Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Thomasius, Christian
Christian Thomasius war zu Leipzig den 1sten Januar 1655 geboren. Von seinem Vater, Jacob Thomasius, Prof. der Beredsamkeit, keineswegs zu einem bestimmten Fache hingewiesen, ward er bei Zeiten ein akademischer Burger, schon im 16ten Jahre Baccalaureus, und im 17ten Magister der Philosophie, die Rechtsgelahrtheit aber sein Hauptstudium – eine Wahl, zu welcher ihn besonders seine von Puffendorf und Grotius erregte Liebe zum Naturrechte vermochte. Er ging 1675 nach Frankfurt an der Oder, wo unter andern auch Stryk sein Lehrer war. Indessen, da er hier nicht ganz Befriedigung fand, hielt er nun selbst juristische Vorlesungen, um, wie er sich ausdrückte, durch Lehren selbst zu lernen, und suchte schon damahls das positive durch das Natur-Recht zu verbessern. Nachdem er 1679 Doctor der Rechte geworden, und eine Reise nach Holland gemacht hatte, kehrte er in seine Vaterstadt zurück, lehrte hier das bürgerliche Recht und die Pandekten, führte aber auch zugleich mit nicht gemeinem Scharfsinn und Gewandheit gerichtliche Händel. In der Folge jedoch bloß Docent, erlangte er bald großen Beifall und viele Zuhörer, erregte aber durch mehrere freimüthig geschriebene Abhandlungen (z. B. über die Vielweiberei, die er wenigstens als dem Naturrecht nicht zuwider erklärt) Unwillen, größeres Erstaunen aber dadurch, daß er,————
die Fesseln des alten Vorurtheils zerbrechend, 1688 ein Deutsches Programm an das schwarze Bret anschlug, und zugleich ein Deutsch zu lesendes Collegium ankündigte. Da er immer weiter in seiner Freimüthigkeit ging, und mit Offenheit sowohl in Vorlesungen als in Schriften die Lehrsätze sogar eines seiner ehemahligen Lehrer (D. Alberti) bestritt; so konnte es nicht fehlen, daß er immer mehr Feinde sich zuzog, die er noch stärker reitzte, als er anfing, ein Journal – damahls für Deutschland noch etwas ganz neues – unter dem Titel: »Scherz- und ernsthafte, vernünftige und einfältige Gedanken über allerhand lustige und nützliche Bücher, in Gesprächen etc.« zu schreiben, und hier seine Feinde mit der Geisel der Satyre zu züchtigen. Freilich störte er dadurch immer mehr ins Wespennest; seine Feinde suchten die heftigsten Verleumdungen und Beschuldigungen gegen ihn vorzubringen: und ob er zwar gleich anfangs noch das Wetter gegen sich zu zerstreuen wußte, so kam es doch bald zu weit heftigern und ernstlichern Streitigkeiten mit den Theologen, Pfeifer und Carpzov, die ihn sogar der Atheisterei beschuldigten. Diese in Verbindung mit der theologischen Facultät, ingleichen des Dänischen Oberhofpredigers Masius (den er in seinem Journale nachdrücklich recensirt hatte) Denunciation sogar wegen des Verbrechens der beleidigten Majestät, brachen gemeinschaftlich gegen den stand-
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haften Mann los; als er nun noch dem damahls so gemißhandelten Aug. Herm. Franke durch ein ertheiltes Responsum beistand, ja bei Gelegenheit der Vermählung Herzog Moritz Wilhelms zu Sachsen die Ehe zweier fürstl. Personen von ungleicher Religion vertheidigte, und dadurch zugleich die Wittenberger Theologen gegen sich aufbrachte: so kam von dem Ober-Consistorium, durch mehrfache Anklage bewogen, der Befehl, dem Thomasius alle Vorträge zu untersagen und – seiner Person sich zu versichern. Dem letzten kam Thomasius zuvor, indem er nach Berlin ging, wo ihm der Schutz des großen liberalen Churfürsten von Brandenburg, Friedrichs III. und die Erlaubniß zu Theil ward, sich in Halle, wo damahls nur noch eine Ritter-Akademie war, niederzulassen und hier Vorlesungen zu halten. Diese fing er auch wirklich (1690) an, und ward dadurch Ursache, daß nachher der Churfürst sein Vorhaben mit der Universität ausführte, welche 1694 feierlich eingeweiht wurde. Thomasius, jetzt als ordentlicher Professor der Rechte angestellt, hatte auch hier viele Streitigkeiten – denn fast jede Schrift, die er herausgab, fand auch Widerspruch – zu bekämpfen (ein Werk wurde zu Leipzig confiscirt, ein anderes zu Copenhagen verbrannt): indessen hinderte dieß den geraden Mann nicht, fortzugehen; ja, er hatte die große Genugthuung, daß er (1709) nach Leipzig, dem Orte, von welchem ihn so
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große Verfolgungen vertrieben hatten, den Ruf als Ordinarius erhielt, den er aber ausschlug, und dafür, mit dem Geheimenraths-Titel, im folgenden Jahre an Stryks Stelle Director der Friedrchis-Universität und Decan der Juristen-Facultät ward. Er starb im 73sten Jahre, 1728, denkwürdig als ein großer Beförderer wahrer Aufklärung, als eifriger Gegner verderblicher Mißbräuche und Vorurtheile. Zwar werden auch manche Fehler und Irrthümer dem großen Manne, wohl nicht mit Unrecht, zur Last gelegt, worunter sein Hang, alles zu bespötteln, auch in Allem Bedenklichkeiten und Veranlassung zum Streiten zu finden, eine bedeutende Stelle einnehmen; dessen ungeachtet gehört er unstreitig mit zu den wichtigen Reformatoren in den philosophischen sowohl als andern Wissenschaften, welche als Märterer der Wahrheit unter den größten Gefahren mit Muth zur Verbesserung derselben beigetragen und das Secten-Joch standhaft abgeworfen haben. Die Deutsche Sprache erhob er zuerst auf den akademischen Lehrstuhl, und trug durch seine Deutschen Vorträge und durch Herausgabe seines Deutschen Journals sehr viel zur Beförderung dieser unsrer Muttersprache bei, obgleich er auf der andern Seite, wider seinen Willen, durch die gut gemeinten Erklärungen gegen das allzu viele und unnöthige Lateinlernen eine gewisse Abneigung gegen die alten Sprachen beförderte. Als Rechtsgelehrter hatte er
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lange auf der Seite Puffendorfs gestanden; allein, von dem Entschlusse beseelt, Alles selbst und ohne Andrer Autorität zu untersuchen, riß er zuletzt durch sein Natur- und Völkerrecht (1705) das auf jenen gegründete Gebäude ganz wieder ein. Dadurch zog er sich zwar bittern Tadel und den Vorwurf der Veränderlichkeit in seinen Meinungen zu; indessen hatte er volle Gründe, von seiner frühern Meinung abzugehen, und ehrlich bekannte er, daß er vorher geirrt habe. Seinen ihm hauptsächlich vorgeworfenen und seit seinem Aufenthalte in Halle stark gezeigten Pietismus anlangend, so ist es zwar wahr, daß durch seinen Einfluß bei Stiftung der Universität Männer, dem Pietismus zugethan, zu Professoren gewählt wurden, und so Halle der Mittelsitz dieses Pietismus ward; allein die Widerwärtigkeiten seines Lebens mochten ihn, den immer Religiösen, wohl empfänglich für die gottselige Ansicht der Pietisten machen. Doch ein solcher Geist konnte nicht lange in den Irrgängen verweilen; er sagte in der Folge (seit 1708) dem Pietismus ab, und arbeitete nun vielmehr, den »pietistischen Unfug« aufdeckend, aus allen Kräften dem Mysticismus entgegen. – Eines der größten Verdienste Thomasius um die Menschheit ist: 1) die Unzulässigkeit der Tortur zuerst zur Sprache gebracht, 2) die ersten Schritte zu Abschaffung jener so berüchtigten, die Menschheit so entehrenden, Hexenprocesse gethan zu
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haben. Durch seinen ehemahligen Lehrer, Stryk, bei einer über ein solches Urthel in der Facultät gehaltenen Abstimmung zuerst aufmerksam gemacht, dachte Thomasins über das empörende Verfahren bei solchen Processen nach, legte das Resultat davon in seiner Disputation: de crimine magiae, 1701 (nachher Deutsch, 1702, vom Verbrechen der Zauberei) und in mehreren Tractaten dar, und unzählige Unschuldige durften nun nicht mehr Ehre und Leben durch jene albernen Vorstellungen aufs Spiel gesetzt sehen. (M. s. auch d. Art. Hexen, Th. II. S. 202.)
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Ansicht: Thomasius, Christian