Adelung Wörterbuch
Un
, eine Partikel, welche in dieser Gestalt nur allein noch in der Zusammensetzung üblich ist. Sie ist aus ohne entstanden, welches noch außer der Zusammensetzung, als ein eigenes Vorwort gebraucht wird. Was, 1. Ihre Bedeutung betrifft, so ist sie sehr einfach, indem sie eine verneinende Kraft hat, und eigentlich die Abwesenheit desjenigen Begriffes bezeichnet, welchen das Wort, mit welchem sie zusammen gesetzt ist, ausdruckt.
(1) Eigentlich. Der Wörter dieser Art sind eine große Menge. Ungern, nicht gern, unzählig, was sich nicht zählen lässet, untauglich, nicht tauglich, unsterblich, unzünftig, unrein, untheilbar, untadelhaft, unreif u.s.f.
(2) Eben so groß ist aber auch die Anzahl derjenigen Wörter, wo die Partikel nicht bloß eine Abwesenheit, sondern vielmehr das Gegentheil, die entgegen gesetzte Beschaffenheit des folgenden Begriffes bezeichnet; von welcher Art besonders die Hauptwörter Undank, Ungeduld, Unverstand, Unsinn, Unding, Unehre, Ungemach, Unmuth, Unlust, Unsegen, Unzucht, Unheil, Unglück, Untugend, nebst ihren Beywörtern, ingleichen die Beywörter, unselig, ungereimt u.s.f. gehören.
Dahin gehören denn auch diejenigen Wörter dieser Art, wo das mit un zusammen gesetzte Nennwort in engerm Verstande von einem guten oder gehörigen Dinge seiner Art gebraucht wird, dessen Gegensatz oder Gegentheil denn das mit un zusammen gesetzte Wort ausdruckt; z.B. Unart, fehlerhafte Art oder Gewohnheit, Unthat, Unfall, Ungewitter, Unmensch, Unchrist, Unthier, Unrath, Unzeit, Unkraut, Ungeheuer, Unboth, in einigen Gegenden für Mißgeboth, Unehe, ehedem für Concubinat, Unfug, unförmlich, ungestaltet, ungeberdig u.s.f. welche Wörter oft einen härtern Nebenbegriff haben, als man bey dem ersten Anblicke aus der bloßen Zusammensetzung vermuthen sollte.
In einigen, obgleich nur wenigen, schleichen sich noch andere Nebenbegriffe mit ein; z.B. Untiefe, eine unergründliche Tiefe, das Nieders. Unmühe, unnöthige Mühe, unser Unkosten, unnöthige, oder vielmehr lästige Kosten; wenn es nicht in diesen Wörtern, so wie in Ungewitter, nach dem Muster des Lat. in- eine verstärkende oder intensive Bedeutung hat.
Manche derjenigen Wörter mit welchen diese Partikel zusammen gesetzet wird, sind nunmehr veraltet, und nur noch in dieser Zusammensetzung üblich; z.B. Unflath, Unrath, ungestüm, Ungeziefer, u.s.f.
2. Was diejenigen Wörter betrifft, welche mit dieser Partikel zusammen gesetzet werden können, und wirklich zusammen gesetzet worden, so sind solches der Form nach,
(1) Eigentliche Nebenwörter, welche nicht als Beywörter gebraucht werden. Dieser sind sehr wenige, z.B. ungern, unlängst, unweit, unschwer, welche vielleicht die einzigen dieser Art sind, welche der Gebrauch eingeführet und gerechtfertiget hat, daher auch ihre Zahl nicht willkührlich vermehrt werden darf. Dagegen können alle Beywörter, welche mit un- üblich sind, auch als Nebenwörter gebraucht werden.
(2) Zeitwörter. Daß ehedem auch Zeitwörter mit dieser Partikel zusammen gesetzt worden, erhellet noch aus vielen bey dem Ottfried, Notker, in den Monseeischen Glossen u.s.f. befindlichen Überbleibseln; z.B. ungazunftan, uneinig seyn, unliunthafton, verläumden, unwirsigen, zürnen u.s.f. Si unerent sih, der Herzog von Anhalt. Die heutigen Oberdeutschen, bey welchen ohn oft für un gebraucht wird, haben noch manche Zeitwörter dieser Art aufbehalten, z.B. ohnermangeln, ohnverhalten, ohnverfangen u.s.f. welche aber doch auch nur im Infinitiv üblich zu seyn scheinen. Im Hochdeutschen sind diese Zeitwörter völlig veraltet, und un wird daselbst niemahls mit Zeitwörtern zusammen gesetzet. Doch sind das mit be zusammen gesetzte beunruhigen, ingleichen verschiedene mit ver- ausgenommen, verunehren, verunreinigen, verunglimpfen, verunglücken, veruntreuen, verunstalten, verunzieren, welche aber am Ende doch größten Theils von den Nennwörtern unruhig, Unehre, unrein, Unglimpf, u.s.f. gebildet worden, verunzieren etwa ausgenommen, welches aber doch nur in den niedrigen Sprecharten üblich ist.
Wenn daher un, wie so gleich bemerket werden soll, sich sehr gern zu den Mittelwörtern gesellet, so geschiehet es nur, in so fern sie als Nennwörter betrachtet werden.
Da sich also diese Partikel, mit Zeitwörtern als Zeitwörtern niemahls verträgt, so können auch die Infinitivi, wenn sie gleich als Hauptwörter gebraucht werden, selbige nicht annehmen. Wenn daher eine Abwesenheit des in denselben herrschenden Begriffes vermittelst einer Zusammensetzung ausgedruckt werden soll, so wählet man statt des un, lieber die Partikel nicht; das Nichtwollen, Nichtwissen, Nichtthun u.s.f. obgleich auch nicht alle Infinitivi diese Zusammensetzung leiden.
(3) Nennwörter, welche das eigentliche Feld dieser Partikel sind, auf welchem sie sich ihrem ganzen Umfange nach zeiget. Dahin gehören nun sowohl Hauptwörter, wovon schon oben einige angeführet worden, als auch Beywörter; unbändig, unachtbar, unachtsam, ungütig, unsicher, unrein, unsauber u.s.f. Selbst solche, die schon mit einer andern Partikel zusammen gesetzt sind; unabbrüchig, unabhängig, unaufmerksam, unumgänglich, unüberlegt, unverdrossen, unanständig u.s.f. Ja die Gerechtsamen dieser Partikel erstrecken sich so weit, daß sie, vermittelst der Ableitungssylbe lich, sehr viele Beywörter von dem Infinitiv der Zeitwörter bildet, welche außer der Zusammensetzung mit un nicht üblich sind; unaufhörlich, unauflößlich, unabbittlich, unausbleiblich, unausforschlich, unauslöschlich, unaussprechlich, unbezwinglich, undurchdringlich, unverbesserlich u.s.f.
Die mit un zusammen gesetzten Haupt- und eigentlichen Beywörter haben indessen ihre Gränzen, und es ist nicht ohne Einschränkung erlaubt, deren nach Gutdünken neue zu bilden. Am wenigsten hat man diese Freyheit, wenn man andere eigene Wörter hat, die Abwesenheit oder den Gegensatz eines Begriffes auszudrucken. Man sagt nicht Unliebe, Unhaß, Unneigung, Unschwere, Ungröße, nicht unschön, unspröde, unhart, unhoch, unhell, unschnell, unlieb, unandächtig, u.s.f. weil für alle diese Begriffe eigene Wörter vorhanden sind. Nur die Fälle sind ausgenommen, wo man wohl Wörter hat, den Gegensatz einer Eigenschaft auszudrücken, man aber aus Glimpf statt deren lieber die bloße Abwesenheit andeuten will, da es denn in manchen Fällen, aber auch nicht allemahl, erlaubt ist, Wörter mit un zu bilden, einen harten Begriff auf eine glimpflichere und gelindere Art auszudrucken. Auf diese Art sind die Wörter ungütig, ungünstig, Unfleiß, unfleißig, unfreundlich, ungetreu, ungeneigt, u.s.f. entstanden, den härtern Ausdrücken grausam, gehässig, Faulheit, faul, mürrisch, treulos u.s.f. auszuweichen.
Etwas mehr Freyheit hat man, besonders bey zusammen gesetzten Zeitwörtern, vermittelst der Sylbe lich neue Wörter mit un zu bilden, selbst in solchen Fällen, wo eben diese Wörter ohne die Verneinung nicht gewagt werden dürfen. Doch müssen Analogie, Geschmack, und ein gutes Gehör die wilde Neigung zu neuen Wörtern auch hier einschränken.
Zu den Beywörtern gehören auch die Mittelwörter, wenigstens gesellet das un sich zu ihnen nur, in so fern sie Nennwörter sind. Mit den Mittelwörtern der gegenwärtigen Zeit verbindet es sich indessen niemahls, vermuthlich, weil das eigene des Zeitwortes hierin noch zu sehr vorsticht: und obgleich einige unserer neuen Dichter dergleichen Zusammensetzungen gewagt haben, mit unermüdendem Fleiße, unbegränzend u.s.f. so ist doch solches nur aus Unkunde der eigenthümlichen Art der Deutschen Sprache geschehen, indem man nicht leicht ein allgemein gangbares gutes Wort dieser Art aufweisen wird.
Desto mehr sind dieser Partikel die Mittelwörter der vergangenen Zeit angemessen, indem nicht leicht ein einfaches oder zusammen gesetztes Zeitwort seyn wird, mit dessen Participio passivo es sich nicht verbinden ließe, wenn anders die Bedeutung und Sache selbst eine solche Zusammensetzung verstatten. Es bedeutet alsdann allemahl eine Abwesenheit oder Verneinung des folgenden Begriffes. Ungeliebt. Ungegessen zu Bette gehen. Unangemeldet, unaufgeräumt, unbefleckt, unausgebildet, ungeahndet, ungestraft, unverdauet, unbefohlen, unbegraben, uneingeschränkt, unübersetzt u.s.f. Ausnahmen finden theils in solchen Fällen statt, wo der Wohllaut leiden würde, z.B. wenn das Zeitwort schon mit zwey Partikeln, oder auch mit einer zweysylbigen Partikel zusammen gesetzt ist, unwiedergebracht, unniedergefallen, theils bey manchen mit solchen Partikeln zusammen gesetzten Zeitwörtern, welche eigentlich Nennwörter sind, oder es doch ehedem waren; z.B. unwahrgesagt, unmißgehandelt, unhausgehalten u.s.f. welche diese Partikel gleichfalls nicht vor sich dulden.
Da die Menge der Mittelwörter dieser Art indessen immer sehr groß, und ihr Begriff sehr einfach ist, indem sie eine bloße Verneinung des folgenden Mittelwortes bezeichnen, so werde ich sie im folgenden übergehen; ausgenommen in solchen Fällen, wo ein solches Wort etwa mehr als Eine Bedeutung haben, oder um einer andern Ursache willen, eine besondere Stelle verdienen sollte.
Anm. Diese Partikel hat in der Zusammensetzung allemahl den Ton, und zwar um deßwillen, weil sie aus dem langen ohne zusammen gezogen ist. In vielen Oberdeutschen Gegenden lautet sie noch jetzt sehr merklich und gedehnt ohn, und in den Kanzelleyen wird sie noch so geschrieben; ohnentgeldlich, ohnermangeln, ohnverfänglich, ohnmöglich, ohnweigerlich. Wir Hochdeutschen haben davon noch immer unser Ohnmacht; allein, ohngefähr und ohngeachtet haben bessere Schriftsteller unter uns schon seit geraumer Zeit mit dem richtigern ungefähr und ungeachtet vertauscht. Diese Partikel lautet schon bey dem Ottfried und seinen Zeitgenossen un- im Lat. in-, im Griech. άν- und mit weggeworfenem Naselaut ά, welches denn das so genannte ά priuatiuum ist. Auf ähnliche Art verkürzen die Niederdeutschen es in manchen Fällen in a, amächtig, awies, für ohnmächtig, unwitzig, d.i. albern. Bey den Schweden lautet sie gleichfalls nur o, und bey den Dänen und Isländern u. S. Ohne, aus welchem Vorworte sie verkürzt ist. In vielen Fällen bedienen sich die Niederdeutschen statt dieser Partikel des Wörtchens wahn; Wahnhope, Verzweifelung, Wahnorder, Unordnung, wahnlövisk, ungläubig, wahnmödig, unmuthig u.s.f. und die Engländer ihres Wan, Wanmete, Unmaße, wanbal, unganz u.s.f. S. Wahn, ingleichen Wahnsinn und Wahnwitz.
(1) Eigentlich. Der Wörter dieser Art sind eine große Menge. Ungern, nicht gern, unzählig, was sich nicht zählen lässet, untauglich, nicht tauglich, unsterblich, unzünftig, unrein, untheilbar, untadelhaft, unreif u.s.f.
(2) Eben so groß ist aber auch die Anzahl derjenigen Wörter, wo die Partikel nicht bloß eine Abwesenheit, sondern vielmehr das Gegentheil, die entgegen gesetzte Beschaffenheit des folgenden Begriffes bezeichnet; von welcher Art besonders die Hauptwörter Undank, Ungeduld, Unverstand, Unsinn, Unding, Unehre, Ungemach, Unmuth, Unlust, Unsegen, Unzucht, Unheil, Unglück, Untugend, nebst ihren Beywörtern, ingleichen die Beywörter, unselig, ungereimt u.s.f. gehören.
Dahin gehören denn auch diejenigen Wörter dieser Art, wo das mit un zusammen gesetzte Nennwort in engerm Verstande von einem guten oder gehörigen Dinge seiner Art gebraucht wird, dessen Gegensatz oder Gegentheil denn das mit un zusammen gesetzte Wort ausdruckt; z.B. Unart, fehlerhafte Art oder Gewohnheit, Unthat, Unfall, Ungewitter, Unmensch, Unchrist, Unthier, Unrath, Unzeit, Unkraut, Ungeheuer, Unboth, in einigen Gegenden für Mißgeboth, Unehe, ehedem für Concubinat, Unfug, unförmlich, ungestaltet, ungeberdig u.s.f. welche Wörter oft einen härtern Nebenbegriff haben, als man bey dem ersten Anblicke aus der bloßen Zusammensetzung vermuthen sollte.
In einigen, obgleich nur wenigen, schleichen sich noch andere Nebenbegriffe mit ein; z.B. Untiefe, eine unergründliche Tiefe, das Nieders. Unmühe, unnöthige Mühe, unser Unkosten, unnöthige, oder vielmehr lästige Kosten; wenn es nicht in diesen Wörtern, so wie in Ungewitter, nach dem Muster des Lat. in- eine verstärkende oder intensive Bedeutung hat.
Manche derjenigen Wörter mit welchen diese Partikel zusammen gesetzet wird, sind nunmehr veraltet, und nur noch in dieser Zusammensetzung üblich; z.B. Unflath, Unrath, ungestüm, Ungeziefer, u.s.f.
2. Was diejenigen Wörter betrifft, welche mit dieser Partikel zusammen gesetzet werden können, und wirklich zusammen gesetzet worden, so sind solches der Form nach,
(1) Eigentliche Nebenwörter, welche nicht als Beywörter gebraucht werden. Dieser sind sehr wenige, z.B. ungern, unlängst, unweit, unschwer, welche vielleicht die einzigen dieser Art sind, welche der Gebrauch eingeführet und gerechtfertiget hat, daher auch ihre Zahl nicht willkührlich vermehrt werden darf. Dagegen können alle Beywörter, welche mit un- üblich sind, auch als Nebenwörter gebraucht werden.
(2) Zeitwörter. Daß ehedem auch Zeitwörter mit dieser Partikel zusammen gesetzt worden, erhellet noch aus vielen bey dem Ottfried, Notker, in den Monseeischen Glossen u.s.f. befindlichen Überbleibseln; z.B. ungazunftan, uneinig seyn, unliunthafton, verläumden, unwirsigen, zürnen u.s.f. Si unerent sih, der Herzog von Anhalt. Die heutigen Oberdeutschen, bey welchen ohn oft für un gebraucht wird, haben noch manche Zeitwörter dieser Art aufbehalten, z.B. ohnermangeln, ohnverhalten, ohnverfangen u.s.f. welche aber doch auch nur im Infinitiv üblich zu seyn scheinen. Im Hochdeutschen sind diese Zeitwörter völlig veraltet, und un wird daselbst niemahls mit Zeitwörtern zusammen gesetzet. Doch sind das mit be zusammen gesetzte beunruhigen, ingleichen verschiedene mit ver- ausgenommen, verunehren, verunreinigen, verunglimpfen, verunglücken, veruntreuen, verunstalten, verunzieren, welche aber am Ende doch größten Theils von den Nennwörtern unruhig, Unehre, unrein, Unglimpf, u.s.f. gebildet worden, verunzieren etwa ausgenommen, welches aber doch nur in den niedrigen Sprecharten üblich ist.
Wenn daher un, wie so gleich bemerket werden soll, sich sehr gern zu den Mittelwörtern gesellet, so geschiehet es nur, in so fern sie als Nennwörter betrachtet werden.
Da sich also diese Partikel, mit Zeitwörtern als Zeitwörtern niemahls verträgt, so können auch die Infinitivi, wenn sie gleich als Hauptwörter gebraucht werden, selbige nicht annehmen. Wenn daher eine Abwesenheit des in denselben herrschenden Begriffes vermittelst einer Zusammensetzung ausgedruckt werden soll, so wählet man statt des un, lieber die Partikel nicht; das Nichtwollen, Nichtwissen, Nichtthun u.s.f. obgleich auch nicht alle Infinitivi diese Zusammensetzung leiden.
(3) Nennwörter, welche das eigentliche Feld dieser Partikel sind, auf welchem sie sich ihrem ganzen Umfange nach zeiget. Dahin gehören nun sowohl Hauptwörter, wovon schon oben einige angeführet worden, als auch Beywörter; unbändig, unachtbar, unachtsam, ungütig, unsicher, unrein, unsauber u.s.f. Selbst solche, die schon mit einer andern Partikel zusammen gesetzt sind; unabbrüchig, unabhängig, unaufmerksam, unumgänglich, unüberlegt, unverdrossen, unanständig u.s.f. Ja die Gerechtsamen dieser Partikel erstrecken sich so weit, daß sie, vermittelst der Ableitungssylbe lich, sehr viele Beywörter von dem Infinitiv der Zeitwörter bildet, welche außer der Zusammensetzung mit un nicht üblich sind; unaufhörlich, unauflößlich, unabbittlich, unausbleiblich, unausforschlich, unauslöschlich, unaussprechlich, unbezwinglich, undurchdringlich, unverbesserlich u.s.f.
Die mit un zusammen gesetzten Haupt- und eigentlichen Beywörter haben indessen ihre Gränzen, und es ist nicht ohne Einschränkung erlaubt, deren nach Gutdünken neue zu bilden. Am wenigsten hat man diese Freyheit, wenn man andere eigene Wörter hat, die Abwesenheit oder den Gegensatz eines Begriffes auszudrucken. Man sagt nicht Unliebe, Unhaß, Unneigung, Unschwere, Ungröße, nicht unschön, unspröde, unhart, unhoch, unhell, unschnell, unlieb, unandächtig, u.s.f. weil für alle diese Begriffe eigene Wörter vorhanden sind. Nur die Fälle sind ausgenommen, wo man wohl Wörter hat, den Gegensatz einer Eigenschaft auszudrücken, man aber aus Glimpf statt deren lieber die bloße Abwesenheit andeuten will, da es denn in manchen Fällen, aber auch nicht allemahl, erlaubt ist, Wörter mit un zu bilden, einen harten Begriff auf eine glimpflichere und gelindere Art auszudrucken. Auf diese Art sind die Wörter ungütig, ungünstig, Unfleiß, unfleißig, unfreundlich, ungetreu, ungeneigt, u.s.f. entstanden, den härtern Ausdrücken grausam, gehässig, Faulheit, faul, mürrisch, treulos u.s.f. auszuweichen.
Etwas mehr Freyheit hat man, besonders bey zusammen gesetzten Zeitwörtern, vermittelst der Sylbe lich neue Wörter mit un zu bilden, selbst in solchen Fällen, wo eben diese Wörter ohne die Verneinung nicht gewagt werden dürfen. Doch müssen Analogie, Geschmack, und ein gutes Gehör die wilde Neigung zu neuen Wörtern auch hier einschränken.
Zu den Beywörtern gehören auch die Mittelwörter, wenigstens gesellet das un sich zu ihnen nur, in so fern sie Nennwörter sind. Mit den Mittelwörtern der gegenwärtigen Zeit verbindet es sich indessen niemahls, vermuthlich, weil das eigene des Zeitwortes hierin noch zu sehr vorsticht: und obgleich einige unserer neuen Dichter dergleichen Zusammensetzungen gewagt haben, mit unermüdendem Fleiße, unbegränzend u.s.f. so ist doch solches nur aus Unkunde der eigenthümlichen Art der Deutschen Sprache geschehen, indem man nicht leicht ein allgemein gangbares gutes Wort dieser Art aufweisen wird.
Desto mehr sind dieser Partikel die Mittelwörter der vergangenen Zeit angemessen, indem nicht leicht ein einfaches oder zusammen gesetztes Zeitwort seyn wird, mit dessen Participio passivo es sich nicht verbinden ließe, wenn anders die Bedeutung und Sache selbst eine solche Zusammensetzung verstatten. Es bedeutet alsdann allemahl eine Abwesenheit oder Verneinung des folgenden Begriffes. Ungeliebt. Ungegessen zu Bette gehen. Unangemeldet, unaufgeräumt, unbefleckt, unausgebildet, ungeahndet, ungestraft, unverdauet, unbefohlen, unbegraben, uneingeschränkt, unübersetzt u.s.f. Ausnahmen finden theils in solchen Fällen statt, wo der Wohllaut leiden würde, z.B. wenn das Zeitwort schon mit zwey Partikeln, oder auch mit einer zweysylbigen Partikel zusammen gesetzt ist, unwiedergebracht, unniedergefallen, theils bey manchen mit solchen Partikeln zusammen gesetzten Zeitwörtern, welche eigentlich Nennwörter sind, oder es doch ehedem waren; z.B. unwahrgesagt, unmißgehandelt, unhausgehalten u.s.f. welche diese Partikel gleichfalls nicht vor sich dulden.
Da die Menge der Mittelwörter dieser Art indessen immer sehr groß, und ihr Begriff sehr einfach ist, indem sie eine bloße Verneinung des folgenden Mittelwortes bezeichnen, so werde ich sie im folgenden übergehen; ausgenommen in solchen Fällen, wo ein solches Wort etwa mehr als Eine Bedeutung haben, oder um einer andern Ursache willen, eine besondere Stelle verdienen sollte.
Anm. Diese Partikel hat in der Zusammensetzung allemahl den Ton, und zwar um deßwillen, weil sie aus dem langen ohne zusammen gezogen ist. In vielen Oberdeutschen Gegenden lautet sie noch jetzt sehr merklich und gedehnt ohn, und in den Kanzelleyen wird sie noch so geschrieben; ohnentgeldlich, ohnermangeln, ohnverfänglich, ohnmöglich, ohnweigerlich. Wir Hochdeutschen haben davon noch immer unser Ohnmacht; allein, ohngefähr und ohngeachtet haben bessere Schriftsteller unter uns schon seit geraumer Zeit mit dem richtigern ungefähr und ungeachtet vertauscht. Diese Partikel lautet schon bey dem Ottfried und seinen Zeitgenossen un- im Lat. in-, im Griech. άν- und mit weggeworfenem Naselaut ά, welches denn das so genannte ά priuatiuum ist. Auf ähnliche Art verkürzen die Niederdeutschen es in manchen Fällen in a, amächtig, awies, für ohnmächtig, unwitzig, d.i. albern. Bey den Schweden lautet sie gleichfalls nur o, und bey den Dänen und Isländern u. S. Ohne, aus welchem Vorworte sie verkürzt ist. In vielen Fällen bedienen sich die Niederdeutschen statt dieser Partikel des Wörtchens wahn; Wahnhope, Verzweifelung, Wahnorder, Unordnung, wahnlövisk, ungläubig, wahnmödig, unmuthig u.s.f. und die Engländer ihres Wan, Wanmete, Unmaße, wanbal, unganz u.s.f. S. Wahn, ingleichen Wahnsinn und Wahnwitz.