Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Toussaint Louvertüre
Toussaint Louvertüre, einer der merkwürdigsten Neger, der zu Ende des vorigen und Anfange des jetzigen Jahrhunderts bei ten leider! so empörenden Ereignissen auf St. Domingo eine der bedeutendsten Rollen mitspielte. Schwer ist es, über diesen so außerordentlichen Menschen zu einem richtigen Resultate zu kommen, so widersprechend sind die Urtheile und Berichte über ihn. Bald von der einen, besonders der französischen, Parthei zu den grausamsten Wüthrichen herab-, und beinahe einem Ungeheuer, wie Dessalines war, gleich gesetzt, auch mir den hinterlistigen, treulosen Schwarzen in eine Klasse geworfen, bald von andern Berichterstattern, wohin meistens Engländer, namentlich der brittische Officier Rainsford (Gesch. d. Insel St. Domingo oder Hayti) gehören, zu einem der edelsten, grosmüthigsten, treusten Menschen erhoben – ist es schlechterdings unmöglich, diese so geradezu einander entgegen laufenden Nachrichten mit einander zu vereinen. Indessen scheint aus allen den Berichten so viel hervor zu gehen, daß die empörenden Mishandlungen, welche sich die Weißen auf Domingo gegen die unglucklichen Neger erlaubten, die hauptsachlichste Triebfeder für Toussaintʼs Handlungen waren, und daß er, durch jene aufs höchste gereitzt, aus Theilnahme für das Loos seiner Unglucksgefährten, alles das unternahm,————
was ihn nachher auf so merkwürdige Art auszeichnete. – Geboren im Jahr 1745 auf einer Pflanzung des Grafen Noé, unweit des Cap François im nördlichen Theile von St. Domingo, zeigte er, herausgewachsen, bald einen solchen Trieb und Eifer, seine natürlichen Anlagen zu erweitern, daß er, trotz seiner Lage, schon früh lesen, schreiben und rechnen lernte; und sein Eifer, immer mehr Kenntnisse einzusammeln, erwarb ihm nicht nur die Gunst seines Vorgesetzten, des Oberaufsehers der Plantagen, Hrn. Bayon de Libertas, welcher ihn bald zu seinem Kutscher machte, sondern auch die Bewunderung seiner Mitsklaven. Er blieb übrigens, auch selbst nachdem er im 25. Jahre geheirather hatte, immerfort Sklave seines Herrn, obgleich dieser ihm seinen Zustand so erträglich als möglich zu machen suchte. In dieser günstigen Lage wußte er denn auch sich mit mehreren Geisteswerken bekannt zu machen, und in seiner Bibliothek fanden sich philosophische (worunter Raynals Schriften ihn am meisten anzogen) eben sowol, als Werke über die Staats- oder Kriegskunst. Als nun die merkwürdige Negerempörung ausbrach, zog man auch ihn zu Rathe; allein er nahm Anfangs an dem Kampfe für Freiheit keinen Antheil, wol aber traf er die besten Anstalten, um seinen Herrn, Bayon de Libertas, auf das feste Land von Amerika in Sicherheit zu bringen; und endlich, nachdem dieser der drohenden Gefahr ganz entrissen war,
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begab er sich nun zu der Armee seines Landes, nahm bei dem unter Biassouʼs Befehle stehenden Corps Dienste, und ward der nächste nach diesem im Commando. Allein da Biassou wegen seiner wilden Grausamkeit sich immer mehr und mehr den Haß, und wegen mehrerer mißlungenen Unternehmungen die Geringschätzung seiner Armee zuzog, so wurde er entsetzt, und dagegen Toussaint zum Divisionscommandanten ernannt. Auf dieser Stelle zeigte er nun allerdings, daß sein Genie schon vorher sich mit den zur Kriegskunst sowol, als zur Staatsverwaltung erforderlichen Kenntnissen vertraut gemacht hatte, und so sehr auch seine Feinde und die wider ihn eingenommenen Berichterstatter ihm hier alle die Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten mit aufbürden wollen, die – eine natürliche Folge jeder Revolution, geschweige denn unter Schwarzen – von seiden Gefährten verübt wurden, so sprechen doch zu viel Züge, die häufig genug in öffentlichen Blättern und Schriften von ihm beigebracht werden, für seinen minder wilden, menschlichern Charakter, wenn man auch in die außerordentlichen Erhebungen nicht einstimmen will, die von der andern Seite über ihn ausgespendet werden. Seine Verbindungen, die er mit Dessalines einging, sind freilich von der Art, daß so manche von den Unmenschlichkeiten, die dieses Ungeheuer in ungemessener Zahl ausübte, auch auf Toussaint mit zu-
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rückfielen; indessen ist es gewiß, daß als dieser nun wirklich Herr von Domingo geworden war, Dessalines die scheußlichsten Grausamkeiten für sich ausübte, und daß Toussaint in der Lage, in der er nun einmal war, jene nicht ganz verhindern konnte. Will man übrigens den Nachrichten, welche der oben erwähnte Rainsford gegeben hat, nicht geradezu allen und jeden Glauben absprechen, so verdient Toussaint, in der Würde als Obergeneral und Gouverneur der Insel St. Domingo, wegen seiner Gerechtigkeits- und Menschenliebe, wegen seines guten Benehmens und wegen seiner zum Besten des Landes getroffenen musterhaften Anordnungen und Einrichtungen, mit Recht die Liebe und Achtung der Neger, welche sie ihm durchgängig zu erkennen gaben.
  Doch die französische Revolution sollte auch für Toussaint von bedeutenden Folgen werden. Schon im 4 Jahre dieser neuen französ. Republik (1796) hatte er bei einem Volksaufstand in der Cap-Stadt den zum Gefangenen gemachten General Laveaux, indem er auf die Stadt losmarschirte die Bewohner zu Oefnung der Thore zwang und als Sieger einzog, wieder in Freiheit und in sein Amt als Gouverneur eingesetzt. Eben durch diese Handlung hatte er sich in große Achtung bei der französ. Republik gesetzt, er wurde zum Divisionsgeneral und Gouvernementslieutenant auf St. Domingo und so zum Herrn des Schicksals der
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ganzen Colonie gemacht. Unter Rochambeau commandirte er nun einen Theil der französischen Armee, und eine gewisse Ordnung, die er allenthalben einführte, schafte ihm viel Anhänger; auch machte er 1797 ansehnliche Progressen gegen die Engländer, so daß ihm auch das französische Directorium einen Säbel u. m. verehrte, und ihm seine ganze Zufriedenheit zu erkennen gab, er auch zum Obergeneral aller Armeen auf Domingo ernannt wurde. Indessen zeigte doch Toussaint, nachdem er 1798 noch ansehnlichere Schritte gemacht hatte, eine gewisse Widersetzlichkeit, die Agenten der französ. Republik anzuerkennen und suchte überhaupt sich ganz unabhängig zu machen. Das Directorium stellte sich demohngeachtet fortwährend gutgesinnt gegen ihn, und auch er schien in gutem Verhältniß bleiben zu wollen, denn er schickte sogar seine beiden Söhne nach Frankreich, um sie in der christlichen Religion erziehen zu lassen. Indessen brach 1799 zwischen ihm und dem General Rigaud, dem Mulattenoberhaupte in den südlichen Departements, ein wüthender Bürgerkrieg aus: Ströme von Blut wurden vergossen; aber zuletzt sah sich Toussaint doch Meister von der ganzen Colonie. Er stellte die Ordnung im Norden wieder her, kündigte eine Amnestie an und entwaffnete nun vor allem die rebellischen Schwarzen. Nachdem alles in Ruhe war, begab er sich auf den Cap (d. 4. Nov. 1800) ließ 40
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Gefangene vor sich führen und verurtheilte 13 davon, worunter sich selbst sein Neffe Moyse befand, zum Tode.
  Indessen, so sehr er sich auch bemühte, mit Frankreich das gute Benehmen zu unterhalten, wurden doch seine Maasregeln der französischen Regierung immer mehr verdächtig: sie sendete 1801 eine Flotte unter den Generalen Leclerc und Villaret ab, um ihr Ansehen fühlbarer zu machen. Allein Toussaint, welcher die Absichten gegen ihn wol merkte, und sich nun auch zum Widerstand rüstete, ließ ihnen bei ihrer Ankunft zu erkennen geben, daß er ihnen keineswegs erlauben würde, in die Stadt zu kommen: die französischen Generale, darüber entrüstet, forderten noch denselben Tag die Schlüssel, und bei deren Verweigerung fingen sie nun den folgenden Tag die Attake mit größtem Nachdruck an. Die Schwarzen, besonders unter den Befehlen des Generals Christoph, flüchteten sich und, mit Fackeln bewaffnet, warfen sie überall das Feuer, sowol in die Stadt, als die übrigen Besitzungen, durch welche sie sich zurückzogen und brachten dadurch freilich die fürchterlichste Catastrophe für die Colonie herbei. Leclerc schickte zwar dem Toussaint seine beiden Söhne, welche er aus Frankreich mit zurückgebracht hatte, zu, um ihn nachgebender zu machen; allein umsonst. Jetzt erklärten die französischen Generale ihn und Christoph in die Acht; beide wurden
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angegriffen, geschlagen, sie mußten in die Wälder sich zurückziehen und um Ende zu Unterhandlungen ihre Zuflucht nehmen. Leclerc willigte in einen Waffenstillstand, und er nahm die Unterwerfung der Neger-Generale unter der Bedingung an, daß Toussaint sich nach einer Pflanzung unweit Gonaives, Dessalines in eine andre bei St. Mark begeben mußten. Indessen sollte Toussaint durch seine eigenen Verbündeten und durch den, welchen er erhoben hatte, gestürzt werden. Dessalines und Christoph, von Haß und Neid getrieben, schmiedeten nun einen Plan, um jenen aufzuopfern. Sie spielten einen Brief, worin Toussaint insgeheim einen Aufstand unter den Schwarzen vorbereitet hatte, dem französischen General in die Hände, und dieser, welcher auf einmal den Verschwörungen ein Ende machen wollte, ließ ihn nebst einigen andern Generalen (in den ersten Tagen des Juni) verhaften und nach Frankreich einschiffen: hier langte er am 7. Aug. 1802 in dem Temple an, wurde in der Folge auf die Festung Jour bei Besançon gebracht, wo er denn im J. 1803 im April starb: man fand ihn in seinem Zimmer neben einem Tisch hingestreckt. So endete einer der bedeutendsten Menschen, über welchen ein bestimmtes richtiges Urtheil zu fällen, wol noch der Nachwelt vorbehalten bleibt. Mögen aber auch auf der einen Seite die allzugroßen Lobeserhebungen, und auf der andern die gar zu ge-
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hässigen Schilderungen zu übertrieben scheinen, so ist es doch in keinem Fall zu läugnen, daß er ein Mann von außerordentlichem Genie – daß er ein merkwürdiger Mensch war, und daß auf der Stelle, wo Er stand, Bewunderung ihm nicht versagt werden kann, daß der Wunsch verzeihlich ist: Er hätte ein anderes Schicksal verdient! In seinem Privatleben wurde er als sehr mäßig geschildert, obgleich er einen glänzenden Hofstaat und eine gewisse Pracht liebte. Er besas viel Mistrauen; aber konnte er, nach den Erfahrungen, die er gemacht hatte, wol anders? Er schien sehr religiös, versäumte selten eine Messe, ja er bestieg wol selbst die Kanzel und predigte mit Kraft an das Volk und seine Soldaten. Es sei erlaubt, hier nur noch die Worte des Ingenieurs Vincent in einem Aufsatze: Reflexions sur lʼétat actuel de la colonie de St. Domingue über diesen merkwürdigen Mann aufzuführen: »Toussaint, an der Spitze seiner Armee, ist der thätigste, unermüdlichste Mann – er ist überall zugegen, wo verständige Einsicht und vorhandene Gefahr ihn glauben lassen können, daß seine Gegenwart erforderlich sei etc. – Seine große Mäßigkeit, das für ihn gar nicht vorhandene Bedürfniß der Ruhe, die Leichtigkeit, mit der er von ermüdenden Reisen sogleich zu Cabinets Arbeiten übergeht, täglich über hundert Briefe beantwortet und gewöhnlich fünf Secretaire beschäftigt, machen ihn zu
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einem über alle seine Umgebungen so erhabenen Menschen, daß die Hochachtung und Ergebenheit für ihn in vielen Köpfen bis zum Fanatismus gehen. Man kann wol annehmen, daß gegenwärtig kein Individuum ist, das auf eine Masse ungebildeter Menschen so viel Einfluß und Gewalt besitzt, als der General Toussaint sich über seine Brüder verschafft hat. – Er besitzt übrigens ein bewundernswürdiges Gedächtniß, ist guter Vater und Gatte und in seinem bürgerlichen Leben eben so zuverläßig, als schlau in seinem politischen.« – – Ich schließe diese freilich unvollkommene Skizze mit den sehr wahren Worten eines andern franz. Schriftstellers, des Senators Gregoire (i. s. Recherches sur les facultés intellectuelles, la qualité morale et la literature des Negres): »Toussaint war der Wiederhersteller des Gottesdienstes auf St. Domingo, und sein Eifer hatte ihm den Beinamen des Capuziners von Leuten erworden, denen man einen ganz andern geben könnte. .... Daß Toussaint grausam, Heuchler, Verräther gewesen sei – ich habe keinen Beruf es zu läugnen; aber die Weißen – –! Wir sollen in keiner Sache urtheilen, in der wir nur die eine Parthei hörten. Vielleicht kommt die Zeit, wo auch die Neger schreiben und drucken lassen, oder wo irgend ein Weißer mit unpartheiischer Feder erzählt
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