Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Zumsteeg, Johann Rudolph
Johann Rudolph Zumsteeg – ein Tonkünstler, der gewiß schon jedem gefühlvollen Gesang-Liebhaber so manchen stillen Dank für die genußreichsten Stunden, die er ihm durch den Zauber der Musik schuf, abgelockt hat – war Concertmeister zu Stuttgard, und zu Sachsenflur im Odenwalde 1760 geboren. Sein Vater, herzogl. Würtembergischer Kammerlakai, hatte ihn zum Bildhauer bestimmt, in welcher Kunst er auch schon ziemlich Fortschritte machte; allein sein musikalisches Talent erhielt das Uebergewicht Auf der herzogl. Akademie genoß er seine erste Bildung, und – was gewiß die Achtung für ihn sehr erhöhen muß – den innigen Umgang mit dem großen Schiller. Die Kunst, der er sich nun so ganz hingab, studirte er unter Voreni, Poli etc. widmete unaufhörlich seinen Fleiß den theoretischen Werken eines Mattheson, Marpurg, nahm sich die musterhaften Compositionen eines Bach, Benda, Jomelli etc. späterhin des großen Mozart zu seinen Hauptmustern, und gelangte immer mehr zu dem Grad der Vollkommenheit, der seine Compositionen zum größten Theil stempelte. Als herzogl. Hofmusikus zeichnete er sich vorzüglich als Violoncellist aus; besonders aber gewannen seine Compositionen für den Gesang einen solchen Beifall, daß er auch nach Poliʼs Abgang sogleich zum Concertmeister ernannt wurde. Leider! sollte er nicht————
lange den entzückenden Genuß seiner Harmonieen gewähren. Unerwartet, und schon im 42ten Jahre seines Lebens, wurde er plötzlich von einem Stick- und Schlagflusse überfallen, und binnen wenig Stunden (am 27. Jan. 1802) ein Raub des Todes! Dieser schnelle Verlust erregte im eigentlichen Sinne nicht bloß für seine näheren Freunde, nein, auch für alle, die einen schönen, ungekünstelten, herzerhebenden Gesang lieben, eine tiefe Trauer. Wer kennt nicht – ohne seine übrigen größern theatralischen Compositionen: die Geisterinsel (von Gotter), das Pfauenfest, Elbondocani (von Haug etc.) zu erwähnen – die trefflichen meisterhaft gesetzten Balladen, die ihm durch ganz Deutschland einen ehrenvollen Ruf und die höchste, liebevolle Achtung erworben haben? Colma (v. Göthe), des Pfarrers Tochter von Taubenhain, Lenore, die Entführung (v. Bürger), die Büßende (v. Stolldern) nennt gewiß jeder Musikfreund und jede Dillettantin mit Entzücken, denen wahrer Gesang noch irgend etwas werth ist. Eben so treffliche Meisterstücke finden sich einzeln in den Sieben (besonders den ersten Vier) Heften seiner kleinen Balladen und Lieder, um deren – so wie um die ganze Herausgabe aller Zumsteegischen Compositionen, die Breitkopf-Härtelsche Musikhandlung sich ein neues Verdienst erworden hat. Zartheit, Anmuth, tiefes Gefühl und Herzlichkeit sprechen fast in jeder seiner Compo-
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sitionen; aber was ihm die Krone aufsetzt, ist die Wahrheit und Tiefe, mit welcher er in den Geist und Sinn der Dichter eindrang, und diese so ganz wiedergab. Die Kirchenmusik hätte vielleicht einen noch größern Gewinn an ihm gemacht, hätte er länger gelebt. Tief wurde sein Verlust gefühlt; denn er war auch als Mensch, als Freund, als Gatte, als Gesellschafter höchst liebenswürdig und bescheiden. Danneker in Stuttgard hat eine getreue Büste, und die oben erwähnte Breitkopf-Härtelsche Handlung einen sehr ähnlichen Kupferstich von seinem Bilde geliefert. Sein Talent wurde auch von Auswärtigen anerkannt, und die Französische Kaiserin Josephine verlangte bei ihrer Anwesenheit in Stuttgard ausdrücklich die Partitur zur Geisterinsel von Zumsteegs Witwe, um sie übersetzen, und in Paris aufführen zu lassen.
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