Adelung Wörterbuch
Geil
, -er, -ste, adj. et adv. 1. Eigentlich, fett, von dem Fleische der Thiere; in welchem Verstande es nur noch im gemeinen Leben von einem ekelhaften, widrigen Geschmacke und Geruche des Fettes üblich ist. Das Fleisch, das Fett schmeckt zu geil. 2. Figürlich. 1) Von dem Erdboden, wenn er überflüssigen Dünger hat, ingleichen von Gewächsen, wenn sie zu vielen Nahrungssaft haben, und daher zu schnell wachsen, oder überflüssige Blätter und Zweige treiben. Ein geiler Boden, der sehr stark treibt. Die Saat wächst zu geil, zu schnell und zu dick. Die Bäume wachsen zu geil, wenn sie zu viele Blätter und Zweige treiben. Geile Flecke im Getreide, welche sich durch ihren starken und dicken Wuchs von der andern Saat unterscheiden; in Meißen Mastflecke, in andern Gegenden Geilhorste. In weiterer Bedeutung in einigen Gegenden auch überhaupt für fruchtbar, tragbar. Die alten Felder aufreißen und zu geilem Felde machen, in Obersachsen. S. 2 Geile. 2) Von einem ekelhaft süßen Geruche und Geschmacke, im gemeinen Leben. Geil schmecken, widrig süß. 3) Von verschiedenen Beschaffenheiten des Gemüthes, welche ihren Grund zunächst in einer überflüssigen Nahrung des Körpers haben. (a) * Munter, im guten Verstande; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung.  
Seiner Ritter ein teil
Mit dem er vollte wesin geil
Und an Wirthschaft goiden,
 
mit denen er wollte fröhlich seyn, und sich beym Schmause erfreuen, Jeroschin, ein Schriftsteller des 14ten Jahrhunderts bey dem Frisch.
 
– Die sitsamen Geberden
Die geile Höflichkeit, der abgeführte Sinn,
Und was mich sonsten hielt, ist alles mit ihr hin,
 
sagt Opitz von seiner Sylvia. Im Franz. bedeutete Gale ehedem Freude, Fröhlichkeit, und Galoise ein muntres, lustiges Mädchen, im Griech. αγαλλεισωvor Freude springen. (b) * Muthig, kühn, auch im guten Verstande, in welchem es aber gleichfalls veraltet ist.
 
Der Held – stach das thier geyl
Mit seinem perenspieß zu todt,
Theuerd.
 
Darumb macht er sich auf die Fart
Zu versuchen sein glück und heyl
An Herr Tewrdank dem Jüngling geyl,
Theuerd. ebend. Kap. 5.
 
(c) * Muthwillig, üppig, ausgelassen, übermuthig, in welchem Verstande es noch hin und wieder in den niedrigen Sprecharten gehöret wird. Da er aber fett und satt ward, ward er geil, 5 Mos. 32, 15; aber Israel ward fett und schlug aus, nach Michaelis Übersetzung. Ich bin auch gezüchtiget, wie ein geil Kalb, Jer. 31, 18. Darum, daß ihr – lecket, wie die geilen Kälber, Kap. 50, 11. (d) * Stolz, eine veraltete Bedeutung. In diesem Verstande kommt keil schon bey dem Kero vor, und Isidors Übersetzer gebraucht das Hauptwort Geili für Stolz, Hochmuth. Im Griech. ist αγαλλομαιmit etwas prahlen, stolz auf etwas seyn.
 
Du soltest an mir wesen geil,
Chriemh. Str. 262.
 
So geil was ie
Mins herzen sin u.s.f.
Burkh. von Hohenfels.
 
(e) Reitzungen zum unrechtmäßigen Beyschlafe suchend und unterhaltend; ein harter Ausdruck, der so widrig ist als die Sache selbst, daher man ihn auch nur gebraucht, wenn man von dieser Gemüthsverfassung mit Nachdruck zu reden genöthiget ist. Ein geiles Weib. Ingleichen was diese Gemüthsart verräth, und befördert. Geile Schriften, ein geiles Lied, ein geiles Betragen. Holländ. gheil und ghyl, Dän. geil, Angels. gal, Schwed. gael, in Bretagne mit dem eingeschalteten d gadal, im mittlern Lat. gadalis. 4) * Überfluß an etwas habend; ein veralteter Gebrauch.
 
Wilt du so wirde ich an steten froiden geil,
Graf Conr. von Kilchberg.
 
Anm. So fern dieses Wort eigentlich fett bedeutet, gehöret es allem Ansehen nach zu dem Worte gelb, Nieders. gäl, weil doch das mehreste Fett eine weißgelbliche Farbe hat; zumahl da geil am häufigsten von verdorbenem Fette gebraucht wird, welches noch mehr in das Gelbe fällt. Schon im Hebr. war בלח das Fett, ingleichen Milch, im Griech. ist αλειφαρ und αλοιφƞ Öhl, Schmer, γαλαdie Milch, und bey den ältesten Galliern bedeutete galba fett, wohl gemästet. Im Albanischen ist Gialpa Butter. S. Gelb.
 
1. Die Geile
, plur. die -n, die kugelförmigen Samenbehältnisse der Zeugungsglieder bey dem männlichen Geschlechte der Menschen und Thiere; die Hoden. Einem Thiere die Geilen ausschneiden. Auch bey dem weiblichen Geschlechte die so genannten Eyerstöcke, welche auch Geburtsgeilen genannt werden. In dem gemeinen Sprachgebrauche der Hochdeutschen kommt dieses Wort nicht vor, wohl aber zuweilen in Schriften. Im Oberdeutschen scheint es üblicher zu seyn. S. 1 Geilen und Bibergeil. Anm. Im Schwed. Gäll, im Wallis. Caill, im Franz. Couillon, im Ital. Coglione, im Lat. Coleus und Coles; nicht so wohl von dem vorigen Worte geil, als vielmehr von der runden kugelförmigen Gestalt; S. Gallapfel, 1 Galle und Kugel. Im Hebr. bedeutet כליזת die Nieren.
 
2. Die Geile
, plur. car. das Abstractum von dem Bey- und Nebenworte geil, welches ehedem in dessen sämmtlichen Bedeutungen üblich war, jetzt aber nur noch im gemeinen Leben in einigen Gegenden üblich ist. 1) Die geile Beschaffenheit einer Person oder Sache, wo es nur noch zuweilen von der überflüssigen Fettigkeit des Bodens, und dem dadurch verursachten allzu starken Triebe der Gewächse gebraucht wird, wofür an andern Orten auch Geilheit üblich ist. 2) Was dem Boden Fettigkeit gibt, der Dünger, in der Landwirthschaft einiger Gegenden. Geile und Gare, Dünger und Mist. In einigen Gegenden auch die Geilung.
 
1. * Geilen
, verb. reg. act. der Geilen berauben, castriren, verschneiden; ein im Hochdeutschen veraltetes Wort, wofür auch entgeilen, und nach einer gelindern Aussprache heilen, üblich war. Bey den Römern hieß ein verschnittener Priester der Cybele Gallus, und Matthesius nennet einen Castraten noch Ohngeil. Im Schwed. ist gaella gleichfalls verschneiden. Wenn dieses Wort nicht von Geile, die Hode, abstammet, so hat es ohne Zweifel, ehedem schneiden überhaupt bedeutet, wovon noch verschiedene Spuren übrig sind; S. 2 Galle.
 
2. * Geilen
, verb reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, auf eine unverschämte Art, mit gällender Stimme um etwas betteln; ein im Hochdeutschen veraltetes Wort. So wird er doch um seines unverschämten Geilens willen aufstehen, und ihm geben, wie viel er bedarf, Luc. 11, 8.
 
Berg und tal hat der meige geret im ze prise
Ir geilent uch iungen,
Graf Conr. von Kilchberg.
 
Um Brot, um ein Amt geilen, im Oberdeutschen, wo auch Geiler von einem Bettler, und ergeilen, durch unverschämtes Betteln erhalten, üblich sind. In Hamburg ist geilen und im Bremischen galstern, gleichfalls unverschämt betteln. Es gehöret zu dem Nieders. gillen, ein durchdringendes pfeifendes Geschrey machen, von welchem unser gällen das Neutrum ist. Schon im Hebr. war הלח anhaltend bitten. S. Gällen.
 
3. * Geilen
, verb. reg. von dem Bey- und Nebenworte geil, welches im Hochdeutschen veraltet ist, ehedem aber in doppelter Gestalt üblich war. 1. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben. 1) Sich freuen, fröhlich seyn, in guter Bedeutung, in Menkens Script. Th. 2. S. 2047. 2) Muthwillig seyn, vor Freuden springen u.s.f. bey dem Kaisersberg. 3) Im Überflusse leben, bey dem Dasypodius. 4) Der Geilheit nachgehen; wenigstens scheinet folgende Stelle in dem Logau diesen Verstand zu haben.
 
Andre mögen geilen, da bey Grethen, dort bey Käthen.
 
2. Als ein Activum. 1) Reichlich segnen, Überfluß verschaffen.
 
Daz du min Hertze heilis
Und in Genaden geilis,
 
Ieroschim bey dem Frisch. 2) Düngen, den Acker fett machen; in welchem Verstande man noch in einigen Gegenden auf dem Lande den Acker geilet, oder begeilet. 3) Das Reciprocum sich geilen scheinet ehedem auch für einwurzeln, fest setzen, oder doch in einem ähnlichen Verstande gebraucht zu seyn.
 
Swo sih bescheidenheit in wibes herzen geilet
Diu zweiet unt fruihet selde und ere,
Burkh. v. Hohenfels.
 
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