Redensarten Lexikon
abspeisen
Einen abspeisen: sich jemandem gegenüber geizig zeigen, jemandem eine unbefriedigende Antwort geben, einer Bitte in unbefriedigender Weise entsprechen, jemanden unverrichteter Dinge wieder gehen lassen, abfertigen.    Wahrscheinlich bezieht sich die Redensart auf einen alten, aber bis heute üblichen Brauch bei der Brautwerbung. Der Freier, der das Einverständnis seines Mädchens bereits besitzt, erhält die endgültige Antwort, ob er auch ihrer Familie willkommen ist, bei einer gemeinsamen Mahlzeit. Eine bestimmte Speise, die ihm gereicht wird, gilt als Symbol der Aufnahme in die Familie oder als Abweisung. Diese Speisen haben in verschiedenen Landschaften oft sogar entgegengesetzte Bedeutungen. So spielt z.B. in der Schweiz der meistens viele Jahrzehnte aufbewahrte ›Familienkäse‹ eine wichtige Rolle. Nur bei besonderen Anlässen wird von ihm gegessen. Darf auch der Freier von ihm kosten, ist er damit symbolisch in die Familie aufgenommen worden. Dagegen lehnt man in Hessen und auf dem Hunsrück einen Freier ab, wenn man ihn statt mit Wurst und Schinken nur mit Käse ›abspeist‹. Meistens bedeutet in Deutschland und Österreich ein Gericht mit Eiern eine gute Antwort, Bayern kennt dafür sogar den Ausdruck ›Ja-Gerichte‹, in Frankreich jedoch gelten gekochte Eier als Symbol einer Absage, da sich die Lebenskeime, die die Eier enthielten, ja nun nicht mehr entwickeln können. Tischte man in Oldenburg Rüben oder Kartoffeln, in Thüringen Wurst, im südl. Westfalen ein geschmiertes Butterbrot oder im Nassauischen Zwetschgenmus auf, bedeutete dies eine unzweifelhafte Absage. Der Freier wurde also einfach ›abgespeist‹, Begründungen und Erklärungen hielt man für überflüssig. Daß die jungen Leute damit nicht immer einverstanden waren, zeigt die Äußerung: Ich lasse mich doch nicht einfach abspeisen!, die heute meistens in übertragener Bedeutung (Mit Worten abspeisen) gebraucht wird; vgl. französisch ›Je ne m'en laisserai pas conter‹; wörtlich: ›Ich lasse mir keine Märchen erzählen‹.
   Auch ein Zusammenhang mit der früher üblichen Armenspeisung ist denkbar. Lästige Bittsteller wurden zwar gespeist, aber danach sofort weggeschickt.
   Die Redensart ist bereits im 16. Jahrhundert gut bekannt, Kirchhoff gebraucht sie im ›Wendunmuth‹: »hinfurter wolter keinen armen mehr so schmal abspeisen«, und auch Hans Sachs ist sie nicht fremd. Bei J.E. Schlegel finden wir: »Glauben Sie nicht, daß ich mich mit einer solchen Antwort abspeisen lasse« (Werke, ed. J.H. Schlegel [1761-70], II, 374); ähnlich bei Goethe: »Da wollt er mich mit leeren Worten abspeisen«. In Schleswig-Holstein sagt man von einem, der seinem Gast weder Essen noch Trinken angeboten hat: ›De hett mi mit drögen Mund afspiest‹.
   Jemanden abspeisen bezeugt Adelung (1793) auch im Sinne von ›Jemandem das Abendmahl reichen‹ (Bd. I, S. 111). In dieser Bedeutung erscheint der Ausdruck auch in Depinys ›Österreichischem Sagenbuch‹, S. 278, Nr. 361: »Ein Frevler ließ sich in der Michaelerkirche in Steyr an einem Tag zehnmal abspeisen. Der Teufel holte ihn bei lebendem Leib und fuhr mit ihm durch die Mauer, das Loch ist noch zu sehen«.
   In manchen Kirchen gibt es auch sog. ›Speisgitter‹ zum Empfang der Hostie (Hupfauf, S. 60).

• P. SARTORI: Sitte und Brauch, Teil I (Leipzig 1910), S. 53f.; H. BÄCHTOLD: Die Gebräuche bei Verlobung und Hochzeit mit besonderer Berücksichtigung der Schweiz (Basel 1914), S. 41 ff.; E. HUPFAUF: Sagen, Brauchtum und Mundart im Zillertal (Innsbruck 1965), S. 59-60; B. DENECKE: Hochzeit (München 1971), S. 7 ff.; E. SHORTER: Die Geburt der modernen Familie; deutsch v. G. Klipper (Reinbek bei Hamburg 1977), besonders S. 166-167.
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