Who's who in der antiken Mythologie
Theseus
TheseusSohn des Aigeus* (oder des Poseidon*) von Aithra*, unter deren Obhut er in Troizen aufwuchs. Mit dem Schwert und den Schuhen des Aigeus, die ihm dieser als Erkennungszeichen hinterlassen hatte, machte er sich auf den Weg zu ihm und verrichtete viele Heldentaten: Er tötete Periphetes*, Sinis*, Skiron*, Kerkyon* und Prokrustes*, dazu bei Krommyon eine riesige Sau, die angeblich von Typhon* und Echidna* abstammte. In Athen trachtete ihm Medeia*, die damals mit Aigeus verheiratet war, nach dem Leben; erst schickte sie ihn gegen den Marathonischen* Stier, und als er den bezwungen hatte, suchte sie ihn zu vergiften. In letzter Minute erkannte Aigeus sein Schwert, schlug seinem Sohn den Giftbecher aus den Händen und vertrieb Medeia. Darauf befreite Theseus die Athener von dem schrecklichen Tribut, den sie König Minos* zu leisten hatten, erschlug den Minotauros* und fand dank Ariadnes* Faden auch den Weg aus dem Labyrinth. Auf der Heimfahrt mußte er Ariadne dem Dionysos* lassen und vergaß in seiner Trauer, das Segel zu wechseln. Er war nämlich mit einem schwarzen abgefahren und hatte versprochen, wenn er heil zurückkäme, ein weißes zu setzen. Als nun Aigeus vom Strand das Schiff mit einem schwarzen Segel herankommen sah, stürzte er sich voll Ver-
zweiflung ins Meer. – Theseus wurde König von Athen und räumte alle, die ihm vielleicht gefährlich werden konnten, aus dem Weg, darunter die fünfzig Söhne seines Onkels Pallas (3)*. Mit Herakles* kämpfte er gegen die Amazonen* und führte deren Königin Hippolyte* oder Antiope (2)* heim. Einen Rachefeldzug ihrer Kriegerinnen wehrte er am Areopag bei Athen ab; seine erste Frau, von der er einen Sohn, Hippolytos*, hatte, soll bei diesem Kampf ums Leben gekommen sein. Seine zweite, Phaidra*, verliebte sich in ihren Stiefsohn und verleumdete ihn, als er nichts von ihr wissen wollte, beim Vater, der ihn verstieß und verfluchte. Mit seinem Freund Peirithoos* schlug sich Theseus mit den Kentauren* herum; mit ihm zusammen raubte er die schöne Helena* und wollte gar Persephone* aus der Unterwelt entführen. Bei diesem Unternehmen wurden die beiden von Hades* festgebannt, und die Dioskuren* konnten ohne sonderliche Mühe ihre Schwester Helena aus Athen zurückholen. Zugleich setzten sie den Menestheus* als neuen König ein. Als Theseus von Herakles* aus seiner Haft befreit worden war, fand er seine Stadt in fremder Hand und floh nach Skyros zu Lykomedes*, der ihn heimtückisch umbrachte (Apollodor, Bibliothek III 208 – IV 24).
An der Theseussage haben die Athener jahrhundertelang gestrickt; schließlich brauchte die Stadt einen
Nationalhelden, mit dem man sich neben einem Herakles sehen lassen konnte. Leider ist ein großer Teil der epischen Überlieferung verloren, doch bewahrt die Vasenmalerei manche reizvolle Episode, wie zum Beispiel die vom Ring des Minos. Den hatte der König ins Meer geworfen, um zu testen, ob Theseus unter göttlichem Schutz stehe. Der junge Mann sprang in die Tiefe, gelangte zu Poseidons Gattin Amphitrite*, bekam den Ring und kehrte heil zu Minos zurück. Zartgliedrig, knabenhaft sieht man ihn auf dem Innenbild einer Schale des Onesimos in Gesellschaft von Göttinnen (Theseus mit Athene bei Amphitrite, um 495 v. Chr., Paris, Louvre). Den Minotauros ersticht er auf einer Amphora des Taleides (um 530 v. Chr., New York, Metropolitan Museum of Art; Abbildung einer ähnlichen Amphora aus dem Louvre, Paris, ›Minotaurus‹). Nach vollbrachter Tat, zwischen Kindern, die ihm Hände und Füße küssen, steht er statuengleich auf einem Wandgemälde aus Pompeji (Neapel, Museo Archeologico Nazionale). Ein Stamnos aus Gela zeigt ihn, wie er von der sanft schlummernden Ariadne forteilt (um 430 v. Chr., Boston, Museum of Fine Arts). Die Rückführung der geretteten Kinder schmückt einen Teil der François- Vase des Kleitos (um 570 v. Chr., Florenz, Museo Archeologico). Sämtliche Taten des Theseus, gruppiert um die Bezwingung des Minotauros, faßte um
425 v. Chr. der Kodros-Maler im Innenbild einer Schale zusammen (London, British Museum). Daß die Athener ihr Schatzhaus in Delphoi (um 500 v. Chr.) und ihren Hephaistostempel auf der Agora (um 450 v. Chr., das sogenannte Theseion) mit Szenen aus der Theseussage schmückten, versteht sich von selbst – doch wieso findet man den Athener Helden auch im Fries des Tempels von Bassai auf der Peloponnes (um 420 v. Chr., jetzt in London, British Museum)? Nun, der Architekt war derselbe Iktinos, der auch beim Bau des Parthenons mitwirkte! Als Theseus wird bisweilen auch der ›Diadumenos‹ des Polyklet bezeichnet (Marmorkopie nach dem Bronzeoriginal um 440 v. Chr., New York, Metropolitan Museum of Art), ein junger Mann, der sich eben die Siegerbinde umlegt.
In den Dramen des Sophokles und Euripides tritt Theseus mehrfach als Held und gerechter König auf, der zum Beispiel für die Bestattung der Sieben* gegen Theben sorgt oder dem alten Oidipus* in Kolonos Asyl gewährt. Eine Idylle, in der der große hellenistische Dichter Kallimachos um 250 v. Chr. seine Meisterschaft im Kleinen zeigte, ist die einst hochberühmte, heute aber nur noch in kläglichen Fragmenten erhaltene ›Hekale‹: Bevor sich Theseus in den Kampf mit dem Marathonischen Stier stürzt, hält er Einkehr bei einem alten Weiblein namens Hekale. Die Bewir-
tung durch sie war für Ovid das Vorbild für seine Episode ›Philemon und Baukis‹. Um 1340 wollte Giovanni Boccaccio ein Theseusepos schreiben, doch seine ›Teseide‹ geriet ihm zur streckenweise sentimentalen Liebesgeschichte. Um die Hochzeit des Theseus mit Hippolyta dreht sich der bunte Reigen von William Shakespeares ›Sommernachtstraum‹ (1600); von den Abenteuern auf Kreta bis zur Begegnung mit dem alten, blinden Oidipus spannt sich der Bogen von André Gides Erzählung ›Thesée‹ (1946), einer heiteren, leicht ironischen Reflexion über die Selbstverwirklichungsmöglichkeiten des Menschen.
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Ansicht: Theseus