Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Winkelmann, Johann Joachim
Johann Joachim Winkelmann, am 9ten Dec. 1717 zu Stendal von ganz armen Aeltern geboren – sein Vater war ein Schuhmacher – zeigte von früh an die herrlichsten Geistesanlagen und unvertilgbare Lust zum Lernen und Studiren. Den ersten Grund seiner Bildung legte er auf der Schule in seiner Vaterstadt, wo ihn der dortige Rector bald lieb gewann und zu sich ins Haus nahm. Da der Rector späterhin blind ward, so mußte Winkelmann ihn führen, vorlesen und immer um ihn sein, wodurch, so wie durch die Aufsicht über die Schulbibliothek, sein Geist an Bildung und Kenntnissen gewann. Im 18ten Jahre ging er nach Berlin auf das Cöllnische Gymnasium, und machte von hier eine Reise nach Hamburg, um Bücher aus der Bibliothek des gelehrten Fabricius, die dort versteigert wurde, zu kaufen. Das Geld dazu erbat er sich unterwegs bei Adelichen, Beamten und Geistlichen. Er ging im 20sten Jahre auf die Universität, wo er aber die Bibliotheken mehr als die Hörsäle besuchte, die alte Literatur mehr als die Bibel und Theologie studirte. Die Begierde zu reisen, die er schon, längst genährt, erwachte jetzt aufs neue; er trat den Weg nach Paris an, und erbettelte sich den Unterhalt in Klöstern durch das Vorgeben, die katholische Religion annehmen zu wollen. Er mußte aber schon im Elsaß wegen Kriegsunruhen umkehren, war eine Zeit————
lang Hofmeister, und ging sodann nach Jena, um Mediein zu studiren; allein seine drückende Armuth verhinderte ihn daran, und er lernte daselbst nur Englisch und Italiänisch. Er ward wieder Hofmeister, und studirte Geschichte für sich, bis er 1743 das Conrectorat zu Seehausen in der Altmark erhielt, aber unter so karger Besoldung, daß er sich in der Stadt Freitische ausmitteln mußte. So seufzte dort sein tiefer Geist unter dem Druck unwürdiger Geschäfte und bittrem Mangel; aber alle Stunden, die er seinem schweren Lehramte entreißen konnte, verwandte er zum Studium der alten Literatur, Geschichte und Kunst. Endlich, nachdem er fünf Jahre in dieser bedrängten Lage verlebt hatte, schrieb er aus eigener Bewegung (1748) an den Grafen Bünau nach Nöthenitz bei Dresden, und bat um Anstellung bei dessen Bibliothek, wo er auch mit einem Gehalte von 80 Rthlr. als Secretair angestellt wurde. Er erwarb sich bald durch Fleiß und geschickte Ausführung der aufgetragnen Arbeiten die Achtung und das Zutrauen des Grafen, dem er Geschichts-Auszüge zur Deutschen Reichsgeschichte liefern mußte. Nebenbei studirte er die alten Classiker, und sogar die Kirchenväter, und machte sich, nach seiner Gewohnheit, aus allen Auszüge. So lebte er einige Jahre ruhig, ob er schon sehr tief fühlte, wie es nicht seine Bestimmung sei, Auszüge zu machen. Die Nähe Dresdens, mit allen seinen Kunstschätzen, bot
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ihm übrigens die herrlichste Ausbeute für sein eifriges Kunst-Studium und die nähere Bekanntschaft mit vielen Künstlern und andern gebildeten Männern, als Lippert, Hagedorn u. s. w. dar. Besonders entscheidend war für ihn die Bekanntschaft mit dem genialen Heser, und dem päpstlichen Nuntius Archinto, der ihm unter der Bedingung: die Religion zu verändern, eine Stelle in Rom an der Vaticanischen Bibliothek verschaffen wollte. Nichts war erwünschter für Winkelmann, welchen dieß Anerbieten auf einmahl dem Ziele seiner Hoffnungen und Bestrebungen näher brachte; er trat 1754 förmlich zur katholischen Kirche über, verließ die Dienste des Grafen Bünau, und bereitete sich zur Reise nach Rom vor, die sich gegen ein Jahr lang verzögerte. Die erste Frucht seines freien Nachdenkens war die Schrift: über die Nachahmung der Griechischen Kunstwerke; sie erregte großes Aufsehen, und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Um die Wirkung dieser Schrift noch bedeutender zu machen, verfaßte er selbst eine Widerlegung, und nachher auch wieder eine Vertheidigung derselben. Endlich im Jahr 1755 reiste er mit einer Pension von 200 Ducaten vom Konig von Pohlen (u. Churf. v. Sachsen) nach Rom. Er fand bald Gönner, Beschützer und Freunde; besonders wohlthätig war ihm der Umgang mit Mengs, mit dem er gemeinschaftlich ein Werk über die Kunst zu schreiben beschloß. Er
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machte auch, und zwar durch Briefwechsel, die Bekanntschaft des Barons von Stosch, der ihn an den Cardinal Albani empfahl, welcher ihn bald schätzte, liebte und beförderte. Winkelmann war jetzt ganz in seinem Elemente, umfaßte mit glühender Liebe und Begeisterung alle Schätze des classischen Alterthums, und vorzüglich der Kunst; mehrere kleine Reisen in Italien unternahm er zu diesem Zwecke, schrieb auch mehrere kleine Schriften und Abhandlungen, ward Mitglied verschiedener Akademien und Societäten, erhielt von verschiedenen Orten Deutschlands Anträge zu Aemtern, die jedoch stets vereitelt wurden. Im Jahr 1763 aber erhielt er zu Rom das Amt eines Oberaufsehers aller Alterthümer in und um Rom; daher beschloß er auch für immer hier zu bleiben. Er vollendete in diesem Jahre sein berühmtes Werk: Monumenti inediti, und das Jahr darauf erschien seine unsterbliche Geschichte der Kunst; das vorgenannte Werk aber erschien wegen der vielen Kupferwerke sehr spät in seiner gänzlichen Vollendung. Im Jahre 1768 den 10. April trat er mit dem Bildhauer Cavaceppi eine Reise nach Deutschland an, um seine vielen Freunde, und vorzüglich den Erbprinzen Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig und den Fürsten von Dessau, deren Führer er in Rom gewesen war und die er innig hatte ehren und lieben lernen, zu besuchen. Aber kaum hatte er Deutschlands Grenze
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betreten, als ihn seine Heiterkeit verließ, und er sich, in düstre Schwermuth versunken, nach Rom zurück sehnte. Sein Begleiter that alles, ihn aufzuheitern; aber vergebens: in Regensburg kehrte er um, ging von da nach Wien, wo er die ausgezeichnetste Aufnahme fand, und verließ es, mit Geschenken und Ehrenbezeugungen überhäuft, zu Anfang des Juni 1768, um zurück nach Italien zu wandern. Unterwegs gesellte sich zu ihm ein gewisser Arcangeli, dessen Schlauheit und Heuchelei es gelang, das unbefangene und arglose Gemüth Winkelmanns so einzunehmen, daß er ihm alle seine Geheimnisse entdeckte, und seine glänzenden Geschenke und Kostbarkeiten zeigte. Diese reitzten die Habsucht des verruchten Menschen, und brachten ihn zu dem entsetzlichen Entschlusse, Winkelmann zu ermorden, den er auch am 8. Juni zu Triest in einem Wirthshause ausführte. Winkelmann starb nach den erhaltenen Dolchstichen in sieben Stunden, nachdem er dem Morder verziehen, sein Testament gemacht, und den Cardinal Albani, seinen größten Gonner und Beschützer, zum alleinigen Erben eingesetzt hatte. Ein Hauptzug in Winkelmanns Charakter war sein tiefes Gefühl der Freundschaft, und die unauslöschliche Sehnsucht ihres Genusses; und diese Tiefe des Gefühls machte ihn auch tüchtig, mitten in seiner herzlosen Zeit die wahre Schönheit zu schauen, zu erkennen und zu verkünden.
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Auf die Bildung seiner, so wie der künftigen Zeit hat er entscheidend gewirkt, die jetzige Bläthe der Kunst und Wissenschaft vorbereitet, und Grundsätze aufgestellt, die neuerdings durch die Tiefe philosophischer Speculation wiedergefunden wurden. Sein Hauptgrundsatz war: Schönheit sei das Element und die Aufgabe der Kunst, und die Alten die vortrefflichsten Muster. Seine Werke erscheinen jetzt, von Fernow besorgt, bei Walthern in Dresden. – Göthes treffliche Entwickelung in der Schrift: Winkelmann und sein Jahrhundert (Tüb. 1805) bedarf wohl keiner Anpreisung.
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Ansicht: Winkelmann, Johann Joachim