Adelung Wörterbuch
Anmerkungen.

1. Wenn im vorigen gesagt worden, daß alle und alles eine Allgemeinheit ausdrucken, so muß solches nicht alle Mahl in dem schärfsten Verstande genommen werden; denn zuweilen stehen sie, vermöge der Vergrößerung, einer in allen Sprachen nicht ungewöhnlichen Figur, für viel. Aus dem vorigen erhellet zugleich, daß dieses Wort eben so oft im Singular, als im Plural gebraucht wird. Daher nicht zu begreifen ist, wo ein gewisser Sprachlehrer seine Gedanken gehabt haben müsse, als er feyerlich behauptete, es finde nur im Plural Statt. 2. Da dieses Adjectiv keinen Artikel vor sich leidet, wenn man nur nicht das Pronomen Demonstrativum der, die, das, für den Artikel hält: so ist es auch nur in der bestimmten Declination der Adjectiven üblich. Folglich gehet es so:
 
Singular. Plural.
Aller, alle, alles. Alle.
Alles, aller, alles. Aller.
Allem, aller, allem. Allen.
Allen, alle, alles. Alle.
 
Nur daß es im Dativo Singularis des männlichen und sächlichen Geschlechtes, wenn ein Pronomen vorher gehet, Statt allem, nur allen lautet. Bey dem allen. Wie dem allen sey. Welches auch in andern Fällen um des Wohlklanges willen geschiehet, um nicht zwey em unmittelbar auf einander folgen zu lassen.
Da nun alle bloß in der bestimmten Declination der Adjectiven üblich ist, so bekommen auch die darauf folgenden Adjectiven wie in andern Fällen, nur die unbestimmte Declination. Alles äußerliche Ansehen. Aller große und viele Reichthum. Bey allem großen Vermögen. Aller goldenen Schätze ungeachtet. Aller guten Dinge sind drey. Ich erziehe sie zu allem Guten. Ausgenommen ist, (a) das im gemeinen Leben übliche, einem alles Liebes und Gutes erweisen, für alles Liebe und Gute, wie schon Burkard von Hohenfels sang, alles liebes wil ich ir nimer abegan. Ingleichen alles Gutes von einem sprechen, lauter Gutes; dagegen es in andern Fällen alles Gute heißt. (b) Im Nominative des Plurals wird das folgende Adjectiv lieber ohne n als mit demselben declinirt, welches auch nach einiger, mancher, viel und ander Statt findet. Alle gute Männer, für guten. Alle gute Frauen. Alle gute Ermahnungen helfen nichts. Ich habe deiner Tochter alle mögliche Vorstellungen gethan, Gell. Ach, es kostet viel, wenn eine Frau alle neue Moden mitmachen will, eben derselbe.
Da die Pronomina nur allein die bestimmte Declination der Adjectiven leiden, so behalten sie selbige auch nach dem alle. Alles mein Blut ist in Unordnung gerathen. Er richtet mit allem seinem Gelde nicht aus. Aller dieser Segen, Gell. nicht diese. Mit allem dem. Die Tugend in allem ihrem Glanze zeigen. Bey allem meinem Glücke mache ich vielleicht meine Freundinn unglücklich, Gell. Nichts will ich von allem dem sagen, was sie hier finden soll, Dusch. Sagen sie ihr, daß sie bey allen ihren Büchern eine Närrin ist, Gell.
Es ist daher fehlerhaft, wenn das all in solchen Fällen verstümmelt, und seiner Declinations-Zeichen beraubt wird. Alle mein Blut ist in Unordnung gerathen, für alles. Sie will alle ihr Vermögen daran setzen, Gell. Er richtet mit alle seinem Gelde nichts aus, für mit allem. Bey alle dem, für bey allem dem, oder besser, bey dem allen. Sie ist das Werkzeug, an dem sie alle den Gift ausläßt, den ihr Stolz hervor bringt, Gell. für allen. Bey alle den Schwachheiten meiner Schwägerinn, eben derselbe.
Es ist dieser auch noch im Hochdeutschen sehr übliche Fehler ein Überrest der Oberdeutschen Mundart, wo es sehr gewöhnlich ist, für dieses Wort in allen Zahlen, Endungen und Geschlechtern das unconcrescirte Umstandswort all an Statt des concrescirten Adjectives aller, alle, alles zu gebrauchen, und demselben den Artikel nachzusetzen, so wie es noch die Franzosen mit ihrem tout machen. Al der werlte pris, vor al der werlte, al den gruenen walt, us al der werlte, al der Selde der beste teil, al den sin, al die sinne, und hundert andere Beyspiele kommen noch häufig bey den Schwäbischen Dichtern vor. Oft pflegte man auch diesen Artikel mit dem all in Ein Wort zusammen zu ziehen. In alder werlte, vor alder werlte, des froit sich herze und alder lib, sind auch Beyspiele aus den Schwäbischen Dichtern. Wenn nun ein Pronomen folgte, so war es natürlich, daß der Artikel wegfallen mußte, und blieb den nur das all übrig; z.B. wieder aus den vorigen: Al min truren, dar inne al min froide lit, got nem im al sin ere, al solcher eren u.s.f. Indessen wurde dieses auch nicht alle Mahl beobachtet, denn bey eben denselben findet man auch: Aller min gedanc, allen minen muot, alle ir mere, alle ir arbeit, u.s.f. Diese alte indeclinable Form ist, obgleich auf eine sehr unregelmäßige Art, noch jetzt im Oberdeutschen üblich. Z.B. All dein Reichthum. All mein Verstand. All deines Glückes. All das Land, so du siehest. Wie all solches daraus erhellet. Die Stände all des Ihrigen berauben. Von Ausübung all anderer Feindseligkeiten abstehen. Da man es denn mit dem folgenden Nennworte wohl gar in Eines zusammen ziehet. Allthunlicher Dingen nach. Allgedeihlicher Vorschub. Allobiges. Mehrere Beyspiele werden die Schriften der Reichskanzelleyen im Überflusse gewehren. Man sollte daher diese im Hochdeutschen mit Recht veraltete Form nie wieder der Vergessenheit zu entreißen suchen. Wie rauh und kanzelleymäßig klingt nicht folgende Stelle aus dem Schlegel?
 
Wie unnütz ist all äußerlich Bestreben?
 
3) Außer den obigen angeführten Bedeutungen dieses Wortes wird dasselbe in den Provinzen noch auf verschiedene Arten gebraucht, die aber im Hochdeutschen unbekannt sind. So wird, der Genitivus Pluralis aller in Oberdeutschland als ein Adverbium für ganz gesetzet; oder vielmehr aller ist ein eigenes, vermittelst der Ableitungssylbe -er von all gebildetes Umstandswort, für ganz.
 
– Silenus aller trunken,
Opitz.
 
Der eingetheilte Witz wird aller angewandt,
Hall.
 
Er war so gar erschrocken, daß er aller zitterte, 2. Marc. 3. 17. am ganzen Leibe. Ihr Körper wird aller zu Ausdruck, Bodmer, für ihr ganzer Körper. Ich bin aller krank. Er ist aller närrisch. Das Papier ist aller naß. In ähnlicher Bedeutung sagte schon Ottfried: Thaz sus aller uuas funtan, daß es aller, oder wirklich, so gefunden wurde; und wenn man den Sächsischen Bergmann fragt, wie es gehe, so ist die Antwort: aller höflich, d.i. ganz hoffnungsvoll. 2) Das Neutrum alles, oder zusammen gezogen alls, ist gleichfalls in Oberdeutschland eine versichernde Partikel, für allezeit, immer nur, anders. Man ist alls den Reichen günstiger, als den Armen. Es muß es alls der Teufel gethan haben. Darnach fährst du alles im Wagen, Weiße. Auch dieser Gebrauch ist schon alt. Alles bedeutet schon bey dem Kero omnino, und in allum alles steti, heißt bey ihm so viel als an allen Orten. Wiht alles ni, ist auch bey dem Ottfried so viel al# nichts. Uua iz alles uuar in uuar, ebend. für wenn es anders wahr wäre. Aichinger, der doch selbst ein Oberdeutscher ist, weiß S. 381, seiner Sprachlehre nicht, was er aus dieser Partikel, die größten Theils ein sehr überflüssiges Flickwort ist, machen soll. Aber er irret sehr, wenn er sie mit also für einerley hält. Auf ähnliche Art gebrauchen 3) die Niedersachsen ihr al. Al darum, eben darum. Das ist al lustig, das ist doch lustig. Aber noch häufiger bedeutet es bey ihnen, 4) so viel als schon, bereits. Er ist al groß, er ist schon groß. Das ist al all, das ist schon all, oder schon zu Ende.
4. Man hat viele Wörter, die mit diesem Beyworte zusammen gesetzt sind. Es zeiget sich daselbst in einer dreyfachen Gestalt.
(a) Das unconcrescirte Adverbium all, wird so wohl mit Partikeln, als auch mit Adjectiven und Substantiven zusammen gesetzt. Jene haben wir insgesammt der Oberdeutschen Mundart zu danken, die sich durch ihren Hang zur Weitschweifigkeit und zu langen viersyilbigen Wörtern vorzüglich unterscheidet. All soll alsdann ihre Bedeutung verstärken, obgleich diese Verstärkung oft sehr unnöthig und unmerklich ist. Dergleichen sind, alibereits, allda, allhier, allwo, allso, oder wie man es beständig schreibt, also, u.a.m. die im folgenden vorkommen werden, wo man aber kein allschon, allforderist, alldaselbst, allfolglichen und hundert andere Oberdeutsche Verlängerungen suchen darf, mit welchen alle Kanzelleyenschriften dieser Gegenden reichlich versehen sind. Bey einigen einsylbigen Partikeln hat diese Verlängerungen zuweilen ihren Nutzen, weil sie den Numerum der Rede befördern kann, und dem kleinen Worte, wenn es mit einem Nachdrucke versehen ist, mehrern Umfang gibt; besonders wenn diese Partikeln am Ende eines Satzes zu stehen kommen; S. Allda, Allhier, Also. In allen diesen Fällen wird all voran gesetzet, nur in dem einzigen überall hängt es sich hinten an. Vor den Adjectiven und Substantiven hat es theils den Begriff der Allgemeinheit, theils auch der innern Vollkommenheit und Stärke. Dergleichen sind Allgegenwart, allgegenwärtig, Allmacht, allmächtig, allgütig, allgemein, u.s.f. In Oberdeutschland hat man auch von diesen Zusammensetzungen eine große Menge: alldasig, alldortig, allgedeylich, allgefällig, allschuldig und tausend andere sind ein Beweis davon. Nur sind die meisten Beywörter dieser Art daselbst unschickliche Zusammensetzungen von aller gedeylicher, aller gefälliger, aller schuldiger; z.B. allgedeylichen Vorschub thun, allgefällige Dienste leisten, allschuldigen Dank sagen. Ein Oberdeutscher wird daher einige unserer neuern Dichter, die mit solchen Zusammensetzungen sehr freygebig sind, gewiß sehr unrecht verstehen, wenn er bey ihnen eine allgefällige Göttinn, einen allgütigen May, eine allwachsame Sorge u.s.f. lieset. Da die ganze unconcrescirte Form all, wie schon gesagt worden, im Hochdeutschen veraltet ist, und nur noch in der niedrigen Sprechart lebt, so ist es wider die Analogie, sie zu neuen Zusammensetzungen zu gebrauchen, so häufig solches auch von manchen Schriftstellern geschiehet, wo man ein allbelebend, allbeseligend, allliebend, allnährend, u.s.f. findet. Allvater, von Gott gebraucht, hat wegen dieser veralteten Form sogar einen komischen Nebenbegriff. Übrigens waren dergleichen Zusammensetzungen schon den Alten geläufig. Alsuslich stehet bey dem Notker für solch. Alatharba bedeutet bey dem Ulphilas sehr bedürftig, alazioro und, alafesti, bey dem Ottfried sehr zierlich und sehr fest, und aluualt bey dem Tatian sehr mächtig. Selbst die Angelsachsen sagten ael-grene für sehr grün, und bey den alten und heutigen Isländern kommt diese Art von Intension gleichfalls sehr häufig vor.
(b) Der Nominat. so wohl Singular. als Plural. alle findet sich nur in den Adverbiis allemahl, allesammt, allewege, alleweil und allezeit, die dadurch zum Begriffe der Allgemeinheit erhöhet werden. Man hat zwar in den neuern Zeiten auch Zusammensetzungen mit dem Dativo Plur. allen versucht, wohin die Allengefallenheit des Logau gehöret; allein auch diese sind wider die Analogie, weil der erste Theil einer Zusammensetzung nach der Regel seine Biegungszeichen verlieren muß. Es müßte eigentlich Allgefallenheit heißen, welches aber, wenn es auch erlaubt wäre, einen andern Begriff geben würde. Desto häufiger kommt,
(c) Der Genit. Plural aller vor, der sich so wohl zu einigen Substantiven gesellet, die dadurch das Ansehen der Adverbien und Adjectiven bekommen, wie in allerdings, allermaßen, allerseits und allerwegen, ingleichen in allerhand und allerley, als auch, und zwar am häufigsten, zu den Superlativis, deren Bedeutung dadurch verstärket werden soll. Der allerglücklichste Mensch. In dem allerhärtesten Winter. Er war der allerletzte. Der allerbeste Wein. Wer am allerwenigsten hat, muß oft am allermeisten geben. So auch in den aus solchen Adjectiven gemachten Nebenwörtern, allererst, allernächst, allermeist. Da die Superlativi bereits das höchste in ihrer Art andeuten, so hilft dieser so genannte Nachdruck eigentlich zu weiter nichts, als daß durch die Verlängerung des Wortes die Aufmerksamkeit des Zuhörers sich desto länger dabey verweilet. Es kommen daher diese verlängerten Superlativi, die sich gleichfalls aus der weitschweifigen Alemannischen Mundart herschreiben, in der gemeinen und gesellschaftlichen Sprache am häufigsten, in der ernshaften und höhern Schreibart aber seltener vor. Im gemeinen Leben gehet man mit diesem verstärkenden Zusatze so weit, daß man ihn zuweilen auch solchen Wörtern anhängt, deren Bedeutung schlechterdings keine weitere Erhöhung leidet. Dahin gehöret unter andern das so gemeine, ein allereinzig Mahl, welches der komische Dichter in folgender Stelle sehr gut angebracht hat:
 
Ein allereinzig Mahl in seinem ganzen Leben
Hat er dieß Tuch gewebt,
Zach.
 
Daß dieses aller wirklich der Genitivus Pluralis ist, erhellet aus der Art, wie die Alten die damit zusammen gesetzten Wörter geschrieben, zumahl wenn man bedenkt, daß der Genitiv bey ihnen, so wie bey den alten Griechen, weit häufiger gebraucht wurde, als bey uns. Aller hande lüte und aller leige, für allerhand Leute und allerley, kommen im Schwabenspiegel und bey den Schwäbischen Dichtern mehrmals vor, und wenn Willeram das allerbeste Gold nennen will, so drückt er es durch aller golde bezzesto aus. Indessen kommen doch auch die zusammen gezogenen Formen, alleromeist, allervortheroston, u.a.m. bey dem Kero und spätern Schriftstellern vor. Diese ganze Form ist freylich noch eine Ausnahme von der Regel, nach welcher in Zusammensetzungen der erste Theil seine Biegungszeichen verlieret; aber eine Ausnahme, welche der allgemeine Gebrauch bereits so geheiliget hat, daß der Sprachlehrer dabey die Hand gerne auf den Mund leget und schweiget.
4. All, Goth. all, alls, bey den Alemannen, el und all, Angels. eal, Engl. all, whole, Dän. al, ald, Isl. all, Wallis und Irländ. oll, ist ein altes Wort, welches sich nicht nur in die ersten Zeiten der Nordischen Mundarten verlieret, sondern auch mit dem Griech. ὁλος und Hebr. לוק genau überein kommt. In den mittlern Zeiten wurde es in Oberdeutschland ellew und elliu geschrieben, und noch jetzt sprechen die Schwaben es älle aus. Ehedem hatte es von ganz, auch die figürliche Bedeutung gesund. Die heutigen Mundarten haben es aber getheilt. All bedeutet bey den Holländern und Niedersachsen omnis, hel und heel aber ganz, und figürlich gesund. Hel kommt bey den Schwaben, und helen bey den Schweden in eben dieser Bedeutung vor. S. Heil.
 
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht:
Anmerkungen.