Who's who in der antiken Mythologie
Zeus
ZeusSohn der Rheia* von Kronos*, der aus Angst, eines seiner Kinder könne ihn ebenso entmachten wie er seinen Vater Uranos*, alle gleich nach der Geburt verschlang. Den kleinen Zeus brachte Rheia nach dem Ratschlag des Uranos und der Gaia* auf Kreta zur Welt. Dort, in einer geräumigen Höhle am Idagebirge, beschützt von den Kureten* und versorgt von der Nymphe* – oder Ziege – Amaltheia*, war er vor seinem gefräßigen Vater sicher, dem Rheia statt des Säuglings einen in Windeln gewickelten Stein zu schlucken gab. Der lag dem Kronos dann so schwer im Magen, daß er sich von Gaia ein Brechmittel geben ließ und mit dem Stein auch die anderen verschlungenen Kinder wieder ausspie. Diesen Stein stellte Zeus in Delphi auf, als er nach schwerem Kampf den Vater entmachtet und samt den Titanen*, die jenem zu Hilfe gekommen waren, in den Tartaros* gestürzt hatte. Der Sieg wäre nicht möglich gewesen ohne die Hekatoncheiren*, die dreihundert Steine auf einmal schleudern konnten, und die Kyklopen*, denen Zeus Blitz und Donner verdankte (Hesiod, Theogonie 453–506; 617–735). Allerdings war auch nach dem Titanensturz seine Macht noch bedroht: Er mußte mit den erdgeborenen Giganten** und dem hundertköpfigen Ungeheuer Typhon** um die Weltherrschaft rin-
gen, die er sich mit seinen Brüdern durch das Los geteilt hatte. Dabei waren ihm der Himmel, Poseidon* das Meer und Hades* die Unterwelt zugefallen (Hesiod, Theogonie 820–885; Apollodor, Bibliothek I 33–44).
Erste Gemahlin des Zeus war Metis*, »die am meisten wußte von allen Göttern und sterblichen Menschen«. Doch als diese Athene* gebären sollte, »barg Zeus sie in seinem Leib«, da Uranos und Gaia verkündet hatten, das zweite Kind der Metis werde ihn entthronen. Dann nahm er Themis* zur Frau, die ihm die Horen* und Moiren* gebar. Von Eurynome wurde er Vater der Chariten*, von Demeter* der Persephone*. Wenig später verliebte er sich in Mnemosyne* und kam neun Nächte hintereinander zu ihr. Neun Töchter waren die Folge: die neun Musen*. Von Leto* bekam er Apollon* und Artemis*, von Maia* den Hermes* und von Hera*, seiner dritten »offiziellen« Gemahlin, Ares*, Hebe* und Eileithyia*. Die Göttin Athene brachte er aus seinem Haupt zur Welt, und Hera, voll Zorn über dieses unerhörte Ereignis, revanchierte sich mit dem vaterlosen Hephaistos* (Hesiod, Theogonie 886–929). Einmal verschwor sie sich sogar mit Poseidon und Athene, den Göttergatten zu fesseln, doch diesem kam Thetis* zu Hilfe und schickte Briareos*, den hundertarmigen Riesen. Der setzte sich gewaltig neben Zeus, und die Empörer
gaben erschrocken ihr Vorhaben auf (Ilias I 396–406).
Die kleine Episode aus der Ilias läßt erkennen, daß man sich Zeus zwar mächtig, aber nicht allmächtig, zwar klug, aber nicht allwissend vorstellte. Er muß im Falle seines Sohnes Sarpedon**, dessen Leben er gerne gerettet hätte, auf die anderen Götter Rücksicht nehmen und hört auch bisweilen auf ihren Rat. Seine Macht zeigt er, wenn er Empörer und Frevler straft, zum Beispiel Prometheus*, Sisyphos* oder Tantalos*; wenn er die Wolken zusammenballt oder den Himmel freifegt; wenn er blitzt und donnert und sich in verschiedene Gestalten verwandelt. Diese Eigenschaft kam ihm vor allem bei seinen zahlreichen Liebesabenteuern zugute: Alkmene* eroberte er als ihr eigener Ehemann, Antiope* als Satyr, Danae* als goldener Regen, Europa* als Stier, Leda* als Schwan*. Andererseits machte er die schöne Io* zur Kuh, um die stets wachsame Hera zu täuschen, die sich nicht selten in seine Liebesaffären einmischte, zum Beispiel in die mit Semele oder Kallisto*. Auch die Entführung des Ganymedes* – als echter Griechengott war Zeus an hübschen Knaben durchaus interessiert – wurde von Hera scharf mißbilligt, und so gab es denn oft genug Zank auf dem Olymp, wo man sich seit alters den Palast des »Vaters der Götter und Menschen« dachte. An dessen menschlich-allzumenschlichen
Zügen wurde schon früh Kritik geübt. So schrieb der Philosoph Xenophanes um 500 v. Chr.: »Alles haben Homer und Hesiod den Göttern angehängt, was bei den Menschen Schimpf und Schande ist: Stehlen, Ehebruch und gegenseitigen Betrug« (Frg. 11 D).
Das Urteil ist hart und einseitig, denn Hesiod sieht in Zeus primär den Wahrer des Rechts, das dessen Tochter Dike* verkörpert, und in der ›Ilias‹ schwankt zumindest sein Charakterbild. Da ist einmal der schwache, hintergehbare Gott, den Hera ohne besondere Mühe bezirzt und einschläfert (Ilias XIV 300–353), ein Gott, der auch hinterhältig und gemein sein kann; zum andern wacht er streng über die Weltordnung, über Eide und Verträge, beschützt Fremde und Hilfesuchende und spendet alles Gute und Böse: »Zwei Fässer stehen im Hause des Zeus; sie enthalten die Gaben, die er sendet: schlimme das eine, das andre die guten. Und wenn Zeus abwechselnd austeilt, bekommt man bald Böses, bald Gutes; wem er aber nur Übles schickt, den bedeckt er mit Schande, den treibt schwere Not über die Erde, den verachten Götter und Menschen« (Ilias XXIV 527–533).
Aischylos, der erste und zugleich sprachgewaltigste der griechischen Tragiker, hat immer wieder seine Gedanken über das widersprüchliche Wesen des Zeus in Worte gefaßt, zum Beispiel in den Eröffnungschören des ›Agamemnon‹ (159–183) und der ›Schutzflehen-
den‹ (41–175); wenn er von den »verschlungenen Wegen seines Denkens« spricht, fühlt man sich an Biblisches erinnert: »Gottes Wege sind nicht unsere Wege, und seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken.« Später versuchten vor allem die Philosophen, alles Niedrige, Bösartige und Tückische von Zeus zu tilgen und ihn zum Weltgeist schlechthin zu machen. Im 3. Jahrhundert v. Chr. rief ihn der Stoiker Kleanthes in einem berühmten Hymnos so an: »Ruhmvollster aller Unsterblichen, du Gott mit den vielen Namen, allmächtiger, ewiger Beherrscher der Welt, der nach seinem Willen alles lenkt, sei mir gegrüßt!«
Auch die bildende Kunst betonte in der Regel die Macht und Würde des Gottes: Blitze schleudernd malte ihn Hermonax um 455 v. Chr. auf eine Lekythos (Paris, Bibliothèque Nationale); zwei Jahrzehnte später schuf Pheidias die berühmte, goldelfenbeinerne Riesenstatue für den Tempel in Olympia, von der eine unerhörte Wirkung auf den Betrachter ausgegangen sein soll: »Als Lucius Aemilius Paullus das Bild sah, war er völlig außer sich und sagte nur, daß es seiner Meinung nach allein dem Pheidias gelungen sei, den Zeus Homers im Bild darzustellen. Er sei bereits mit hohen Erwartungen nach Olympia gekommen, doch die Wirklichkeit habe seine Erwartungen noch übertroffen« (Polybios, Römische Geschichte XXX 10, 6). Von diesem in der Spätantike vernichteten Mei-
sterwerk, das zu den Sieben Weltwundern gerechnet wurde, vermitteln nur noch Münzbilder eine ungefähre Vorstellung. In römischer Kopie erhalten blieb ein von lockigem Haar umwallter Zeuskopf aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., der Zeus von Otricoli (Rom, Vatikanische Museen). Etwa ein Jahrhundert älter ist ein lachender Zeus mit dem eben geraubten Ganymedes im Arm (bemalte Terrakotta-Gruppe, Olympia, Museum). Wie Hera sich vor ihrem sitzenden Gatten entschleiert, zeigt ein Metopenrelief von Selinunt (um 450 v. Chr., Palermo, Museo Archeologico Nazionale; Abbildung Hera).
Aus neuerer Zeit gibt es kaum Bilder, die Zeus allein gewidmet sind; öfter wurde er im Kreis der Olympier oder mit einzelnen von ihnen gemalt. Als Beispiele seien zwei Bilder von Peter Paul Rubens genannt: ›Der Götterhimmel‹ (um 1625, Prag, Národnн Galerie) und ›Jupiter und Amor‹ (um 1615, Zürich, Privatbesitz) – ein wahrhaft stattlicher Göttervater mit wallendem Haupthaar neben dem pausbackigen Liebesgott! Als besonders beliebtes Thema erwiesen sich die Liebesabenteuer Zeus/Jupiters; wir erinnern an die Danae-Bilder von Jan Gossaert, genannt Mabuse (1517, München, Alte Pinakothek), von Tizian (um 1550, Paris, Louvre) und von Rembrandt (um 1636, St. Petersburg, Staatliche Eremitage), an Correggios hinschmelzende Io (um 1531, Wien, Kunsthistori-
sches Museum) sowie seine ›Leda mit dem Schwan‹ (um 1531, Berlin-Tiergarten, Gemäldegalerie) und an Peter Paul Rubens' Leda (um 1620, Dresden, Galerie alter Meister). Aber sind das Bilder von Zeus, wenn man auf ihnen nicht den Gott, sondern nur immer eine der vielen Gestalten sieht, die er anzunehmen vermochte? Vielleicht ja, denn Vielgestaltigkeit gehörte, wie wir zu zeigen versuchten, zu seinem Wesen.
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Ansicht: Zeus