Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Theodorich, Der König
Der König Theodorich, der Sohn des Theodomirs, eines Anführers der Gothen, 455 geboren, erhielt am Hofe zu Constantinopel, wohin er eigentlich, noch ganz jung, als Geisel geschickt worden war, eine gute Erziehung, und nachdem er durch den Tod des Anführers eines andern Gothischen Stammes das Oberhaupt aller Gothen geworden, machte er dem Griechischen Kaiser Zeno den Vorschlag, mit seinen Gothen Italien zu erobern, das jetzt Odoacer, ein Deutscher Heerführer, seit 476 eingenommen hatte. Zeno, der die Gothen von seinen Staaten entfernen wollte – sie wohnten im heutigen Ungarn, der Moldau und Wallachei, und konnten daher Constantinopel leicht beunruhigen – gab seine Einwilligung sehr gern dazu, und 489 erhob sich der Zug. Theodorich, als Anführer an der Spitze des Volks, überstieg mit unaussprechlicher Mühe die Julischen Alpen, und schlug das Heer, das ihm Odoacer entgegen stellte, zu drei verschiedenen Mahlen. Dieser selbst vertheidigte sich in Ravenna aufs äußerste, und hielt sich bis zum Jahre 493. Allein länger konnte er der Gewalt der Gothen nicht widerstehen: Theodorich nahm Ravenna ein, und ward durch diesen Sieg Beherrscher Italiens, Odoacer aber bald darauf von ihm selbst ermordet, weil er sich – wenigstens wurde dieß zum Vorwande gebraucht – in eine Verschwörung gegen ihn eingelassen hatte. Man————
kann, ungeachtet diese letzte Handlung einigen Schatten auf Theodorichs Charakter wirft, dennoch behaupten, daß kein andrer Anführer barbarischer Stämme den Theodorich an Weisheit und großen Regententugenden übertroffen habe, und daß die Italiäner nicht Unrecht hatten, wenn sie während seiner Regierung die glücklichen Zeiten des Trajans und der Antonine wiedergekehrt glaubten. Theodorich überließ seinen Gothen beträchtliche Ländereien, und bestimmte sie allein zum Kriegsdienst; den Eingebornen des Landes blieben die Künste des Friedens und die wissenschaftliche Cultur. Sie wurden nach ihren ursprünglichen Gesetzen gerichtet, und der König ahndete nachdrücklich jeden Schimpf, den ein Gothe einem Italiäner anthat. Aber auch die Gothen lebten als freie Männer, und behielten ihre alten Gesetze bei. Die alten Denkmähler der Kunst wurden sorgfältig wider den Untergang bewahrt, und die Gelehrten fanden an Theodorichs Hofe eine glänzende Aufnahme. Ueberall war Wohlstand und Sicherheit im Reiche; und sein kluger und gelehrter Staatsminister, Cassiodorus, trug das seine ebenfalls redlich dazu bei. Nur die letzten Regierungsjahre waren nicht ganz glücklich. Theodorich gehörte zu der Secte der Arianer; und ob er gleich gegen die übrigen katholischen Christen alle mögliche Toleranz bewies, so wurde er doch bitter von ihnen gekränkt, und dadurch zu größerer Strenge gegen sie
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gleichsam aufgefordert. Während dieser unseligen Religionszwiste glaubte Theodorich eine Verschwörung gegen sich in Rom angesponnen. Mehrere Senatoren wurden verhaftet; und unter ihnen befand sich der gelehrte Boethius, den Theodorich bisher mit der zärtlichsten Freundschaft behandelt hatte. Aber jetzt vergaß er auf einmahl alle vorigen Verhältnisse, und ließ ihn unter grausamen Martern hinrichten (524). Auch dem Schwiegervater des Boethius, dem Symmachus, widerfuhr ein Jahr darauf dasselbe Schicksal. Die edelste Reue bezeugte Theodorich über diese schwarzen Thaten dadurch, daß er bald nachher darüber in einen tiefsinnigen Gram verfiel, der ihm am 30. Aug. 526 das Leben raubte.
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