Redensarten Lexikon
Aal
Der Aal ist wegen seiner schleimigen Haut zum sprichwörtlichen Bild des Glatten und Schlüpfrigen, wegen seiner Beweglichkeit zum Bild des leicht Entgleitenden und Lebhaften geworden.    Glatt wie ein Aal sein: listig, schlau, gerieben, diplomatisch, durchtrieben, raffiniert, doppelzüngig sein. Mit dem redensartlichen Vergleich Er ist glatt wie ein Aal (aalglatt) bezeichnet man einen schlauen Menschen, der sich immer wieder entwindet, wenn man ihn gefaßt zu haben glaubt. Der Aalglatte ist genausowenig zu fangen wie ein Aal. Schon bei den Römern hieß es sprichwörtlich (Plautus: ›Pseudolus‹ II, 4): »Anguilla est: elabitur« (Er ist ein Aal: er entwischt). Goethe (›Faust‹, V. 5231): »Durch Drang und Menge aalgleich zu schlüpfen«. Rheinisch heißt es noch heute: ›Wie en Aal es er mir durchgewitscht‹.
   Die Beweglichkeit des Aals wird in der Volkssprache bildlich auf den Menschen übertragen. Man sagt: sich winden wie ein Aal: einer Schwierigkeit, einer peinlichen Lage zu entschlüpfen suchen, sich aus einer Verlegenheit herauszuschlängeln wissen. Bei Walther von der Vogelweide (76, 117; Paul) heißt es: »Der sich dem man wint ûz der hant reht als ein âl«. In Goethes ›Götz‹ (IV,3) spricht Franz von Sickingen: »Laß sie sich wenden wie Äle in einer Reusse, sie sollen uns nicht entschlüpfen«.
   Viel ergiebiger und variabler als die literarischen Belege sind die mundartlichen, z.B. rheinisch ›He hätt sich bi en Ol erausgeschlängelt‹ (aus der Verlegenheit); ›he krengelt (dräit) sich wie ene Ol‹; ›das flutscht wie en Ol‹; dagegen allerdings auch: ›Er krümmt sich (vor Schmerzen) wie ein Aal‹. Doch wird das Sich-Winden des Aals meist als lustbetonte Bewegung gedeutet: Sich aalen ist eine heute in ganz Deutschland verbreitete Wendung mit der Bedeutung: sich faul dehnen und strecken, sich behaglich ausruhen, besonders an der Sonne und am Strand. Ihren Ausgang nahm sie wahrscheinlich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Ostmitteldeutschland. Dort besteht der Volksglaube, der Aal gehe nachts gerne an Land und werde in feuchten Wiesen häufig von der Sonne überrascht.
   Den Aal beim Schwanze fassen: etwas verkehrt anfangen. Das Bild vom schlüpfrigen Aal ist bereits antik, aber erst im Mittelalter ist auch von seinem Schwanz die Rede. Nur ist kaum zu unterscheiden, von wo die Neuerung ausging, da sie in Frankreich und in Deutschland gleichmäßig auftritt, zunächst in lateinischen Handschriften des Mittelalters: »Qui tenet anguillam per caudam, non habet illam« (MSD. XXII, 2, 192). In der Sammlung des Erasmus von Rotterdam heißt es: »Quod hodieque vulgo dicitur: anguillam cauda tenes« (›Adagia‹ 26v). In der mittelhochdeutschen Literatur ist die Redensart zuerst bei Heinrich von Melk (›Priesterleben‹, V.166) belegt: »Uz den handen si im sliffent, als der âl bî dem zagele«. Bei dem Mystiker Heinrich Seuse heißt es (Deutsche Schriften, hg. v. K. Bihlmeyer, Bd. 9, S. 16): »Swer den helen visch, der da haißet ein al, bi dem sweif wil haben und ein heiliges leben mit lawkeit wil an vahen, der wirt in baiden betrogen«. »Dann ir habt euern man als den öl bei dem swantz« schreibt 1485 Kurfürst Albrecht von Brandenburg seiner Tochter. Im 16. Jahrhundert heißt der Spruch bei Gartner (›Proverbia Dicteria‹ 1566, S. 48) und Seidel (›Loci Communes‹ 1572): »Non tenet anguillam, qui per caudam tenet illam«. »Wer einen Ahl hält bey dem Schwantz, dem bleibt er weder halb noch gantz«. Auch Luther ist die Redensart sehr geläufig: »Er (der Kardinal Cajetan) dachte, er hette mich in der klappen, so hat er den ahl bey dem schwantze« (Eislebener Ausgabe 1564, Bd. 1, S. 3); oder: »Aber ich besorge, ich werde zuletzt den ahl bey dem schwantze nicht halten, so ringet und dringet er sich zu drehen« (Burkhardt: Luthers Briefwechsel, Bd. 1, S. 293). Ebenso heißt es noch in der heutigen schweizerischen Mundart ›Wer en Ol hät beim Schwanz, der hät-en nid halb und nid ganz‹; niederdeutsch ›He krigt den Aal bi den Steert‹, er will einen Vorteil erhaschen und fängt es unrecht an (vgl. auch französisch ›Qui prend l'anguille par la queue et la femme par la parole, peut dire qu'il ne tient rien‹ [veraltet]; englisch ›There's as much hold of his words as of a wet eel by the tail‹, man kann sich an sein Wort so halten, wie bei einem nassen Aal an den Schwanz); vgl. auch ›das Pferd beim Schwanz aufzäumen‹.
   Friedrich von Logau (1604-55) vergleicht das ›Aalglatte‹ mit den Versprechungen von Frauen und fühlt sich gleichermaßen betrogen:

   Wer einen Aal beim Schwanz
   und Weiber faßt bei Worten,
   Wie feste der auch hält,
   hält nichts an beiden Orten.

Kainis belegt einen ähnlichen Spruch für Österreich (S. 7): ›Wer einen Aal nimmt beim Schwanz und eine Frau beim Wort, der bringt wenig fort‹; vgl. engl.: ›to catch the eel of Science by the tail‹.
   Einen (kleinen) Aal haben: leicht betrunken sein. Die Redensart ist vor allem mundartlich verbreitet, z.B. rheinisch ›su voll wie en Ol‹; moselfränkisch ›Er seift wie en Ol‹ oder ›He hot en Ol im Deppen‹; ›Der hat aber en Aal!‹ Alle diese Wendungen, deren Herkunft noch nicht geklärt ist, bedeuten: er ist betrunken ( trinken).
۞ J. HOOPER: To catch the eel of Science by the tail, in: American Notes and Queries 7, 1 (1886), S. 138; O. KELLER: Der Aal, in: ders.: Die antike Tierwelt 2 (Leipzig 1913), S. 357-359; SINGER I, S. 159f.

Den Aal beim Schwanze fassen. Detail aus dem Sprichwörter-Bild von P. Bruegel, 1559.
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