Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Tallien
Der Repräsentant Tallien, von sehr dunkler Herkunft (man sagt, er habe ehemahls die Buchdruckerkunst erlernet; andere meinen, er sei Rechtsgelehrter gewesen), gab während der Revolution in Paris ein periodisches Blatt heraus; am 10. August war er Sekretair der neu errichteten Municipalität; zum Convente wurde er von dem Departement der Seine und Oise zum Deputirten erwählt, und blieb auch nachher Mitglied im Rathe der Fünfhundert. Während seiner politischen Laufbahn erregte er dadurch das meiste Aufsehen, daß er der erste war, der Robespierre angriff (man sehe den folg. Art.) und stürzte. Dieser Tyrann schien eine geheime Ahndung davon zu haben; denn er gestand einige Monate vorher, daß er Tallien nie ohne Schaudern ansehen könne. Vielleicht würde die ganze Handlung verdienstlicher ausgefallen sein, wenn sie einen andern Urheber gehabt hätte, als Tallien. Denn dieser war, wegen des Antheils, den er an den Mordthaten im Sept. 1792 gehabt haben soll, fast eben so verachtet, als Robespierre selbst. Freilich erwarb er sich durch den Muth, womit er diesen bekämpfte, allgemeinen Beifall, und erntete anfänglich die Segenswünsche aller patriotischen Franzosen; sobald aber der erste Rausch der Freude vorüber war, so fing er auch schon wieder an, in der allgemeinen Achtung zu sinken, da zumahl sein Betragen von neuem————
zweifelhaft wurde. Bald schien er den noch im Verborgnen glimmenden Terrorismus begünstigen zu wollen, bald belebte er die schwindenden Hoffnungen der Royalisten. Die lästige Beschuldigung wegen seiner Mitwirkung zum Septemberscenen hat er bis jetzt noch nicht von sich entfernen können, ob er gleich mehrere Mahle eine Schutzschrift für sich ankündigte, worin er beweisen wollte, daß er nur deswegen an jenen Blutgerichten Antheil genommen habe, um Unschuldigen das Leben zu retten. Im Rathe der Fünfhundert hat er in der Folge nicht viel gesprochen, wahrscheinlich aus Gefühl seiner Schwäche. Thibaudeau, einer der besten Redner in der Versammlung, widerlegte ihn gewönhlich in bündigen Ausdrücken; und seitdem wagte er sich nur selten auf die Tribüne. Da er wegen der Veränderlichkeit seines Charakters keine Partei befriedigte, so wurde er schon deswegen nicht sonderlich geachtet; am meisten aber haßten ihn doch die Anhänger des Schreckensystems. Durch sie wurde er bald nach Robespierreʼs Sturz meuchelmörderischer Weise verwundet, und sie versagten ihm auch die Aufnahme in einen (1797) neu gestifteten Club. Die Achtung, die Tallien allenfalls noch genoß, verdankte er allein seiner liebenswürdigen Gemahlin, von der wir sogleich mehr sprechen werden.
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* Tallien (um noch des neuern Schicksals dieses Th. VI. S. 46 und 47 aufgefuhrten Repräsentanten mit einigen Worten Erwahnung zu thun) schiffte sich 1798 als Privatgelehrter mit nach Egypten ein. Indessen mußte er auch hier den Miscredit, in welchen er nun einmal verfallen war, empfinden; das Misverständniß mit Meuon kam zuletzt so weit, daß dieser ihn wieder nach Frankreich zurückschickte, ihm aber schon im Voraus eine geheime Anweisung vorangehen ließ, nach welcher er sogleich auf französischem Boden arretirt werden sollte. Zum Glück fiel er unterwegs einem englischen Schiffe in die Hände, das ihn nach London brachte. Nach einiger Zeit wieder befreit, kam er über Calais nach Frankreich zurück – seine Gattin (s. Th. VI. S. 49 ff. ingl. den hier folgenden Nachtrag), welche ihn nicht wieder aufnehmen mochte, hatte ihre Verbindung für aufgehoben erklärt – und im Jahr 1806 ward er als Commissair in Handelsangelegenheiten zu Alicante angestellt.
Der Repräsentant Tallien, von sehr dunkler Herkunft (man sagt, er habe ehemahls die Buchdruckerkunst erlernet; andere meinen, er sei Rechtsgelehrter gewesen), gab während der Revolution in Paris ein periodisches Blatt heraus; am 10. August war er Sekretair der neu errichteten Municipalität; zum Convente wurde er von dem Departement der Seine und Oise zum Deputirten erwählt, und blieb auch nachher Mitglied im Rathe der Fünfhundert. Während seiner politischen Laufbahn erregte er dadurch das meiste Aufsehen, daß er der erste war, der Robespierre angriff (man sehe den folg. Art.) und stürzte. Dieser Tyrann schien eine geheime Ahndung davon zu haben; denn er gestand einige Monate vorher, daß er Tallien nie ohne Schaudern ansehen könne. Vielleicht würde die ganze Handlung verdienstlicher ausgefallen sein, wenn sie einen andern Urheber gehabt hätte, als Tallien. Denn dieser war, wegen des Antheils, den er an den Mordthaten im Sept. 1792 gehabt haben soll, fast eben so verachtet, als Robespierre selbst. Freilich erwarb er sich durch den Muth, womit er diesen bekämpfte, allgemeinen Beifall, und erntete anfänglich die Segenswünsche aller patriotischen Franzosen; sobald aber der erste Rausch der Freude vorüber war, so fing er auch schon wieder an, in der allgemeinen Achtung zu sinken, da zumahl sein Betragen von neuem————
zweifelhaft wurde. Bald schien er den noch im Verborgnen glimmenden Terrorismus begünstigen zu wollen, bald belebte er die schwindenden Hoffnungen der Royalisten. Die lästige Beschuldigung wegen seiner Mitwirkung zum Septemberscenen hat er bis jetzt noch nicht von sich entfernen können, ob er gleich mehrere Mahle eine Schutzschrift für sich ankündigte, worin er beweisen wollte, daß er nur deswegen an jenen Blutgerichten Antheil genommen habe, um Unschuldigen das Leben zu retten. Im Rathe der Fünfhundert hat er in der Folge nicht viel gesprochen, wahrscheinlich aus Gefühl seiner Schwäche. Thibaudeau, einer der besten Redner in der Versammlung, widerlegte ihn gewönhlich in bündigen Ausdrücken; und seitdem wagte er sich nur selten auf die Tribüne. Da er wegen der Veränderlichkeit seines Charakters keine Partei befriedigte, so wurde er schon deswegen nicht sonderlich geachtet; am meisten aber haßten ihn doch die Anhänger des Schreckensystems. Durch sie wurde er bald nach Robespierreʼs Sturz meuchelmörderischer Weise verwundet, und sie versagten ihm auch die Aufnahme in einen (1797) neu gestifteten Club. Die Achtung, die Tallien allenfalls noch genoß, verdankte er allein seiner liebenswürdigen Gemahlin, von der wir sogleich mehr sprechen werden.
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* Tallien (um noch des neuern Schicksals dieses Th. VI. S. 46 und 47 aufgefuhrten Repräsentanten mit einigen Worten Erwahnung zu thun) schiffte sich 1798 als Privatgelehrter mit nach Egypten ein. Indessen mußte er auch hier den Miscredit, in welchen er nun einmal verfallen war, empfinden; das Misverständniß mit Meuon kam zuletzt so weit, daß dieser ihn wieder nach Frankreich zurückschickte, ihm aber schon im Voraus eine geheime Anweisung vorangehen ließ, nach welcher er sogleich auf französischem Boden arretirt werden sollte. Zum Glück fiel er unterwegs einem englischen Schiffe in die Hände, das ihn nach London brachte. Nach einiger Zeit wieder befreit, kam er über Calais nach Frankreich zurück – seine Gattin (s. Th. VI. S. 49 ff. ingl. den hier folgenden Nachtrag), welche ihn nicht wieder aufnehmen mochte, hatte ihre Verbindung für aufgehoben erklärt – und im Jahr 1806 ward er als Commissair in Handelsangelegenheiten zu Alicante angestellt.