Redensarten Lexikon
Ast
Sich den eigenen Ast absägen oder (selbst) den Ast absägen, auf dem man sitzt: sich selbst empfindlichen Schaden zufügen, sich selbst eine wichtige Bedingung von Leben und Tätigkeit zerstören.    Die Redensart ist umgangssprachlich und mundartlich allgemein verbreitet. Schon das Lateinische hat dafür verwandte Bilder, z.B. bei Cicero: »navem perforare, qua quis ipse naviget« (das eigene Schiff durchlöchern); bei Horaz: »vineta sua caedere« (die eigenen Weingärten abschneiden); bei Tibull: »messes suas urere« (die eigene Ernte verbrennen). Die unsinnige Handlung, den Ast abzusägen, auf dem man gerade sitzt, bildet den Inhalt der Schwankerzählung vom ›Ast absägen‹ (Aarne-Thompson 1240). Der Schwankheld ist unfähig, mit dem Fall des Astes auch seinen eigenen Sturz vorauszusehen.
   Ast ist auch im Volksmund ein geläufiges Bild für Buckel; daher Einen Ast haben: einen Buckel haben; Etwas auf den Ast nehmen: etwas auf den Buckel bzw. auf die Schulter nehmen. Auch die Redensart Sich einen Ast lachen: heftig lachen, hängt mit dieser Bedeutung von Ast zusammen: so sehr lachen, daß man dabei aussieht, als hätte man einen Ast, d.h. Buckel. Die Redensart ist seit 1850 belegt, vgl. französisch ›rire comme un bossu‹. Berlinisch wird die Redensart komisch erweitert zu: ›Ik lach mir'n Ast un setz mir druff!‹, auch ausgedehnt zu einem Vers:

   Gibt dir das Leben mal 'nen Puff,
   Verziehe keine Miene!
   Lach dir 'nen Ast und setz dich druff
   Und bammle mit die Beene!

Oder (mit Wortspiel zwischen ›grienen‹ und ›grünen‹): ›Man lacht sich 'n Ast un jrient 'n an‹. Das Schnarchen hört sich gelegentlich so an, wie wenn ein Ast durchgesägt werden müßte; so rheinisch ›Wat hot de en dicke Ast, de kimmt gar nit dorich!‹
   Auf keinen grünen Ast kommen Zweig.
   Sich auf dem absteigenden Ast befinden: über den Höhepunkt hinaus sein, so daß es bergab geht. Diese Redensart bezieht sich auf den Brauch, den Stammbaum eines Geschlechtes darzustellen. Bei Eheschließung zwischen Blutsverwandten tritt Ahnenverlust ein. Die Familie kommt auf den absteigenden Ast.
   Jemandem die Äste stumpfen: ihn hart bestrafen, ihm auch seine Entwicklungsmöglichkeiten begrenzen, vgl. ›jemandem die Flügel beschneiden‹.
   Die Redensarten Den dürren Ast kiesen (wählen) und Auf dem dürren Ast sitzen: alle Freude fliehen und sich ganz der Trauer um einen entfernten oder verstorbenen lieben Menschen hingeben und ihm für immer die Treue halten, beziehen sich auf die im Mittelalter besonders beliebte Taubensymbolik. Konrad von Megenberg schreibt in seinem ›Buch der Natur‹ (S. 225f.) darüber: »Turtur haizt ain turteltaub ... diu si hat irn gemahel liep und helt im allain trew, also vil, daz si ir kain ander liep nimt, wenn er gestirbt. und wenn sie witib ist, so fleugt sie neur auf die dürren est der paum und waint und ist traurig und singt niht ... Pei der turteltauben versten ich ain rain pider weip, diu allein irm ainigen liep trew helt und ist gedultig mit allen weipleichen zühten.«
   In Wolframs von Eschenbach ›Parzival‹ (57, 10 ff.) heißt es von Sigune, dem Urbild der Treue:

   Der jamer gap ir herzen wic,
   ir freude vant den dürren zwic,
   als noch diu turteltube tuot.
   Diu het ie denselben muot:
   swenn ir an trutscheft gebrast,
   ir triwe kos den dürren ast.

Außerdem ist die Taube auf dem dürren Ast das Gralszeichen.
   Der ›Ackermann aus Böhmen‹ klagt nach dem Verlust seiner Frau (III. Kapitel, Z. 19f.): »Bei trübem getranke, auf dürrem aste, betrübet, sware und zeherend beleibe ich und heule one underlaß!«
   Auch im Volkslied lebt dieses Bild von der Taube auf dem dürren Ast als Symbol treuer Liebe und Trauer um den verlorenen Geliebten fort. In der ›Liebesprobe‹ (Straßburger Liederbuch von 1592) sagt das treue Mädchen dem unerkannten Geliebten:

   Da hatt man im ein jüngfrewlin geben
   So will ich beweinen mein leben
   Vnd mir nemmen ein eynigen muth,
   Gleich wie das turteltaeüblein thutt.
   Es fleügt wol auf ein dürren nast,
   Bringt vns ja weder laub noch grass ...

Etwas ist nicht ganz astrein: eine Sache ist nicht in Ordnung, nicht im Sinne des Gesetzes; eigentlich: wie ein Brett mit Astlöchern.

• A. HOSTETTLER-FREUDENBERG: ›Die Liebesprobe‹. Monographie einer Volksballade (Diss. Middelburg/ Nl. 1969); H. LIXFELD: Artikel ›Ast absägen‹, in: Enzyklopädie des Märchens I, Spalte 912-916.}

Sich den eigenen Ast absägen. Karikatur von Geisen, Badische Zeitung, Nr. 74, vom 31.3.1978, S. 4.
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