Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Ravaillac, François
François Ravaillac wurde im Jahr 1578 zu Angouleme in dem ehemahligen Angoumois, dem jetzigen Departement Charente, in Frankreich geboren. Nie wurde die Geschichte diesen Namen genannt haben, wenn ihn nicht die schreckliche That desjenigen, der ihn trug, unvergeßlich gemacht hätte. Ravaillac war der Mörder Heinrichs des vierten, des Königs, der unter Frankreichs gekrönten Herrschern so ruhmvoll sich auszeichnet, und dessen Andenken noch in den ersten Jahren der Französischen Staatsumwälzung die eifrigsten Damagogen vergötterten. Der Vater des Ravaillac practicirte als Advocat zu Angouleme, und war vom Schicksale verurtheilt, den Sohn zu überleben. Er hatte diesen für dieselben Geschäfte, die er betrieb, bestimmt, und war auch wirklich so glücklich gewesen, seinen Zweck zu erreichen. Ravaillac konnte schon Rechtshändel fuhren, als ihn Weltüberdruß und Abneigung gegen seine bisherigen juristischen Arbeiten bestimmten, in den Orden der Feuillans zu treten, die in seiner Vaterstadt ein Kloster hatten. Hier erwarb er sich durch sein Betragen während des Noviciats die Zufriedenheit seiner Vorgesetzten; aber mit der Anlegung des Ordenskleides schien er gleichsam ein anderes Wesen geworden zu sein. Seine Visionen von der einen, und seine groben Ausschweifungen und Regellosigkeiten von der andern Seite bewirkten————
endlich seine Ausstoßung aus dem Orden, welche nicht lange nach der Aufnahme erfolgte. Er lebte nun in der Stille und unbemerkt von seinen Mitbürgern, als er auf einmahl wegen eines Mordes angeklagt wurde. Es gelang ihm, den Verdacht, in welchem er stand, von sich abzulehnen, und sich nach einem dreimonathlichen Gefängnisse wieder in Freiheit zu sehen. In dieser fing er die juristische Praxis wieder zu treiben an. Er begann die neue Laufbahn mit einem ihn selbst angehenden Rechtshandel über eine Verlassenschafts Sache, verlor aber Prozeß und Erbschaft, und war zuletzt genöthigt, sich den nothdürftigen Unterhalt durch Unterricht einiger Bürgerkinder seiner Vaterstadt zu erwerben. Der Kummer, den er jetzt über den ungünstigen Ausgang seines Rechtshandels und über die drückende Lage, in welcher er nun lebte, empfand, verwirrte seine Phantasie, auf welche schon die klösterliche Strenge und der dreimonathliche Aufenthalt in einem nachtvollen Kerker nachtheilig gewirkt hatte, noch mehr. Seine ohnehin sehr mürrische Laune verwandelte sich in melancholischen Trubsinn, und dieser fand in den Streitigkeiten der noch gegen einander kämpfenden Religionsparteien seines Vaterlandes eine ihm entsprechende Nahrung. Denn noch wüthete in Frankreich der Haß der Katholiken gegen die Hugenotten, dieser Haß, der schon so Vieler Hände mit Blut befleckt hatte. Ravaillac kannte den
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Feuereifer der Ligue gegen alles, was einem Hugenotten das Leben zu gönnen schien. Er hatte die heftigsten Flugschriften gelesen, hatte Predigten gehört, in welchen es als ein Verdienst angepriesen wurde, die Feinde der Kirche zu vertilgen. Und als einen Gegner der Religion hatte Ravaillac schon längst den König betrachtet, der, ungeachtet seines Uebertritts zur Römischen Kirche, doch immer eine gewisse Vorliebe gegen seine ehemahligen Glaubensgenossen zeigte, und der vielleicht auch durch die geheimnißvollen Zurüstungen, die ihn zuletzt beschäftigten, und deren eigentlicher Zweck unbekannt geblieben ist, die Vermuthung veranlaßte, als habe er ein Unternehmen gegen den Papst zur Absicht. Ravaillac war nicht vermögend, seinen Haß gegen den Monarchen zu unterdrücken: laut gab er denselben bei jeder Gelegenheit, die sich ihm darbot, zu erkennen; und nie sprach er den Namen Heinrich ohne Verwünschungen aus. Er wurde bald den angesehenern Feinden des Königs, denen auch die kleinste Bewegung nicht entging, bekannt; und bald machten diese durch ihre treuen Anhänger in seinem Innern den schrecklichen Vorsatz rege. An der Kette scheinbar zufälliger Umstände soll Ravaillac sogar nach Neapel geleitet und dort in einem Zirkel ähnlich Gesinnter durch einen Eid zum Königsmorde verpflichtet worden sein. Zwei Mahl schon war er in Paris gewesen, um das Blut des Kö-
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nigs zu verspritzen, aber nie hatte er seinen Endzweck erreicht. Endlich kam er zum dritten Mahle, fest entschlossen, die schwarze That zu vollziehen.
  Und sie vollzog er den 14. Mai 1610. Heinrich würde vielleicht diesen Tag gar nicht in Paris verlebt, würde sich vielleicht an ihm fern von der Hauptstadt an der Spitze seiner Truppen befunden haben, wenn ihn nicht der festliche Einzug seiner Gemahlin, der den 16. Mai zu Paris vor sich gehen sollte, und der, wie die am 13. eben dieses Monaths erfolgte Krönung derselben, seinem Willen ganz entgegen war, zurückgehalten hätte. Eine sonderbare Aengstlichkeit, wahrscheinlich eine Folge mannigfaltiger Entwurfe und Pläne, trieb den König in den letzten Tagen seines Lebens umher. Er entschloß sich am 14. des Nachmittags zum Duc de Sully zu fahren, der plotzlich unpäßlich geworden war, und dem die Aerzte Bäder und ein ruhiges Verhalten verordnet hatten. Ravaillac hatte den ganzen Tag am Eingange des Louvre gesessen, und würde vielleicht zwischen den beiden Schloßthoren sein schreckliches Wagstück unternommen haben, wenn er nicht durch den Duc de Vendome, der unaufhörlich mit dem Könige sprach, indem sich dieser dem Wagen näherte, verhindert worden wäre. Der König stieg mit dem Duc de Vendome und noch fünf andern Herren ein, die königlichen Bedienten schwangen sich hinten auf, und Ravaillac folgte der nur von
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einigen reitenden Gardisten bedeckten Carosse in einer kleinen Entfernung nach. Diese lenkte nun in die sehr enge Straße de la Feronnerie, in der der geringe Platz noch durch eine Reihe Buden, welche an die Mauer des Kirchhofs der Innocens angebaut waren, vermindert wurde. Zwei mit Wein und Heu sehr schwer beladene Karren kamen eben diese Straße herauf, und der König mußte an der Ecke halten, um sie vorbei zu lassen. Einige von den königlichen Bedienten liefen nun über den Kirchhof, um an dem andern Ende der Straße sich ungedrängt anschließen zu können; nur zwei blieben zurück, von welchen der eine sich sein Knieband befestigte, während daß der andere mit den Gardisten Platz machen half. Ravaillac bemerkte, daß dem Monarchen keiner von den Dienern zur Seite war. Er drängte sich daher, den Mantel über die linke Schulter geworfen, um sein zweischneidiges Messer zu verbergen, sogleich an den Wagen heran, trat mit dem einen Fuße auf eine Speiche im Rade, mit dem andern auf einen Straßenpfahl, und versetzte dem Könige einen Stich, der zwischen der dritten und vierten Ribbe der linken Seite der Brust eindrang. Der König hatte sich eben nach dem Duc de Vendome gewendet, als er den Schmerz fühlte. »Ich bin verwundet,« rief er, und hob den Arm in die Höhe. Diese Wendung benutzte der kaltblütige Bösewicht, und schnell brachte er dem Monarchen den zweiten Stich
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bei, der das Herz traf, und die Hohlader, oder, wie Andere sagen, die Lungenarterie durchschnitt. Stromweise floß das Blut aus dem Munde und der Brust des Königs, der in wenigen Augenblicken mit einem tiefen Seufzer todt in den Wagen zurücksank. Der Mörder hatte die That mit einer solchen Geschwindigkeit vollführt, daß er, wenn er sogleich das Messer von sich geworfen und sich geflüchtet hätte, gar nicht bemerkt worden wäre; aber er schien jetzt gleichsam den Beifall der erstaunten Menge zu erwarten, und triumphirend hielt er das noch vom Blute triefende Eisen in der verruchten Hand.
  Dieser Anblick fachte die Flamme der Wuth in den Begleitern des Königs fürchterlich an; und der Bösewicht würde auf der Stelle niedergebohrt worden sein, wenn nicht der Duc dʼEpernon die auf ihn Eindringenden zurückgehalten und ihnen das Zwecklose einer solchen Rache gezeigt hätte. Man riß dem Mörder das blutige Messer aus der Hand, und führte ihn, um ihn vor den Mißhandlungen des Volks zu sichern, in das Haus eines gewissen Montigny, aus dem er nach zwei Tagen in den Pallast des Cardinals Retz gebracht wurde, wo er eine sehr glimpfliche Behandlung erfuhr, und und wo ihn ein Jeder sehen und sprechen konnte. Nach Nach den Behauptungen einiger Schriftsteller kam Ravaillac unmittelbar nach der That in das Hotel des Cardinals, und aus diesem in ein Ge-
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fängniß der Conciergerie. Sein Prozeß begann sogleich; aber über den eigentlichen Hergang desselben muß sich die Geschichte mit bloßen Sagen befriedigen, da man im Archive des Parlaments die Acten desselben nie hat finden können, ein Umstand, der auf Ravaillacs Richter kein vortheilhaftes Licht wirft. In allen Verhören, und selbst während der Tortur, zeigte Ravaillac, nach den einstimmigen Berichten seiner Zeitgenossen, die größte Gleichmüthigkeit, und blieb fortwährend bei der Behauptung, den König bloß aus eigenem Antriebe ermordet zu haben. Er wurde zu einem martervollen Tode verurtheilt; und diesen mußte er den 27. Mai desselben Jahres erdulden. Dreihundert königliche Gardisten schützten ihn auf dem Wege zum Blutgerüste gegen die Wuth des Pöbels; und zwei Doctoren der Sorbonne suchten ihn noch, aber vergebens, zur Entdeckung der eigentlichen Anstifter seiner That zu bewegen. Erst wurde ihm die rechte Hand bei einem gelinden Feuer langsam verbrannt; dann wurde er mit glühenden Zangen verwundet und, nach Anfüllung jeder Wunde mit siedendem Oehle und Pech, durch Pferde zerrissen. Er erlitt die Qualen der Hinrichtung, ohne den unsäglichen Schmerz, den er empfinden mußte, durch besonderes Wehklagen zu verrathen; und nur die unaufhörlichen Verwünschungen des Volkes sollen ihm die Versicherung abgenöthiget haben, daß er nie der Mör-
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der des Königs geworden sein würde, wenn er diese Liebe gegen Heinrichen gekannt hätte. Ueber eine Stunde zogen die Pferde, welche ihn in Stücken reißen sollten, seinen Körper umher; eins ermattete von den Anstrengungen, und ein Gardeofficier ersetzte die Stelle desselben durch das seinige. Endlich wurde selbst der Henker von dem fürchterlichen Anblicke erschüttert, und schnitt, um die Hinrichtung zu beendigen, die Sehnen und Bänder an den Gliedern entzwei. Das Volk ließ es nicht geschehen, daß die Stücke des Hingerichteten an den Straßen aufgehangen, oder, wie Andere behaupten, von dem Henker verbrannt wurden; mit Ungestüm fiel es über dieselben her, und bald loderten in mehrern Straßen Scheiterhaufen für sie auf. Die Aeltern und Geschwister des Hingerichteten mußten Frankreich mit Verlust des Ihrigen verlassen; an die Stelle ihres Hauses kam eine Schandsäule; und wer den Namen Ravaillac führte, mußte ihn ablegen. Diese tragische Begebenheit wird übrigens von mehrern glaubwürdigen Schriftstellern auf eine verschiedne Art erzählt; und der Mangel der Prozeßacten, welche wahrscheinlich vernichtet worden sind, hat wohl auch die Entdeckung der wirklichen Wahrheit auf immer unmöglich gemacht. Die neuesten unparteiischen Untersuchungen, denen fast kein Umstand entgangen ist, der einigen Aufschluß über Ravaillacs That gewähren konnte, eignen diese den Je-
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suiten und dem Spanischen Hofe zu, und zeigen uns in Heinrichs Mörder einen Tollkühnen, der, benebelt durch die giftigen Spitzfindigkeiten mehrerer Bösewichter, in seinem Verbrechen den schönsten Beweis eines muthigen Eifers für Gottes Ehre erblickte.
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Ansicht: Ravaillac, François