Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Wolsey, Thomas
Thomas Wolsey, dieser berühmte Cardinal und Staatsminister in England, war der Sohn eines armen Fleischhauers, geb. zu Ipswich in Suffolksshire. Sein Genie brachte ihn so weit, daß er schon im 15. Jahr zu Oxford Baccalaureus ward und da Grammatik lehrte. Bald als Kinderlehrer beim Marquis Dorset u. m. angestellt, wurde er bald an König Heinrich VII. empfohlen, der ihn zu seinem Hofcaplan machte, ihn wegen seines Fleißes und seiner Geschicklichkeit zu wichtigen Staatsangelegenheiten brauchte, und nachdem er ihn an den Kaiser Maximilian abgesendet hatte, ihm bei seiner Zurückkunft das Decanat von Lincoln gab, auch ihn in der Folge zum Groß-Almosenier machte. Heinrich VIII. besonders gewann so viel Zutrauen in seine Kenntnisse, daß er ihn endlich zu seinem ersten Staatsminister erhob. So erlangte Wolsey immer mehrere Bisthümer, ward endlich auch Bischof von York und – Großkanzler des Königreichs; der Papst Leo X. verehrte ihm 1515 den Purpur und den Titel eines Legatus a latere. Mit seinen Würden stiegen aber auch sein Stolz und seine Ansprüche immer höher, indem er auch von dem König freie Gewalt bekam, alle geistliche Beneficien in England zu vergeben, was ihm außerordentliche Einkünfte verschafte. Er errichtete sogar einen geistlichen Gerichtshof, der ganz independent und an will-————
kührlicher Macht ziemlich der Inquisition ähnlich war, so daß auch die Beschwerden und Vorstellungen der angesehensten Geistlichen bei dem König nichts auszurichten vermochten, und sein Stolz ging so weit, daß er öfters zu sagen pflegte: der König und ich, wir wollen es. Selbst Fürsten, wie Kaiser Carl V. und Franz I. hielten es nicht unter ihrer Würde, diesen Staats-Minister mit Schmeicheleien so wie mit Geschenken zu überhäufen, und als Carl V. die ihm gemachte Hofnung zur päpstlichen Würde nicht erfüllte, so beförderte nun jener rachsüchtige Staatsmann um so eher das Bündniß zwischen England und Frankreich gegen den Kaiser; selbst die Scheidung, welche Heinrich nach einer 20jährigen Ehe am Ende von seiner Gemahlin, Catharina, einer Base Kaiser Carls V. bewerkstelligte, gab man dem Wolsep Schuld. Endlich machte zuerst Anna von Boleyn (s. dies. Art. Th. 1. S. 189), Heinrichs nunmehrige zweite Gemahlin, diesen auf die ungeheuern Anmaßungen jenes Ministers, der durch seinen Stolz und durch seine Herrschsucht Alles gegen sich empört hatte, aufmerksam. Der König fand die Klagen gerecht, confiscirte (im Jahr 1529) alle seine Güter – die Siegel wurden dem berühmten Thomas More übergeben – und indem Wolsey zugleich den Befehl erhielt, seinen Pallast, Withall, zu verlassen, der nunmehr der Könige Aufenthalt ward, verwies man ihn in sein Erzbisthum York.
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Gegen den in Ungnade gefallenen Günstling erhoben sich nun unzähliche Stimmen: von Großen verachtet, vom Volke gehaßt, fand der gestürzte Minister nur an Thomas Cromwell, seinem zeitherigen Hausgenossen, einen herzhaften, großmüthigen Vertheidiger im Unterhause. Aber dennoch wurde er endlich noch vom Herzog von Northumberland des Verbrechens der beleidigten Majestät angeklagt, arretirt und sollte nach dem Tower gebracht werden, als er unterwegs in der Abtei zu Leicester (den 28. Nov. 1530) starb. »Hätte ich dem Könige des Himmels eben so treu als meinem Könige und Herrn auf Erden gedient, so würde er mich in meinem Alter nicht so verlassen, wie es jetzt mein Fürst thut!« – dies waren die letzten Worte eines Mannes, der von dem niedrigsten Stande sich durch sein Genie bis zu jener hohen Würde geschwungen hatte, die ihn aber schwindeln machte und seinem Sturze zuführte. Er war ein Mann von großem Verstande, von vieler Gelehrsamkeit, aber auch von vieler Verschmitztheit: sein Stolz, genährt durch sein fortdauerndes Emporsteigen, leitete ihn zu allen jenen Mißgriffen, die die Quelle seines Falles wurden.
Thomas Wolsey, dieser berühmte Cardinal und Staatsminister in England, war der Sohn eines armen Fleischhauers, geb. zu Ipswich in Suffolksshire. Sein Genie brachte ihn so weit, daß er schon im 15. Jahr zu Oxford Baccalaureus ward und da Grammatik lehrte. Bald als Kinderlehrer beim Marquis Dorset u. m. angestellt, wurde er bald an König Heinrich VII. empfohlen, der ihn zu seinem Hofcaplan machte, ihn wegen seines Fleißes und seiner Geschicklichkeit zu wichtigen Staatsangelegenheiten brauchte, und nachdem er ihn an den Kaiser Maximilian abgesendet hatte, ihm bei seiner Zurückkunft das Decanat von Lincoln gab, auch ihn in der Folge zum Groß-Almosenier machte. Heinrich VIII. besonders gewann so viel Zutrauen in seine Kenntnisse, daß er ihn endlich zu seinem ersten Staatsminister erhob. So erlangte Wolsey immer mehrere Bisthümer, ward endlich auch Bischof von York und – Großkanzler des Königreichs; der Papst Leo X. verehrte ihm 1515 den Purpur und den Titel eines Legatus a latere. Mit seinen Würden stiegen aber auch sein Stolz und seine Ansprüche immer höher, indem er auch von dem König freie Gewalt bekam, alle geistliche Beneficien in England zu vergeben, was ihm außerordentliche Einkünfte verschafte. Er errichtete sogar einen geistlichen Gerichtshof, der ganz independent und an will-————
kührlicher Macht ziemlich der Inquisition ähnlich war, so daß auch die Beschwerden und Vorstellungen der angesehensten Geistlichen bei dem König nichts auszurichten vermochten, und sein Stolz ging so weit, daß er öfters zu sagen pflegte: der König und ich, wir wollen es. Selbst Fürsten, wie Kaiser Carl V. und Franz I. hielten es nicht unter ihrer Würde, diesen Staats-Minister mit Schmeicheleien so wie mit Geschenken zu überhäufen, und als Carl V. die ihm gemachte Hofnung zur päpstlichen Würde nicht erfüllte, so beförderte nun jener rachsüchtige Staatsmann um so eher das Bündniß zwischen England und Frankreich gegen den Kaiser; selbst die Scheidung, welche Heinrich nach einer 20jährigen Ehe am Ende von seiner Gemahlin, Catharina, einer Base Kaiser Carls V. bewerkstelligte, gab man dem Wolsep Schuld. Endlich machte zuerst Anna von Boleyn (s. dies. Art. Th. 1. S. 189), Heinrichs nunmehrige zweite Gemahlin, diesen auf die ungeheuern Anmaßungen jenes Ministers, der durch seinen Stolz und durch seine Herrschsucht Alles gegen sich empört hatte, aufmerksam. Der König fand die Klagen gerecht, confiscirte (im Jahr 1529) alle seine Güter – die Siegel wurden dem berühmten Thomas More übergeben – und indem Wolsey zugleich den Befehl erhielt, seinen Pallast, Withall, zu verlassen, der nunmehr der Könige Aufenthalt ward, verwies man ihn in sein Erzbisthum York.
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Gegen den in Ungnade gefallenen Günstling erhoben sich nun unzähliche Stimmen: von Großen verachtet, vom Volke gehaßt, fand der gestürzte Minister nur an Thomas Cromwell, seinem zeitherigen Hausgenossen, einen herzhaften, großmüthigen Vertheidiger im Unterhause. Aber dennoch wurde er endlich noch vom Herzog von Northumberland des Verbrechens der beleidigten Majestät angeklagt, arretirt und sollte nach dem Tower gebracht werden, als er unterwegs in der Abtei zu Leicester (den 28. Nov. 1530) starb. »Hätte ich dem Könige des Himmels eben so treu als meinem Könige und Herrn auf Erden gedient, so würde er mich in meinem Alter nicht so verlassen, wie es jetzt mein Fürst thut!« – dies waren die letzten Worte eines Mannes, der von dem niedrigsten Stande sich durch sein Genie bis zu jener hohen Würde geschwungen hatte, die ihn aber schwindeln machte und seinem Sturze zuführte. Er war ein Mann von großem Verstande, von vieler Gelehrsamkeit, aber auch von vieler Verschmitztheit: sein Stolz, genährt durch sein fortdauerndes Emporsteigen, leitete ihn zu allen jenen Mißgriffen, die die Quelle seines Falles wurden.