Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Westphalen
Westphalen – (Die Gründe, weßhalb wir unsre gütigen Leser wegen dieses neuen und so wichtigen Königreichs in die Nachträge verweisen, sprechen zu laut, als daß wir erst eine weitläufige Entschuldigung und Verweisung auf die Note S. 209 *) nöthig erachteten.)————————
Westphalen. So bedeutend und wichtig der Name dieser Landschaft auch in der ältesten Zeit gewesen, so hat er doch in der neueren, an Ereignissen ohne allen Zweifel merkwürdigsten, Zeit, eine ungleich größere Wichtigkeit erhalten, und wir müssen allerdings hier das alte und neue Westphalen gänzlich von einander trennen.
  Die Ableitung des Namens Westphalen hat zu vielen Muthmaßungen und zu vielen Streitigkeiten, ob man nämlich Westphalen oder Westsalen schreiben solle, Veranlassung gegeben. Allerdings scheinen diejenigen, welche Falen schreiben, mehr vor sich zu haben, indem sie es entweder von falen oder flagen, welches eine ebene, flache Gegend bezeichnet, oder noch wahrscheinlicher von Falahus herleiten (wie denn auch in den sächsischen Annalen und Gesetzen sie Westfalahi genannt werden), welches einen Vasallen bezeichnet, der sich einem Schutzherrn anbefohlen hat; und da nun die Sachsen, wohin ehemals jener Landesstrich gerechnet wurde, in dem Vasallen- Verhältnisse gegen die Franken standen, so ist wol leicht die Deutung dieses Wortes zu machen; besonders da es eben auch Ostfalen gab, und überhaupt das Land in das östliche und westliche getheilt wurde. Indessen scheint die einmal angenommene Schreibart mit ph (welches nicht einmal die vaterländische deut-
————
sche Schreibart anerkennt) das Uebergewicht erhalten zu haben.
  Dieses große Land nun grenzte gegen Osten an Nieder-Sachsen, gegen Süden an Hessen, den Westerwald und den Rhein, gegen Westen an die vereinigten Niederlande und gegen Norden an das deutsche Meer. Eins der kältesten deutschen Länder, hatte man es zwar sehr rauh und unfruchtbar verschrieen; allein es war dies nur zum Theil der Fall und außerdem, daß es sehr voltreich war, konnte man auch einen großen Theil als sehr fruchtbar und an treflicher Vieh-Weide und Viehzucht, an Holzung, an Mineralien etc. sehr gedeihlich preisen. – Uebrigens unterschieden sich Westphalen (das ganze Land mit allen den Provinzen zwischen dem Rhein und der Weser gelegen); dann das Herzogthum Westphalen, welches nur ein kleiner Theil von jenem großen Körper war; endlich
  der Westphälische Kreis, welcher einen von den 10 Kreisen des heil. Römischen Reichs ausmachte, und nicht nur alle diejenigen Länder enthielt, welche zwischen dem Rheine und der Weser legen, sondern auch sogar solche Länder, die zu dem alten Westphalen nicht gehört harten. Es begriff derselbe an geistlichen Landen die vier vornehmsten Stifter: Münster, Osnabrück, Paderborn, Lüttich und dann noch mehrere ansehnliche Abteien; ferner von weltlichen Besitzungen: die Herzogthümer Westphalen, Jülich, Berg,
————
Cleve; die Fürstenthümer Minden, Verden, Moeurs, Ostfriesland, die fürstlich Nassau Dietzischen Lande; viele ansehnliche Grafschaften, Oldenburg, Delmenhorst, Mark, Ravensberg etc. endlich auch die Reichsstädte, Cöln, Aachen, Dortmund. Die Kreisausschreibenden Fürsten und Directoren waren der Bischof von Münster und der Herzog von Jülich, daher auch Churbrandenburg und Pfalz in diesem Amte wechselten. Die Kreistage wurden gewöhnlich zu Cöln gehalten. – Daß übrigens Westphalen auch für die alte deutsche Geschichte in so mancher Hinsicht noch merkwürdig war, daran erinnern leicht die Westphälischen heimlichen Gerichte (s. Vehmgericht), der Westphälische Friede (s. Dreißigjähriger Krieg) u. m.
  Das wichtigste Ereigniß indessen, was diesem so bedeutenden Landstriche Deutschlands (dessen einzelne Vertheilungen bei den allgemeinen Veränderungen, welche die Deutschen Kreise trafen, in den Nachträgen zu Deutschland, Th. I. S. 281. näher angegeben worden sind) noch aufbehalten worden, war wol unstreitig die Erhebung Westphalens zu einem Königreich.
————————
Das Königreich Westphalen nämlich empfieng durch ein Decret des französischen Kaisers vom 18 August 1807 seine Entstehung. Zufolge dieses Decrets erhielt dasselbe als Bestandtheile: 1) von den vorherigen churbrandenburgischen Provinzen: die Altmark auf dem linken Ufer der Elbe, den auf demselben Ufer liegenden Theil des Herzogthums Magdeburg, die Grafschaft Mansfeld brandenburgischen Antheils, Hildesheim und Goslar, Halberstadt, Hohenstein, Quedlinburg, Eichsfeld mit Dorla und Treffurt (welches jedoch zum Theil Kursachsen, zum Theil Hessen-Cassel gehörte), Mühlhausen, Nordhausen, Paderborn, Minden und Ravensberg, Stolberg und Wernigerode. 2) von den churbraunschweigischen Provinzen: Göttingen und Grubenhagen, Hohenstein, Elbingerode und Osnabrück. 3) Die gesammten churhessischen Staaten, oder die Hessen-Casselschen Länder, mit Ausnahme von Hanau und Niederkazzenellbogen. 4) Die Herzoglich Braunschweig- Wolfenbüttelschen Lande. 5) Die ehemalige Abtei Corvey. 6) Erhielt es die Souverainetät über die, dem Fürsten von Kaunitz zugehörige Grafschaft Rietberg. – Die Constitution des Königreichs wurde durch ein Decret Napoleons vom 15. November 1807 bestimmt, nachdem bereits im Frieden zu Tilsit Hieronymus Bonaparte, Napoleons jüngster Bruder, (geb.
————
d. 15. Nov. 1784) zum König ernannt worden war. Durch ein Decret des neuen Königs vom 24. December 1807 wurde nun das Königreich in acht Departements getheilt, nämlich: 1) Departement der Fulde, zu welchem zugleich Cassel, die nunmehrige Hauptstadt und Residenz des Königs gehört (s. d. Art. Cassel, auch in den Nachtr.) 2) der Elbe, 3) des Harzes, 4) der Leine, 5) der Ocker, 6) der Saale, 7) der Werra, 8) der Weser. – Erst nach dieser Eintheilung wurde am 11. März 1808 der dem König von Sachsen zugehörig gewesene Theil der Grafschaft Mansfeld an Westphalen übergeben und zum Departement der Saale geschlagen. – Die Größe und Volksmenge des Königreichs, welches zu Flüssen hauptsächlich die Elbe, Weser, Lahn; zu Hauptgebirgen den Harz, den Brocken (s. dieses Art.) und mehrere bedeutende Gebirge hat, wurde von jetzt an auf 695 Quadratmeilen und 1 Million 912,303 Einwohner, die Einkünfte gegen 16 Mill. Gulden berechnet. – Von der Beschaffenheit des Landes und Lebensart der Einwohner glauben wir nichts besonders beifügen zu dürfen, da bereits bei den Hauptbestandtheilen desselben in einzelnen Artikeln das Nöthigste gesagt ist. Nut bemerken wir, daß Westphalen besonders ein so ansehnlicher Theil der deutschen Universitäten zufiel, daß ihre Anzahl für den Umfang des Landes zu ansehnlich ward, nämlich; Göttingen, Halle, Helmstädt, Marburg und Rinteln;
————
daher auch Helmstädt und Rinteln in der Folge aufgehoben wurden.
  Was die Staatsverfassung dieses neuen Königreichs betrift, so hat blos die männliche Nachkommenschaft, mit beständiger Ausschließung der Weiber, das Successionsrecht. In Ermangelung der natürlichen Nachkommen fällt der Thron an den französischen Kaiser und dessen Nachkommen; in deren Ermangelung aber an Joseph, dann an Louis, oder endlich an Joachim. Im Fall der Minderjährigkeit, welche mit dem 18. Jahre endigt, wird der Regent vom franz. Kaiser erwählt. Der Kronschatz für den König und die königliche Familie beträgt 5 Millionen Franken. – Das französische System der Münze, der Gewichte und Maße wird im ganzen Königreich eingeführt. Der Codex Napoleon ist das Civilgesetzbuch. – Der Staatsrath besteht, unter des Königs Vorsitz, aus den Prinzen vom Geblüt, den Ministern, den Staatsräthen, den Auditoren und einem Generalsecretair; von ihm werden die Gesetze über die Finanzen, bürgerliche und Criminal-Gesetze discutirt und den 3 verschiedenen Landescommissionen mitgetheilt und der definitive Entwurf gelange dann an die Stände. – Das Land wird in Departements (von einem Präfekt administrirt) und diese wieder in Distrikte (unter einem Unterpräfekt) getheilt, welche sich dann in Cantons, und diese wieder in Municipalitäten abtheilen; jede Muni-
————
cipalität hat einen Maire. Jeder Präfekt hat in seinem Departement die Aufsicht über Kirchen- und Schulwesen, öffentliche Anstalten, die Erhebung der Abgaben etc.; der Präfekturrath, aus 3 auch 4 Mitgliedern bestehend, entscheidet in Steuer- Defraudations- und Contractsachen bei öffentlichen Arbeiten etc.; der General-Departementsrath endlich, aus 16 oder 23 Mitgliedern, welche sich alle Jahre Einmal auf 14 Tage versammeln, vertheilt die direkten Steuern, setzt die Nachschußabgaben (Zulagscentimen) fest u. s. w.
  Noch bemerken wir in Rücksicht der Inden, daß diese durch ein ausdrückliches königl. Decret vom 27. Jan. 1808 alle Gerechtsame der übrigen Staatsbürger erhalten haben: ihnen ist zugleich ein eignes Consistorium zu Beförderung der Cultur ihrer Glaubensverwandten, zur bessern Einrichtung des Schul- und Kirchenwesens etc. bestellt.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Westphalen