as'n Bar‹: ohne Erziehung – oder in Nordostdeutschland ›dem oole Baare ös schlömm danze lehre‹: die Versäumnisse der Jugend bleiben meist irreparabel, aber auch unentschuldbar, ›Lernt doch ein Bär tanzen‹: Erziehung und Schule bilden selbst minder begabte Kinder. Rheinisch heißt ›den Bären machen‹ allerdings: in einer lustigen Gesellschaft der Ausgelassenste sein; oder auch: ›Den Bären loslassen‹: den Ausbrüchen der Lust und des Mutwillens, aber auch den wilden Leidenschaften die Zügel schießen lassen; schweizerisch: ›er thued beret‹: benimmt sich wild und ungezogen; niederländisch: ›Hij laat den beer los‹; ›Die machen de Bär mit dir‹, sie halten dich zum Narren. Süddeutsch kennt man schließlich noch ›den Bären tanzen lassen‹, Spektakel machen, vgl. französisch ›jouer au montreur d'ours‹ (wörtlich: als Tierbändiger auftreten) und ›Den Bärenführer spielen‹, den Fremdenführer machen.
   Einen Bärendienst erweisen: eine unzweckmäßige Hilfeleistung geben, jemandem ungewollt Schaden; eine Redensart, die aus der Volkserzählung erklärt wird. L. Göhring denkt an den Schwank vom Einsiedler und seinem jungen gezähmten Bären: Um die Mücken zu verjagen, die den schlafenden Einsiedler belästigen, wirft der Bär mit einem Stein auf sie, wodurch er die Mücken vertreibt, aber zugleich den Einsiedler tötet. Fabel wie Redensart sind europäisch weit verbreitet.
   Allgemein bekannt war die Wendung Er ist ein Bäranbinder: ein Flausenmacher; französisch: ›C'est un donneur de bourdes‹.
   Für die aus dem 17. Jahrhundert erstmals belegte Redensart Einen Bären anbinden: Schulden machen (besonders im Wirtshaus), sind verschiedene Deutungen vorgeschlagen worden. Grimmelshausen verwendet sie im ›Simplicissimus‹ (I, 289) im Sinne von einer durch nichts gerechtfertigten, leeren Prahlerei.
   Ostpreußisch: ›er hat einen guten Bären brummen‹: er hat Schulden u.: ›die Bären brummen‹: die Gläubiger wollen bezahlt sein.
   Recht unglaubwürdig ist die Erklärung, die J.L. Frisch 1741 in seinem ›Teutsch-Latein-Wörterbuch‹ (I, 61c) gibt: »einen Bären anbinden, oder anlegen ... Heißt Schulden machen, deren Glaubigern man immer richtige Zinse bringen muß, oder sie brummen«.
   Am wahrscheinlichsten ist die von Schütze (Holsteinisches Idiotikon, 54) und Müller-Fraureuth (Obersächsisches Wörterbuch I, 62) gegebene Erklärung: Bär sei mißverstandenes mitteldeutsches und niederdeutsches ›Bere, Bäre‹ = Abgabe.
   Ähnlich erklärt Müller-Fraureuth die Redensart Einen Bären aufbinden: aufschneiden, weismachen, aus einem Mißverständnis des Wortes Bär = Last, vgl. bern = tragen; mittelhochdeutsch bér = Schlag.
   Auffällig scheint, daß die Grenzen der Anwendung beider Redensarten lange Zeit hindurch fließend waren. Adelung bringt um 1800 für ›Den Bären anbinden‹ sowohl die Schuldenversion als auch die letztgenannte Bedeutung, läßt diese – das »einem etwas weismachen« – aber nur für Österreich gelten. Dagegen findet sich auch, ›Mir einen solchen Bären aufzubinden‹: solche Schulden aufzuhalsen, dazu das Sprichwort: ›Es ist besser einen Bären loslassen als einen Bären anbinden‹: besser Schulden bezahlen als machen.
   Das Bären-aufbinden nach heutigem Sprachgebrauch findet sich erstmals 1663 in J.B. Schupps Schriften. Unter Beiziehung von Luther- und Gryphiuszitaten hält Trübner die Wendung für eine Übertragung des lateinischen imponere = den Leichtgläubigen täuschen. Doch ist vielleicht auch an den richtigen Bären und an eine Herleitung der Redensart aus der Jägersprache zu denken. Schon mittelhochdeutsch bezeugt ist die Wendung ›ich hete senfter einen bern zu dirre naht gebunden‹, woraus sich ergibt, daß man es als besonders schwer ansah, einen Bären zu fesseln. Wenn nun ein Jäger mit seinem Latein andern eine Jagdgeschichte aufbinden wollte, so konnte er sich einer solchen Heldentat rühmen. Darauf deutet schon 1668 die Stelle im ›Simplicissimus‹ (I, 289): »daß ich ihnen, wenn ich nur aufschneiden wollen, seltsame Bären hätte anbinden können«. Später ist ›anbinden‹ durch ›aufbinden‹ ersetzt worden, vermutlich, um eine Verwechslung mit ›einen Bären anbinden‹ (= Schulden machen) zu vermeiden.
   Sinnfällig erscheint die Redensart auch in der Negation, ostpreußisch: ›De lett sick nich inne Boarestall bringe‹: dem ist nichts weis zu machen; und es mag ihm doch geschehn sein, »dasz er sich abendlicht für morgenlicht (hat) aufbinden lassen« (Jean Paul, ›Der Komet‹ [1822] 3,122).
   ›Dä well all de Boare binge (binden)‹, sagt man in Nordostdeutschland von einem Menschen, der alles wissen und erreichen möchte. Kaum noch gebräuchlich dürfte die früher häufig (so bei Hans Sachs) belegte Wendung sein, Den Bären treiben: den Kuppler, Gelegenheitsmacher spielen. Sie rührt wohl aus der Geringschätzung her, die das Mittelalter dem fahrenden Volk entgegenbrachte.
   Aus dem reichen Erfahrungsschatz von Predigern und Gewissensräten stammt Dem Bären ins Ohr blasen: unter Lebensgefahr die Wahrheit aussprechen.
   Es ist ihm noch kein Bär in den Weg gekommen: er weiß nichts von Anfechtung.
   Sucht jemand lange vergeblich nach einem Gegenstand, der ihm geradezu in die Augen springen müßte, heißt es: Wenn es ein Bär wär, würde er dich beißen; englisch: ›If it were a bear, it would bite you‹.
   Weniger gefährlich taucht der Bär in Redensarten auf, die Verblüffung und Verwunderung ausdrücken: Ja, daß dich der Bär herze!, 1631, nach einer wahren Begebenheit bezeugt; oder: ›Eck docht, mi klaut der Boar‹: als Ausdruck der Überraschung, aber auch des Geschmeicheltseins (in Nordostdeutschland).
   Der Volksglaube verbietet es, an ein bereits angezogenes Kleid hinten noch etwas anzunähen und sagt, wie entschuldigend: ›Denn klaut mi der Bar‹.
• WANDER I, Spalte 230-233; H. SCHRADER: Bilderschmuck, S. 218 ff.; RICHTER-WEISE, Nr. 8; BOLTE-POLIVKA II, S. 427-435; W.E.:. PEUCKERT: Artikel ›Bär‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens I, Spalte 881-905; A. TAYLOR: Proverb, S. 187; GÖHRING, S. 18-21; RAAB, S. 22-34; KÜPPER; BÜCHMANN; Bären anbinden, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 21 (1907), S. 526; A. HENKEL und A. SCHÖNE (Hrsg.): Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts (Stuttgart 1978), Spalte 441f., 447; H.J. PAPROTH: Artikel ›Bär, Bären‹, in: Enzyklopädie des Märchens I, Spalte 1194-1203; J. LEIBBRAND: Speculum Bestialitatis (Diss. Freiburg i. Br. 1986) (München 1989), S. 95 ff.

Ein ungeleckter Bär. Holzschnitt, aus: From Thronus Cupidinis sive Emblemata Amatoria P.T.L. Excudit Crispyn de Passe, 1596 Aus: Mario Praz: Studies in Seventeenth-Century Imagery, 2. E. Roma 1964, S. 118, Abbildung 38.

Tanzen wie ein Bär. T. Severyn: Staropolska, Grafika ludowa, Warszawa 1956, S. 112.

Den Bärenführer spielen. Illustration von Gustave Doré zu Hippolyte Taine: ›Voyage aux Pyrénées‹, Paris 1860, aus: G. Doré, Bd. I, S. 360.

Einen Bärendienst erweisen. Grandville: G.W.,
   Bd. I, S. 141.

Einen Bären anbinden. Detail aus: ›Die zehen Wirthshaus-Gebote‹, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 1030, aus: S. und K., S. 117.

Einen Bären aufbinden. Karikatur von Haitzinger, 77: DER SPIEGEL, Nr. 46, 1977, S. 160.
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