Adelung Wörterbuch
All
. Aller, alle, alles, ein Wort, welches in den meisten Fällen den Begriff der Allgemeinheit ausdrucket, und in dreyerley Gestalt üblich ist. I. * Als ein Umstandswort,
welches dessen ursprüngliche Gestalt ist, der Zahl, Menge und innern Stärke nach erschöpft. Der Wein ist schon all, es ist kein Wein mehr da, er ist verbraucht. Sein Vermögen all machen, erschöpfen, verzehren. Es wird bald alles all seyn. Bis daß eure Leiber all werden in der Wüsten, 4. Mos. 14, 33. Die Missethat der Amoriter ist noch nicht alle, 1. Mos. 15, 16. Das größte Vergnügen wird alle, wenn die Frau keine Wirthinn ist, Gell. Eigentlich kann es hier nicht anders als all lauten; wird ihm zuweilen das e angehängt, alle, so geschiehet es um des Wohllautes willen, die harte Einsylbigkeit zu vermeiden. Doch dieses ganze Umstandswort ist in der anständigen Sprech- und Schreibart der Hochdeutschen veraltet, und nur noch im gemeinen Leben, und im gesellschaftlichen Umgange, besonders in Niedersachsen, üblich. In der edlern Schreibart bedient man sich dafür lieber einer Umschreibung.
II. Als ein Adjectiv,
welches durch die Concretion aus dem vorigen gebildet worden, überhaupt den Begriff der Allgemeinheit bezeichnet, aber so wohl in der Declination, als auch in seinem Verhältnisse gegen andere Wörter viel von der Natur der Pronominum an sich hat, und daher auch von einigen zu diesen, von andern aber richtiger zu den allgemeinen Zahlwörtern gerechnet wird. Vermöge seiner Bedeutung ist es keines Comparatives noch Superlatives fähig, und bestimmt die Substantiva, die es bey sich hat, oder die darunter verstanden werden, so genau, daß ordentlicher Weise kein Artikel mehr Statt hat. Es wird aber in dieser Form auf eine gedoppelte Art gebraucht.
1. Mit ausdrücklicher Beyfügung des Substantivi und Pronominis, und da bezeichnet es die Allgemeinheit.
1) Der Zahl nach, oder distributive, in Rücksicht auf die verschiedenen Individua einer gewissen Art, die als zusammen genommen vorgestellet werden sollen, in welchem Falle es mit seinem Substantive und Pronomine alle Mahl im Plural stehet. Alle Menschen müssen sterben. Der Wechsel aller Sachen. Vor allen Dingen. Zu allen Zeiten. Wir alle, die wir hier sind. Er wird noch leben, wenn sie alle todt sind. Das wußten wir alle. Ich komme von ihnen allen. Plato, Seneca, und wie sie alle heißen.
Ordentlicher Weise stehet es alsdann vor dem Substantive oder unmittelbar nach dem Pronomine, welches dessen Stelle vertritt. Wenn aber das Substantiv einen Artikel bey sich hat, so tritt es hinter dasselbe, und oft hinter das Verbum; oder vielmehr, wenn man das all um eines Nachdruckes willen aus seiner Stelle reißen, und es hinter sein Substantivum setzen will, so muß dieses den bestimmten Artikel bekommen. Die Leute alle sahen es. Die Juwelen habe ich noch alle. Die Arten, wodurch man das Geld verthut, sind mir alle zu beschwerlich. Die Narren sehen, wie die Menschen, alle einander ähnlich. Im Genitiv findet diese Versetzung nicht Statt; nicht, die Rechtschaffenheit dieser Menschen aller, sondern aller dieser Menschen. Nothwendig hingegen ist sie bey allen Pronominibus, und zwar in allen Endungen. Sie arbeiten alle. Sie lieben alle die Alten. Sie werden alle kommen. Wir können nicht alle so gelehrt sprechen. Wir haben alle unsere Fehler, Gell. Ihrer aller Freund, Unser aller Vater.
Besonders thut die Inversion nach Substantiven, welche doch nur um eines besondern Nachdruckes willen geduldet werden kann, in der höhern Schreibart gute Dienste, nur daß ein richtiges Gehör erfordert wird, dem alle seine rechte Stelle anzuweisen. Wie hat dieser grausame Frevler die Blumen alle zerstreuet! Die Stimme wird gelassener, die Glieder alle gerathen in einen Stand der Ruhe, Less. Und die Thränen ihres Sohnes flossen alle umsonst, Dusch. Erst werden die Welten alle vergehen, Klopst.
Nein! nein! die Weiber siechten alle,
Wenn dieses Übel schädlich wär,
Gell.
O Freund, der du die Sterne
Des Himmels alle zählst,
Gleim.
Die Weisen alle dienen,
Die Völker lernen schon,
Raml.
Diese Wortfügung war schon den Alten bekannt. So singt z.B. Ottfried,
Unio er fuar ouh thanne
Ubar himila alle,
d.i. wie er auch von dannen fuhr über die Himmel alle; und an einem andern Orte, thie odegun alle firliuze er itale, die Reichen alle ließ er leer. Ingleichen, so sint thie thegana alle, so sind die Knechte alle. Ferner, Minnisgon alle, alle Menschen. Alsam die toren alle tuont, Reimar der Alte. Doch da es bey ihnen ganz etwas gewöhnliches war, die Adjectiva den Substantiven nachzusetzen, so scheinet diese Inversion mit dem alle noch ein Überrest davon zu seyn.
Zuweilen, wo keine Nothwendigkeit vorhanden ist, die Allgemeinheit besonders auszudrucken, stehet es um eines entweder wahren oder eingebildeten Nachdruckes willen. Z.B. Und wer sind den alle diese feinen Leute? Sagen sie mir, was sie mit allen den vergeblichen Reden haben wollen. Besonders geschiehet solches mit einigen Zahlwörtern. Alle beyde. Sie kommen alle drey. Ich sah den Kutscher mit allen vier Pferden erkaufen, Gell.
Die Redensart auf alle Tage ist elliptisch, und bedeutet so viel, als auf alle gemeine Tage, d.i. auf die Wochen- oder Werktage, im Gegensatze der Fest- und Feyertage. Ein Kleid, ein Hut auf alle Tage. S. auch Alltäglich und Alltags.
2) Der Quantität oder Menge nach, collective, in Beziehung auf das Ganze, welches die entweder neben einander bestehenden Individua, oder die auf einander folgenden Theile, ausmachen, und da stehet mit seinem Substantive im Singular und vertritt die Stelle des Adjectives ganz. Alles Land in Contribution setzen, das ganze. Ich bin ihnen dafür mehr verbunden, als für alle Wartung. Alle meine Freude hat nun ein Ende. Ich arme Frau, komme um alle meine Freude, die ich mir eingebildet hatte, Gell. Alle unsere Sorge wäre durch diese Schickung gehoben, ebend. Es ist mir lieb, daß sie noch nicht alle Hoffnung von mir verloren haben, ebend. Wollen sie uns denn um alle Sittsamkeit und um allen Wohlstand bringen? ebend. Besonders liebt alle in dieser Bedeutung das Substantiv Welt, welches in dieser Verbindung oft verschiedene Nebenbedeutungen bekommt. Alle Welt redet davon, jederman. Alle Welt fliehet seine Gegenwart. Er freuet sich, wenn es aller Welt wohl gehet. Und wenn ich aller Welt Reichthümer besäße. Das ist in aller Welt bekannt. Nun das begreife ich doch in aller Welt nicht. Dann können sie alle Welt auslachen. S. Welt.
Auch in dieser Bedeutung war dieses Wort schon den Alten bekannt. Alla so baurgs, die ganze Stadt, Ulphil. Alliu ruahha, alle Sorge, Kero. Ellu fin giuualto, alle seine Gewalt, Ottfr. Allen dag, den ganzen Tag, Notk. Und swiget allen einen tag, einen ganzen Tag, Reimar der Alte. Allan thesan worolt thiot, alles dieses Volk der Welt, Ottfr.
3) Der Intension, der innern Stärke und Vollkommenheit dieses Ganzen nach. Sind sie ein Thor, fing ich in aller Angst an, voller Angst. Er wollte mir es mit aller Gewalt aufdringen. Ich kam noch zu allem Glücke dazu. Es hat alle Ursache dazu gehabt. Ich sage es dir in allem Ernste. Ich redete mit ihm in aller Gelassenheit. Ich sagte in allem Guten zu ihm. Das Loos! das Loos! Um aller Barmherzigkeit willen! Gell. Ich habe alle Hochachtung für sie. Ich that mir alle Gewalt an. Mir muß er mit aller Achtung begegnen. Es ist mit allem Fleiße gemacht. Aller Kürze unbeschadet. Der Plural kommt in dieser Bedeutung wenig vor; doch sagt man: man kann einander in allen Ehren lieben.
Soll der Gegensatz von dem alle in dieser Bedeutung ausgedruckt werden, so wird demselben das Vorwort ohne vorgesetzet. Ohne allen Zwiefel. Ohne alle Ursache. Ohne alles Bedenken. Das Leichenbegängniß wurde ohne alle Pracht gefeyert. Ohne alle Barmherzigkeit. Ich will mich glücklich schätzen, wenn sie mich nicht ohne alle Hoffnung fortreisen lassen, Gell. Ich bin ja ohne alle Schuld, ebend.
4) In Rücksicht auf das Gegentheil des bezeichneten Ganzen, welches dadurch völlig ausgeschlossen und verneinet wird, für nichts als. Ich ziehe euch zu allem Guten. Ich habe ihn alle Wohlthaten erwiesen. Er redet alles Böse von mir. Einem alles Liebe und Gute erweisen. S. im folgenden die Anm.
5) In Rücksicht auf jeden einzelnen Theil, der das Ganze mit ausmacht, besondres; in welchem Falle es für jeder stehet, und so wohl im Singular als Plural üblich ist. Aller Anfang ist schwer. Aller Wollust (einer jeden Art von Wollust) ergeben seyn. Alles Wasser ist dazu gut. Das muß ihnen Statt alles Beweises dienen. Das Haus drohet alle Augenblicke (jeden Augenblick) einzufallen. Ich dächte, daß er ihrer alle Stunden werth wäre, Gell. Eben deßwegen singt und bethet sie alle Stunden, weil sie alle Stunden reicher werden will, Gell. Sie ist eine Feindinn aller Eitelkeit, ebend. Auf allen Fall, auf jeden Fall der sich zutragen kann. Alle Tage, alle Jahre, alle Wochen, alle Stunden. Alle Sonnabend gehet er in die Stadt, jeden Sonnabend. Alle vier Jahre, nach jedem dritten Jahre. Alle drey Monathe, nach jedem zweyten Monathe. So auch, alle sechs Meilen, alle zwanzig Ellen, alle zehn Schuh. Indessen kann all nicht in jedem Falle die Stelle des jeder vertreten, besonders, wenn dieses im Singular stehet. Aller Mensch hat seine Fehler, sie fanden bey allem Diebe drey Messer u.s.f. läßt sich nicht sagen, ob man gleich keine andere Ursache, als den Mangel des Gebrauches, davon wird angeben können.
Wenn alle in dieser Bedeutung mit solchen Wörtern verbunden wird, die eine Zeit oder ein Maß bedeuten, so ist in einigen Provinzen dafür die zweyte Endung aller gebräuchlich. Man siehet ja nicht aller zwey Meilen einen Galgen, Less. Ich richte mich so ein, daß ich meisten Theils aller sechs Wochen eine neue Herrschaft habe, ebend. Allein dem guten Geschmacke ist diese Wortfügung fremd.
2. Mit Auslassung des Substantives und Pronominis, den schon oben bemerkten Begriff der Allgemeinheit auszudrücken. Und zwar, 1) Im Plural, wo die Hauptwörter Menschen, Dinge, Sachen, Stücke u.s.f. darunter verstanden werden. Alle sagen es. Aller Augen warten auf dich. Sein Haus steht allen offen. Es war der liebreichste Mann, der mich und alle zum Mitleiden bewog, alle, die ihn sahen. Du übertriffst sie in allen, in allen Stücken. Alle die ihr hier seyd, ihr alle. Vornehmlich aber,
2) Im Singular, wo das Neutrum alles sehr häufig Statt eines ausgelassenen Substantives, oder auch Statt einer verschwiegenen ganzen Redensart stehet, welche die bezeichnete Allgemeinheit näher bestimmet, und wobey es zuweilen auf verschiedene Nebenbegriffe weiset. Es stehet aber,
(a) Sofern nur überhaupt eine Allgemeinhaft ausgedruckt werden soll, ohne Bezug auf deren übrige Verhältnisse. Alles zürnet wider mich, alle Menschen. Alles was Waffen tragen konnte. Wo er nur hinkommt, läuft ihm alles entgegen. Gaubius im Haag, Schlosser zu Amsterdam, Camper zu Harlem, alles berühmte Ärzte, d.i. welche Männer insgesammt berühmte Ärzte sind.
Denn alles will den grünen Esel seyn,
Und alle konnten doch nicht mit dem Esel gehn,
Gell.
So auch von Sachen. Alles dieses, oder, dieses alles, habe ich längst wahrgenommen. Alles dieses ist Ursache, daß ich nicht gekommen bin. Das thue ich um alles in der Welt nicht, um alle Reichthümer in der Welt. So bald alles fertig seyn wird, will ich dich rufen. So lange ich lebe, will ich alles an dich wenden. Ich verspreche dir alles. Der Himmel gebe ihnen alles, was sie sich selber wünschen. Wegen alles dessen konnte ich nicht kommen. Ich bin in allem seiner Meinung. Er schickt sich zu allem. Die Religion ist das heiligste unter allem, was ein Vernünftiger hochschätzen kann, Gell. Ingleichen, in manchen Fällen mit der Inversion. Allein es hilft ihm alles nichts. Das ist alles nichts. Gedulden sie sich, es wird noch alles gut werden. Das mag ich alles nicht wissen. Da alles hier ein wahres Collectivum ist, so leidet es auch das Verbum im Plural, wenn das folgende Substantiv denselben erfordet. Alles übrige sind Possen, Gell. Alles das sind Lügen. Aber dieses sind ja alles unschuldige Dinge, ebend. Oft nimmt es auch, besonders im gemeinen Leben, verschiedene Zusätze an, die Allgemeinheit noch nachdrücklicher vorzustellen. Er gilt alles in allem bey ihm. Ich will alles in der Welt für dich thun. Alles mit einander. Alles und jedes.
(b) Sofern die einzelnen Theile als zusammen gezählet vorgestellt werden. Es sind in allem sechs Thaler. Es währete in allem vier Wochen. Wie viel sind es in allem. Es kostet mir alles in allem zehn Thaler.
(c) So fern der einzelnen Theile viele sind, besonders mit was, und ausrufungsweise. Es ist erstaunlich, was er alles weiß. Ach, was wollte ich nicht alles für dich thun! Was fordern sie nicht alles von mir!
(d) So fern dadurch der Gegenstand so erschöpft wird, daß nichts übrig bleibt. Das ist alles, nun ist weiter nichts mehr vorhanden. Das ist noch lange nicht alles, was ich ihnen zu sagen habe. Das ist auch alles was ich ihm nur wünschen kann. Alles was ich thun kann, ist dieses, oder, dieses ist alles was ich thun kann. Alles, was sie mir antwortete, war dieses, oder, dieses war alles, was sie mir antwortete.
Obgleich alles in allen bisher angeführten Bedeutungen die Stelle eines Substantives vertritt: so ist es doch nicht gewöhnlich, dasselbe mit einem großen Buchstaben zu schreiben. Indessen gibt es Fälle, wo es,
III. Als ein Substantiv,
im eigentlichsten Verstande gebraucht wird. Man bedienet sich dazu so wohl,
1.* Des unconcrescirten Adverbii all, den ganzen Umfang gewisser Dinge anzudeuten, in welchem Fall es auch den Artikel vor sich leidet.
Das ist ihr ganzes All, ihr Trost und ihre Ruh,
Opitz.
Allein, da das ein Umstandswort all in der anständigen Schreibart veraltet ist, so hat man auch dieses Substantiv mit allem Rechte veralten lassen, und die neuern Dichter haben daher nicht wohl gethan, wenn sie es, besonders in dem Begriffe der Welt, wieder zu Ehren zu bringen gesucht, zumahl da es nicht das mindeste Anschauliche hat.
Der Vater der Natur denkt, weist in jedem Falle,
Im All auf jedes Glied, in jedem Glied aufs Alle,
Dusch.
Nur eine schwache Änderung darf ihren Gang verdrehn,
So wird in einem Schiffbruch das All zu Grunde gehn,
Ebend.
Und schmölze dieses All in seine Elemente,
ebend.
In der ersten Stelle ist noch dazu die Declination aufs alle unrichtig, indem die unconcrescirten Adverbia, wenn sie als Substantiva gebraucht werden, völlig indeclinabel sind, das Schwarz, des Schwarz, dem Schwarz. So auch das Grün, das Weiß, das Allgut, u.s.f.
2. Als auch des vollständigen Neutrus Alles, in der höhern Schreibart, für aller Trost, aller Reichthum u.s.f. doch nur im Singular, und als ein Indeclinabile ohne Artikel, auch nur mit den Possessivis mein, dein u.s.f. Ja du Hälfte meiner selbst, mein Leben, mein Alles, Weiße. Unser Schutz, unsere Hoffnung, unser Alles ist mit ihm gestorben. Grausamer, was hast du gethan? Du hast meinen Vater, meinen Trost, mein Alles ermordet! Barbar, du hast mich von meinem Alles getrennet!
welches dessen ursprüngliche Gestalt ist, der Zahl, Menge und innern Stärke nach erschöpft. Der Wein ist schon all, es ist kein Wein mehr da, er ist verbraucht. Sein Vermögen all machen, erschöpfen, verzehren. Es wird bald alles all seyn. Bis daß eure Leiber all werden in der Wüsten, 4. Mos. 14, 33. Die Missethat der Amoriter ist noch nicht alle, 1. Mos. 15, 16. Das größte Vergnügen wird alle, wenn die Frau keine Wirthinn ist, Gell. Eigentlich kann es hier nicht anders als all lauten; wird ihm zuweilen das e angehängt, alle, so geschiehet es um des Wohllautes willen, die harte Einsylbigkeit zu vermeiden. Doch dieses ganze Umstandswort ist in der anständigen Sprech- und Schreibart der Hochdeutschen veraltet, und nur noch im gemeinen Leben, und im gesellschaftlichen Umgange, besonders in Niedersachsen, üblich. In der edlern Schreibart bedient man sich dafür lieber einer Umschreibung.
II. Als ein Adjectiv,
welches durch die Concretion aus dem vorigen gebildet worden, überhaupt den Begriff der Allgemeinheit bezeichnet, aber so wohl in der Declination, als auch in seinem Verhältnisse gegen andere Wörter viel von der Natur der Pronominum an sich hat, und daher auch von einigen zu diesen, von andern aber richtiger zu den allgemeinen Zahlwörtern gerechnet wird. Vermöge seiner Bedeutung ist es keines Comparatives noch Superlatives fähig, und bestimmt die Substantiva, die es bey sich hat, oder die darunter verstanden werden, so genau, daß ordentlicher Weise kein Artikel mehr Statt hat. Es wird aber in dieser Form auf eine gedoppelte Art gebraucht.
1. Mit ausdrücklicher Beyfügung des Substantivi und Pronominis, und da bezeichnet es die Allgemeinheit.
1) Der Zahl nach, oder distributive, in Rücksicht auf die verschiedenen Individua einer gewissen Art, die als zusammen genommen vorgestellet werden sollen, in welchem Falle es mit seinem Substantive und Pronomine alle Mahl im Plural stehet. Alle Menschen müssen sterben. Der Wechsel aller Sachen. Vor allen Dingen. Zu allen Zeiten. Wir alle, die wir hier sind. Er wird noch leben, wenn sie alle todt sind. Das wußten wir alle. Ich komme von ihnen allen. Plato, Seneca, und wie sie alle heißen.
Ordentlicher Weise stehet es alsdann vor dem Substantive oder unmittelbar nach dem Pronomine, welches dessen Stelle vertritt. Wenn aber das Substantiv einen Artikel bey sich hat, so tritt es hinter dasselbe, und oft hinter das Verbum; oder vielmehr, wenn man das all um eines Nachdruckes willen aus seiner Stelle reißen, und es hinter sein Substantivum setzen will, so muß dieses den bestimmten Artikel bekommen. Die Leute alle sahen es. Die Juwelen habe ich noch alle. Die Arten, wodurch man das Geld verthut, sind mir alle zu beschwerlich. Die Narren sehen, wie die Menschen, alle einander ähnlich. Im Genitiv findet diese Versetzung nicht Statt; nicht, die Rechtschaffenheit dieser Menschen aller, sondern aller dieser Menschen. Nothwendig hingegen ist sie bey allen Pronominibus, und zwar in allen Endungen. Sie arbeiten alle. Sie lieben alle die Alten. Sie werden alle kommen. Wir können nicht alle so gelehrt sprechen. Wir haben alle unsere Fehler, Gell. Ihrer aller Freund, Unser aller Vater.
Besonders thut die Inversion nach Substantiven, welche doch nur um eines besondern Nachdruckes willen geduldet werden kann, in der höhern Schreibart gute Dienste, nur daß ein richtiges Gehör erfordert wird, dem alle seine rechte Stelle anzuweisen. Wie hat dieser grausame Frevler die Blumen alle zerstreuet! Die Stimme wird gelassener, die Glieder alle gerathen in einen Stand der Ruhe, Less. Und die Thränen ihres Sohnes flossen alle umsonst, Dusch. Erst werden die Welten alle vergehen, Klopst.
Nein! nein! die Weiber siechten alle,
Wenn dieses Übel schädlich wär,
Gell.
O Freund, der du die Sterne
Des Himmels alle zählst,
Gleim.
Die Weisen alle dienen,
Die Völker lernen schon,
Raml.
Diese Wortfügung war schon den Alten bekannt. So singt z.B. Ottfried,
Unio er fuar ouh thanne
Ubar himila alle,
d.i. wie er auch von dannen fuhr über die Himmel alle; und an einem andern Orte, thie odegun alle firliuze er itale, die Reichen alle ließ er leer. Ingleichen, so sint thie thegana alle, so sind die Knechte alle. Ferner, Minnisgon alle, alle Menschen. Alsam die toren alle tuont, Reimar der Alte. Doch da es bey ihnen ganz etwas gewöhnliches war, die Adjectiva den Substantiven nachzusetzen, so scheinet diese Inversion mit dem alle noch ein Überrest davon zu seyn.
Zuweilen, wo keine Nothwendigkeit vorhanden ist, die Allgemeinheit besonders auszudrucken, stehet es um eines entweder wahren oder eingebildeten Nachdruckes willen. Z.B. Und wer sind den alle diese feinen Leute? Sagen sie mir, was sie mit allen den vergeblichen Reden haben wollen. Besonders geschiehet solches mit einigen Zahlwörtern. Alle beyde. Sie kommen alle drey. Ich sah den Kutscher mit allen vier Pferden erkaufen, Gell.
Die Redensart auf alle Tage ist elliptisch, und bedeutet so viel, als auf alle gemeine Tage, d.i. auf die Wochen- oder Werktage, im Gegensatze der Fest- und Feyertage. Ein Kleid, ein Hut auf alle Tage. S. auch Alltäglich und Alltags.
2) Der Quantität oder Menge nach, collective, in Beziehung auf das Ganze, welches die entweder neben einander bestehenden Individua, oder die auf einander folgenden Theile, ausmachen, und da stehet mit seinem Substantive im Singular und vertritt die Stelle des Adjectives ganz. Alles Land in Contribution setzen, das ganze. Ich bin ihnen dafür mehr verbunden, als für alle Wartung. Alle meine Freude hat nun ein Ende. Ich arme Frau, komme um alle meine Freude, die ich mir eingebildet hatte, Gell. Alle unsere Sorge wäre durch diese Schickung gehoben, ebend. Es ist mir lieb, daß sie noch nicht alle Hoffnung von mir verloren haben, ebend. Wollen sie uns denn um alle Sittsamkeit und um allen Wohlstand bringen? ebend. Besonders liebt alle in dieser Bedeutung das Substantiv Welt, welches in dieser Verbindung oft verschiedene Nebenbedeutungen bekommt. Alle Welt redet davon, jederman. Alle Welt fliehet seine Gegenwart. Er freuet sich, wenn es aller Welt wohl gehet. Und wenn ich aller Welt Reichthümer besäße. Das ist in aller Welt bekannt. Nun das begreife ich doch in aller Welt nicht. Dann können sie alle Welt auslachen. S. Welt.
Auch in dieser Bedeutung war dieses Wort schon den Alten bekannt. Alla so baurgs, die ganze Stadt, Ulphil. Alliu ruahha, alle Sorge, Kero. Ellu fin giuualto, alle seine Gewalt, Ottfr. Allen dag, den ganzen Tag, Notk. Und swiget allen einen tag, einen ganzen Tag, Reimar der Alte. Allan thesan worolt thiot, alles dieses Volk der Welt, Ottfr.
3) Der Intension, der innern Stärke und Vollkommenheit dieses Ganzen nach. Sind sie ein Thor, fing ich in aller Angst an, voller Angst. Er wollte mir es mit aller Gewalt aufdringen. Ich kam noch zu allem Glücke dazu. Es hat alle Ursache dazu gehabt. Ich sage es dir in allem Ernste. Ich redete mit ihm in aller Gelassenheit. Ich sagte in allem Guten zu ihm. Das Loos! das Loos! Um aller Barmherzigkeit willen! Gell. Ich habe alle Hochachtung für sie. Ich that mir alle Gewalt an. Mir muß er mit aller Achtung begegnen. Es ist mit allem Fleiße gemacht. Aller Kürze unbeschadet. Der Plural kommt in dieser Bedeutung wenig vor; doch sagt man: man kann einander in allen Ehren lieben.
Soll der Gegensatz von dem alle in dieser Bedeutung ausgedruckt werden, so wird demselben das Vorwort ohne vorgesetzet. Ohne allen Zwiefel. Ohne alle Ursache. Ohne alles Bedenken. Das Leichenbegängniß wurde ohne alle Pracht gefeyert. Ohne alle Barmherzigkeit. Ich will mich glücklich schätzen, wenn sie mich nicht ohne alle Hoffnung fortreisen lassen, Gell. Ich bin ja ohne alle Schuld, ebend.
4) In Rücksicht auf das Gegentheil des bezeichneten Ganzen, welches dadurch völlig ausgeschlossen und verneinet wird, für nichts als. Ich ziehe euch zu allem Guten. Ich habe ihn alle Wohlthaten erwiesen. Er redet alles Böse von mir. Einem alles Liebe und Gute erweisen. S. im folgenden die Anm.
5) In Rücksicht auf jeden einzelnen Theil, der das Ganze mit ausmacht, besondres; in welchem Falle es für jeder stehet, und so wohl im Singular als Plural üblich ist. Aller Anfang ist schwer. Aller Wollust (einer jeden Art von Wollust) ergeben seyn. Alles Wasser ist dazu gut. Das muß ihnen Statt alles Beweises dienen. Das Haus drohet alle Augenblicke (jeden Augenblick) einzufallen. Ich dächte, daß er ihrer alle Stunden werth wäre, Gell. Eben deßwegen singt und bethet sie alle Stunden, weil sie alle Stunden reicher werden will, Gell. Sie ist eine Feindinn aller Eitelkeit, ebend. Auf allen Fall, auf jeden Fall der sich zutragen kann. Alle Tage, alle Jahre, alle Wochen, alle Stunden. Alle Sonnabend gehet er in die Stadt, jeden Sonnabend. Alle vier Jahre, nach jedem dritten Jahre. Alle drey Monathe, nach jedem zweyten Monathe. So auch, alle sechs Meilen, alle zwanzig Ellen, alle zehn Schuh. Indessen kann all nicht in jedem Falle die Stelle des jeder vertreten, besonders, wenn dieses im Singular stehet. Aller Mensch hat seine Fehler, sie fanden bey allem Diebe drey Messer u.s.f. läßt sich nicht sagen, ob man gleich keine andere Ursache, als den Mangel des Gebrauches, davon wird angeben können.
Wenn alle in dieser Bedeutung mit solchen Wörtern verbunden wird, die eine Zeit oder ein Maß bedeuten, so ist in einigen Provinzen dafür die zweyte Endung aller gebräuchlich. Man siehet ja nicht aller zwey Meilen einen Galgen, Less. Ich richte mich so ein, daß ich meisten Theils aller sechs Wochen eine neue Herrschaft habe, ebend. Allein dem guten Geschmacke ist diese Wortfügung fremd.
2. Mit Auslassung des Substantives und Pronominis, den schon oben bemerkten Begriff der Allgemeinheit auszudrücken. Und zwar, 1) Im Plural, wo die Hauptwörter Menschen, Dinge, Sachen, Stücke u.s.f. darunter verstanden werden. Alle sagen es. Aller Augen warten auf dich. Sein Haus steht allen offen. Es war der liebreichste Mann, der mich und alle zum Mitleiden bewog, alle, die ihn sahen. Du übertriffst sie in allen, in allen Stücken. Alle die ihr hier seyd, ihr alle. Vornehmlich aber,
2) Im Singular, wo das Neutrum alles sehr häufig Statt eines ausgelassenen Substantives, oder auch Statt einer verschwiegenen ganzen Redensart stehet, welche die bezeichnete Allgemeinheit näher bestimmet, und wobey es zuweilen auf verschiedene Nebenbegriffe weiset. Es stehet aber,
(a) Sofern nur überhaupt eine Allgemeinhaft ausgedruckt werden soll, ohne Bezug auf deren übrige Verhältnisse. Alles zürnet wider mich, alle Menschen. Alles was Waffen tragen konnte. Wo er nur hinkommt, läuft ihm alles entgegen. Gaubius im Haag, Schlosser zu Amsterdam, Camper zu Harlem, alles berühmte Ärzte, d.i. welche Männer insgesammt berühmte Ärzte sind.
Denn alles will den grünen Esel seyn,
Und alle konnten doch nicht mit dem Esel gehn,
Gell.
So auch von Sachen. Alles dieses, oder, dieses alles, habe ich längst wahrgenommen. Alles dieses ist Ursache, daß ich nicht gekommen bin. Das thue ich um alles in der Welt nicht, um alle Reichthümer in der Welt. So bald alles fertig seyn wird, will ich dich rufen. So lange ich lebe, will ich alles an dich wenden. Ich verspreche dir alles. Der Himmel gebe ihnen alles, was sie sich selber wünschen. Wegen alles dessen konnte ich nicht kommen. Ich bin in allem seiner Meinung. Er schickt sich zu allem. Die Religion ist das heiligste unter allem, was ein Vernünftiger hochschätzen kann, Gell. Ingleichen, in manchen Fällen mit der Inversion. Allein es hilft ihm alles nichts. Das ist alles nichts. Gedulden sie sich, es wird noch alles gut werden. Das mag ich alles nicht wissen. Da alles hier ein wahres Collectivum ist, so leidet es auch das Verbum im Plural, wenn das folgende Substantiv denselben erfordet. Alles übrige sind Possen, Gell. Alles das sind Lügen. Aber dieses sind ja alles unschuldige Dinge, ebend. Oft nimmt es auch, besonders im gemeinen Leben, verschiedene Zusätze an, die Allgemeinheit noch nachdrücklicher vorzustellen. Er gilt alles in allem bey ihm. Ich will alles in der Welt für dich thun. Alles mit einander. Alles und jedes.
(b) Sofern die einzelnen Theile als zusammen gezählet vorgestellt werden. Es sind in allem sechs Thaler. Es währete in allem vier Wochen. Wie viel sind es in allem. Es kostet mir alles in allem zehn Thaler.
(c) So fern der einzelnen Theile viele sind, besonders mit was, und ausrufungsweise. Es ist erstaunlich, was er alles weiß. Ach, was wollte ich nicht alles für dich thun! Was fordern sie nicht alles von mir!
(d) So fern dadurch der Gegenstand so erschöpft wird, daß nichts übrig bleibt. Das ist alles, nun ist weiter nichts mehr vorhanden. Das ist noch lange nicht alles, was ich ihnen zu sagen habe. Das ist auch alles was ich ihm nur wünschen kann. Alles was ich thun kann, ist dieses, oder, dieses ist alles was ich thun kann. Alles, was sie mir antwortete, war dieses, oder, dieses war alles, was sie mir antwortete.
Obgleich alles in allen bisher angeführten Bedeutungen die Stelle eines Substantives vertritt: so ist es doch nicht gewöhnlich, dasselbe mit einem großen Buchstaben zu schreiben. Indessen gibt es Fälle, wo es,
III. Als ein Substantiv,
im eigentlichsten Verstande gebraucht wird. Man bedienet sich dazu so wohl,
1.* Des unconcrescirten Adverbii all, den ganzen Umfang gewisser Dinge anzudeuten, in welchem Fall es auch den Artikel vor sich leidet.
Das ist ihr ganzes All, ihr Trost und ihre Ruh,
Opitz.
Allein, da das ein Umstandswort all in der anständigen Schreibart veraltet ist, so hat man auch dieses Substantiv mit allem Rechte veralten lassen, und die neuern Dichter haben daher nicht wohl gethan, wenn sie es, besonders in dem Begriffe der Welt, wieder zu Ehren zu bringen gesucht, zumahl da es nicht das mindeste Anschauliche hat.
Der Vater der Natur denkt, weist in jedem Falle,
Im All auf jedes Glied, in jedem Glied aufs Alle,
Dusch.
Nur eine schwache Änderung darf ihren Gang verdrehn,
So wird in einem Schiffbruch das All zu Grunde gehn,
Ebend.
Und schmölze dieses All in seine Elemente,
ebend.
In der ersten Stelle ist noch dazu die Declination aufs alle unrichtig, indem die unconcrescirten Adverbia, wenn sie als Substantiva gebraucht werden, völlig indeclinabel sind, das Schwarz, des Schwarz, dem Schwarz. So auch das Grün, das Weiß, das Allgut, u.s.f.
2. Als auch des vollständigen Neutrus Alles, in der höhern Schreibart, für aller Trost, aller Reichthum u.s.f. doch nur im Singular, und als ein Indeclinabile ohne Artikel, auch nur mit den Possessivis mein, dein u.s.f. Ja du Hälfte meiner selbst, mein Leben, mein Alles, Weiße. Unser Schutz, unsere Hoffnung, unser Alles ist mit ihm gestorben. Grausamer, was hast du gethan? Du hast meinen Vater, meinen Trost, mein Alles ermordet! Barbar, du hast mich von meinem Alles getrennet!