Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Runen
Runen. So nennt man theils die Buchstabenschrift, womit gewisse Nordische Denkmähler bezeichnet sind, theils diese Denkmähler selbst; richtiger heißen die letztern Runsteine. Zwei Fragen haben die Geschichtforscher beschäftigt. Die erste betrifft das Alter, die zweite den Ursprung der Runen. Ohne Zweifel geht Verelius in seiner Runographia, Upfal, 1675, zu weit, wenn er aus den Schichten von Gartenerde, womit die Runsteine überwachsen sind, auf ein Alter schließt, das kurz nach der Sündfluth fällt. Eben so übertrieben ist die Meinung des Joh. Giöransson, welcher (im J. 1750) 1173 in Holz geschnittne Runsteine bekannt machte, von denen er einige 2000 Jahre vor Christi Geburt hinaussetzt. Die Kritik findet jetzt in den Runsteinen weder Sodom, noch Tyr, noch den Magog; aber sie ist doch genöthigt, ihnen ein sehr hohes Alterthum zuzugestehn. Es ist gewiß, daß die Runen lange vor der Einführung des Christenthums, im 9. Jahrhunderte schon, in Scandinavien, Schweden, Dänemark, Grönland bekannt waren, obwohl Saro Grammaticus in seiner Dänischen Geschichte ums Jahr 1180 zuerst der Nordischen Runen als alter Monumente, aus denen er geschöpft habe, Erwähnung thut. Man findet Runsteine auf Feldern und Wiesen, andere, die zu Kirchmauern und Cenotaphien verbraucht sind, woraus man auf————
ihre große Menge schließen kann. Auf den Wendischen Götzenbildern findet man Inschriften mit Runen. Da gewiß lange Zeit dazu gehörte, ehe man schreiben und die Schriftart verschönern lernte, so kann man sie wohl in das 5te – 6te Jahrhundert setzen, um so mehr, da der Geist der Sprache, in welcher die Runschriften abgefaßt sind, mit der Sprache des 9ten Jahrhunderts verglichen ein sehr hohes Alterthum ankündigt. Aber sie waren keinesweges dem Norden eigenthümlich, indem sich in England und selbst in Spanien häufig Runsteine gefunden haben, wo die Menge der Steinschneider und die Liebe zur Dichtkunst dazu beitrugen sie zu vervielfältigen. Dieß führt uns auf die 2te Frage, über den Ursprung der Runen. Es scheint ausgemacht, daß sie nicht im Norden entstanden, sondern ein entstelltes Römisches Alphabet sind, dessen sich zuerst Deutsche Völker bedienten. Obwohl Tacitus sagt, daß Othin (in dem Zeitalter Pompejʼs) die Sprache und Dichtkunst im Norden eingeführt hätte, so läßt sich doch daraus auf die Einführung der Schreibkunst, welche ein viel höherer Schwung des menschlichen Geistes ist, kein Schluß machen. Wären die Runen Nordischen Ursprungs, so müßten sie doch alle Töne der Sprache dieser Völker bezeichnen, wozu sie keinesweges hinreichen. Das Ostgothische Alphabet des Ulphilas, welches mit den Runen nichts gemein hat, war zu
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jenem Zwecke weit geschickter. – Die Ostgothen widersetzten sich noch der Amalasuentha, als sie den jungen König Athalarich in der Schreibekunst wollte unterrichten lassen; und in der Folge erst nahm diese Nation allgemein das Alphabet des Ulphilas an. – Wenn Venantius Fortunatus, ein Röm. Dichter aus dem 5ten Jahrhundert, die Runen (Runa Barbara) erwähnt, so kann er wohl nicht die Schrift der Scandinavier oder der Gothen verstehen, die sich keiner Runen, sondern der Schrift des Ulphilas bedienten. Die Runenschrift hat großentheils eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Römischen Alphabete: aber sie ist sehr arm, besteht nur aus 16 Zeichen; sie kennt den Unterschied zwischen b und p, d und t, g und k, u und w nicht, welcher der Sprache der Nordischen Völker wesentlich ist. Sie ist also ein entstelltes Römisches Alphabet, welches Deutsche Völker von ihren Nachbarn entlehnt hatten. Kein andres Volk der Welt als Deutsche konnten sich mit 16 Charakteren begnügen, da nur Deutsche Völker, wie noch jetzt die Obersachsen, b und p, d und t, g und k, i und ü in der Aussprache verwechseln. Auch waren nach Rhabanus Zeugniß Runen unter vielen Deutschen Völkern z. B. den Marcomannen. gemein. – Aber, fragt man, warum finden sich Runsteine in Schweden, Norwegen, nicht in Deutschland? Hierauf antwortet Schlözer: a) die Deutschen kannten überhaupt die Grab-
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steine nicht, b) die cultivirten Deutschen Stämme, z. B. die Franken, bedienten sich zu Aufschriften des Römischen Alphabets, wie man aus Childerichʼs Ringe, der in dessen Grabe gefunden worden, ersieht; auch die Schweden vertauschten im 11. Jahrhundert die ungestalte Runenschrift gegen das Römische Alphabet, wie die spätern Denkmähler beweisen. – Uebrigens ist die Runenschrift ganz eckig und mißfällig. Jede Rune hat eine Basis, Staf genannt; daher Runstaba, ein Buchstabe.
  Die wichtigsten Schriften über die Runen sind: Ol Warmii Litteratura Runica. (Copenh. 1663, 4.) Ihre de Runarum in Suecia antiquitate. Upsal, 1769. – Ihre de R. origine et patria, Ups. 1770. Erichson bibl. Runica, 1766. Schlözer Einleitung in die Nordische Geschichte, S. 572. Runische Inschriften aus dem Norden sind von Wogen und Masch, die in Spanien gefundnen Runsteine aber von Velasquez gesammelt und herausgegeben worden.
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