Redensarten Lexikon
Abraham
Wie in Abrahams Schoß sitzen: wie in der Seligkeit, wie im Paradies, in sehr guten Verhältnissen leben; ohne Sorgen, glücklich sein. Im biblischen Gleichnis vom ›reichen Mann und dem armen Lazarus‹ (Lk 16, 22) wird Lazarus von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Die jüdische Legende hat die Abrahamsgeschichten der Genesis noch um viele Züge bereichert und dem Abraham dabei zum Teil geradezu göttliche Funktionen zugeschrieben. Zu seinem Grabe hat sich eine Wallfahrt entwickelt. Eschatologisch ist der Glaube an die Verdienste Abrahams für die Frommen, die hoffen, mit Abraham zu Tisch liegen (Mt 8,11) oder in Abrahams Schoße ruhen zu dürfen. Vgl. englisch ›Abraham's bosom‹; französisch ›le Sein d'Abraham‹ und italienisch ›il Seno di Abramo‹. Unter Bezug auf die genannten Bibelstellen spielt die Redensart auch in der geistlichen Literatur eine Rolle. Wohl am bekanntesten ist die 3. Strophe von Martin Schallings (1532-1608) evangelischem Kirchenlied ›Herzlich lieb hab' ich dich, o Herr‹, die J.S. Bach an den Schluß seiner Johannespassion gesetzt hat:
Ach Herr, laß dein lieb' Engelein
Am letzten End' die Seele mein
In Abrahams Schoß tragen.
In der Kapuzinerpredigt (Schiller: ›Wallensteins Lager‹, 8. Auftr.) wird gefragt: »Quid faciemus nos? Wie machen wir's, daß wir kommen in Abrahams Schoß?« In der Wendung In Abrahams Schoß eingehen: euphemist. Umschreibung für sterben (⇨ zeitlich), klingt die religiöse Bedeutung noch an. Aber sonst wird in der heutigen Volkssprache die Redensart oft nicht mehr auf die ewige Seligkeit, sondern säkularisiert und materialistisch nur noch auf die wirtschaftliche Geborgenheit bezogen.
Das Kinderspiel von der ›goldenen Brücke‹, in dem sich das gefangene Kind für Himmel oder Hölle, für Engel oder Teufel entscheiden muß, hat die mittelalterliche Vorstellung von Abrahams Schoß in der Alternative zwischen Himmel und Hölle bewahrt. Das Kind, das als ›Engel‹ gilt, wird auf den verschränkten Armen der Brückenwächter gewogen mit dem Vers: »Wir wiegen (tragen) den Engel in Abrahams Schoß«. Das Spiel war bereits im 16. Jahrhundert bekannt und wird durch Rabelais, Geiler von Kaysersberg und Johann Fischart literarisch bezeugt. Literarische Belege über die Redensart, die sich auf Volksdichtung und Volkssprache auswirkten, finden sich vor allem in der ›Legenda Aurea‹ des 13. Jahrhunderts, wo der sterbende Bischof Martin von Tours den Teufel voller Überzeugung abweist: »Ich werde kommen in Abrahams Schoß«; in der ›Straßburger Chronik‹ um 1400, wo im Zusammenhang mit Christi Abstieg zur Vorhölle vom ›synus Abrahae‹ die Rede ist und im Alsfelder Passionsspiel (um 1500). Durch spätere Schuldramen und Volksschauspiele über den reichen Prasser und den armen Lazarus wurden die alten Vorstellungen von Abrahams Schoß weit verbreitet.
Auch in die Mundarten ist die biblisch Wendung eingedrungen, z.B. sagen Seeleute, die in der Mecklenburger Bucht einen guten Ankerplatz gefunden haben, voller Befriedigung: ›Nu liggen wi, as wenn wi in Abrahams Schot liggen‹. Wenn jemand eine günstige Heirat in Aussicht hat, sagt man von ihm: ›Denn kriggt he dat bi ehr so gaut, as set he in Abrahams schot‹ (Mecklenburg). Auch ost- und westpreußische Redensarten umschreiben das Gefühl sicheren Geborgenseins: ›He huckt (sloapt) wie en Abrahams Schoot‹.
In Anlehnung an Joh 8, 57f. bedeutet niederdeutsch ›He hett all Abraham seen‹: nicht mehr jung und unerfahren sein, die Fünfzig überschritten haben; vgl. niederländisch ›Abram gezien hebben‹. Das Gegenteil bedeutet die Redensart ›Damals warst du noch in Abrahams Wurstkessel‹: du warst noch nicht geboren.
• J.C. GILMOUR: Abraham's bosom, in: American Notes and Queries 9,1 (1898), S. 516; P. HAUPT: Abraham's Bosom, in: American Journal of Philology 42 (1921), S. 162-167; S.U. PALME: Skogen är fuller af Abraham, in: Tidskrift för Nordisk Folkminnesforskning 7 (1951), S. 10-14; BÜCHMANN, RGG. I (3. Auflage 1957), Spalte 68-71; M. HAIN: »In Abrahams Schoß«. Eine volkskundliche Skizze zu einem großen Thema, in: Festschrift Matthias Zender – Studien zu Volkskultur, Sprache und Landesgeschichte, hg. v. Edith Ennen und Günter Wiegelmann, Bd. I (Bonn 1972), S. 447-454; A. SCHREIBER: Art. ›Abraham‹, in: Enzyklopädie des Märchens I, Spalte 22-26.
In Abrahams Schoß sitzen. Pfeilerkapitell im Chorumgang des Basler Münsters, 12. Jahrhundert.
Ach Herr, laß dein lieb' Engelein
Am letzten End' die Seele mein
In Abrahams Schoß tragen.
In der Kapuzinerpredigt (Schiller: ›Wallensteins Lager‹, 8. Auftr.) wird gefragt: »Quid faciemus nos? Wie machen wir's, daß wir kommen in Abrahams Schoß?« In der Wendung In Abrahams Schoß eingehen: euphemist. Umschreibung für sterben (⇨ zeitlich), klingt die religiöse Bedeutung noch an. Aber sonst wird in der heutigen Volkssprache die Redensart oft nicht mehr auf die ewige Seligkeit, sondern säkularisiert und materialistisch nur noch auf die wirtschaftliche Geborgenheit bezogen.
Das Kinderspiel von der ›goldenen Brücke‹, in dem sich das gefangene Kind für Himmel oder Hölle, für Engel oder Teufel entscheiden muß, hat die mittelalterliche Vorstellung von Abrahams Schoß in der Alternative zwischen Himmel und Hölle bewahrt. Das Kind, das als ›Engel‹ gilt, wird auf den verschränkten Armen der Brückenwächter gewogen mit dem Vers: »Wir wiegen (tragen) den Engel in Abrahams Schoß«. Das Spiel war bereits im 16. Jahrhundert bekannt und wird durch Rabelais, Geiler von Kaysersberg und Johann Fischart literarisch bezeugt. Literarische Belege über die Redensart, die sich auf Volksdichtung und Volkssprache auswirkten, finden sich vor allem in der ›Legenda Aurea‹ des 13. Jahrhunderts, wo der sterbende Bischof Martin von Tours den Teufel voller Überzeugung abweist: »Ich werde kommen in Abrahams Schoß«; in der ›Straßburger Chronik‹ um 1400, wo im Zusammenhang mit Christi Abstieg zur Vorhölle vom ›synus Abrahae‹ die Rede ist und im Alsfelder Passionsspiel (um 1500). Durch spätere Schuldramen und Volksschauspiele über den reichen Prasser und den armen Lazarus wurden die alten Vorstellungen von Abrahams Schoß weit verbreitet.
Auch in die Mundarten ist die biblisch Wendung eingedrungen, z.B. sagen Seeleute, die in der Mecklenburger Bucht einen guten Ankerplatz gefunden haben, voller Befriedigung: ›Nu liggen wi, as wenn wi in Abrahams Schot liggen‹. Wenn jemand eine günstige Heirat in Aussicht hat, sagt man von ihm: ›Denn kriggt he dat bi ehr so gaut, as set he in Abrahams schot‹ (Mecklenburg). Auch ost- und westpreußische Redensarten umschreiben das Gefühl sicheren Geborgenseins: ›He huckt (sloapt) wie en Abrahams Schoot‹.
In Anlehnung an Joh 8, 57f. bedeutet niederdeutsch ›He hett all Abraham seen‹: nicht mehr jung und unerfahren sein, die Fünfzig überschritten haben; vgl. niederländisch ›Abram gezien hebben‹. Das Gegenteil bedeutet die Redensart ›Damals warst du noch in Abrahams Wurstkessel‹: du warst noch nicht geboren.
• J.C. GILMOUR: Abraham's bosom, in: American Notes and Queries 9,1 (1898), S. 516; P. HAUPT: Abraham's Bosom, in: American Journal of Philology 42 (1921), S. 162-167; S.U. PALME: Skogen är fuller af Abraham, in: Tidskrift för Nordisk Folkminnesforskning 7 (1951), S. 10-14; BÜCHMANN, RGG. I (3. Auflage 1957), Spalte 68-71; M. HAIN: »In Abrahams Schoß«. Eine volkskundliche Skizze zu einem großen Thema, in: Festschrift Matthias Zender – Studien zu Volkskultur, Sprache und Landesgeschichte, hg. v. Edith Ennen und Günter Wiegelmann, Bd. I (Bonn 1972), S. 447-454; A. SCHREIBER: Art. ›Abraham‹, in: Enzyklopädie des Märchens I, Spalte 22-26.
In Abrahams Schoß sitzen. Pfeilerkapitell im Chorumgang des Basler Münsters, 12. Jahrhundert.