Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Sterne, Lorenz
Lorenz Sterne – einer der originellsten, aufgewecktesten und witzigsten Köpfe, die je in der Litteratur der Britten Epoche gemacht haben; vorzüglich aber der launigste aller Englischen Schriftsteller, wie Garve mit Recht von ihm urtheilt – war 1713 zu Clomwell im südlichen Irland (nach Andern in Dublin) geboren. Sein Charakter war edel und menschenfreundlich; mit der Gabe eines herrlichen Gesellschafters und ungemein witzigen und scherzhaften Genies verband er eine große Offenherzigkeit und Wahrheitsliebe; sein ungebundenes und freies Betragen bildete ihn zum freimüthigsten Satyriker; allein wo er auf der einen Seite durch Bitterkeit beleidigte, oder durch komische Kleidertracht und viele Eigenheiten auffiel, da gewann er auf der andern wieder durch gründliche Kenntnisse und durch ein feines und unverdorbenes, von der feurigsten Phantasie geleitetes Gefühl. Sein Vater, ein Lieutenant, ließ ihn zu Cambridge Theologie studiren; aber er verwendete seine meiste Zeit auf schöne Wissenschaften oder sonderbare Geniestreiche, und verließ jene hohe Schule mit dem Rufe eines unschädlichen Sonderlings. Bald nachher aber entwickelte sich sein Talent, und er wurde, nachdem er eine Präbende zu York und zwei Pfarrstellen erhalten hatte, bald allgemein berühmt. Er ließ das Pfarramt meistens durch Vicare verwalten, reiste seiner Ge-————
sundheit wegen 1762 bis 1764 nach Frankreich, und 1765 nach Italien, und starb endlich bald nach seiner Rückkehr 1768, ohne das Geringste von jener Heiterkeit verloren zu haben, die ihn in allen Vorfällen des Lebens begleitete. Wenige Schriftsteller haben auf den herrschenden Geschmack so viel Einfluß gehabt, und ein so zahlreiches Publicum erhalten, als er, und auch Deutschland wählte ihn lange Zeit zum Lieblingsschriftsteller. Sein erstes Werk, ein Roman: Leben und Meinungen des Tristram Shandy, 6 Bände in 8. (Deutsch übersetzt von Bode), ist ein sonderbares, dem ersten Anschein nach planloses und unverständliches Buch; allein der Kenner findet darin die treffendste Satyre auf die Englische Verfassung und die Sitten der bürgerlichen Gesellschaft, unvergleichliche Charakterzeichnungen, feine naive Empfindungen, und einen unerschöpflichen Schatz von ächtkomischer Laune. Er schildert sich hier unter andern selbst, unter dem angenommenen Namen Yorick, mit liebenswürdiger Aufrichtigkeit, und behielt diesen ihm sehr wohlgefallenden Namen in seinen folgenden Schriften bei. Bald erschienen Yoricks Predigten, herausgegeben von Sterne, ein ebenfalls originelles Werk, worin er, mit Hintansetzung alles Kanzeltons, die reinste Moral lehrt, aber auch hier seine eigenthümliche Denkungsart nicht verbergen kann, und in dem letzten Theile derselben, die auch unter dem be-
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sondern Titel: Yoricks Reden an Esel, erschienen sind, die Englische Geistlichkeit und Verfassung empfindlich verspottet. Allein berühmter noch ist Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien, in 2 Octavbänden, worin er mit der geheimsten Kenntniß des menschlichen Herzens, mit ächter Naivetät und komischer Darstellung, so wie mit dem zärtlichsten Gefühl und der lebhaftesten (freilich bisweilen etwas zu zügellosen) Einbildungskraft seine und seines trefflich charakterisirten Bedienten, La Fleur, nach Frankreich unternommene Reise und die dabei vorgefallenen Liebesabentheuer beschreibt. Nirgends herrscht Uebertreibung; überall ist der Styl hinreißend und voll von verborgenen Feinheiten, die sich selbst dem Auge des geübten Lesers nicht sogleich entdecken. Wir müssen daher, ungeachtet uns Bode, der auch dieses Werk meisterhaft übersetzt hat, eine schöne Fortsetzung desselben lieferte, dennoch bedauern, daß der Tod den Verfasser vor der Vollendung übereilte, da er noch nicht einmahl die Reise nach Frankreich ganz beschrieben hatte: dieses Buch, damahls einzig in seiner Art, machte einen außerordentlichen und allgemeinen Eindruck; und das Volk der Nachahmer verfertigte, um den veränderten Geschmack des Publicums zu benutzen, wetteifernd zahllose empfindsame Reisen, aber die meisten waren elend und Yorick blieb unnachahmlich; auch ist der Geschmack an
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dergleichen Reisen zur Ehre unserer Litteratur jetzt fast ganz verschwunden. Noch verdient ein Werk von Sterne bemerkt zu werden, das erst nach seinem Tode erschien, nehmlich die Briefe zwischen Yorick und Elisen (ebenfalls von Bode ins Deutsche übersetzt). Diese Elise war ein Ostindisches verheirathetes Frauenzimmer, die der Verfasser, während sie sich ihrer Gesundheit wegen eine Zeit lang in England aufhielt, liebgewonnen hatte, und mit der er Briefe wechselte, die die reinste platonische Liebe athmen und in der schönsten Schreibart abgefaßt sind. Die Briefe von Sterne an seine Freunde, die er bei verschiedenen Gelegenheiten schrieb, sind auch erst nach seinem Tode herausgegeben, und gleichfalls von Bode, der sich um Sterne überhaupt sehr verdient gemacht hat, übersetzt worden.
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Ansicht: Sterne, Lorenz