Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Raphael Sanzio
Raphael Sanzio, einer der größten Artisten Italiens, wurde 1483 zu Urbino geboren. Er war der Sohn eines weniger berühmten Mahlers, welcher sich Giovanni Sanzio oder, wie Orestrio will, Santi nannte. Den ersten Unterricht in der Kunst verdankte Raphael seinem Vater, der ihn in der Folge dem Pietro Vanucci oder Perugino, einem genauen Nachahmer der Natur, anvertraute. Bei diesem Meister erlangte Raphael, was seine fernern Fotschritte sicherte, und was ihn allmählig dem Grade der Vollendung näherte, den er in der Folge erreichte. Er nahm zwar die trockne Manier des Perngino, aber mit ihr auch das Genaue in der Nachahmung an, das diesem Mahler eigen war, und erwarb sich also diejenige Kunstfertigkeit, die nach dem Ausspruche des Mengs dem glücklichen Genie den Weg zur Größe bahnt. Raphael, der seinen Lehret sehr bald erreicht hatte, ging endlich nach Florenz, wo er zuerst die Werke des Masaccio in der Kirche der Carmeliter studirte. Der Tod seines Vaters rief ihn nach Urbin; aber bald kam er, um die berühmten Cartone (s. in d. Nachträg. d. Art. Cartone) des Angelo Buonarotti und des Leonardo da Vinci kennen zu lernen, wieder zurück. Hier veredelte nun das Studium dieser Mahler, so wie der Unterricht des Fra Bartolomeo seinen Styl und seinen Geschmack; und die Fortschritte, die er in der Kunst machte, waren————
schon in der Grablegung Christi, einem Gemählde, das er bald nach seinem zweiten Weggange von Florenz unternahm, sehr sichtbar. Auf Veranlassung seines Oheims, Bramante Lazzari, begab er sich nach Rom; und hier ward er das, wozu ihn sein großes Kunstgenie bestimmte. Während einer Abwesenheit des Buonarotti gab ihm Bramante, welcher päpstlicher Architect war, die Schlüssel zu der Sixtinschen Capelle um ihn da die von dem Florentinischen Künstler angefangenen Gemählde betrachten zu lassen. Diese Werke bestimmten den jungen Mahler, dem so sehr erhobenen Buonarotti nachzuahmen, dem er auch ganz in dem Propheten der Augustinerkirche und in den Sybillen des Friedens gefolgt sein soll. Daß Raphael wirklich einmahl diesem großen Artisten nachgestrebt habe, beweisen mehrere seiner Werke; in seiner Fenersbrunst der Burg und einigen andern Mahlereien der Torre Borgia hat er sich wirklich dem kühnen Florentiner zu nähern gesucht. Aber sein Genie ließ ihn nicht lange Nachahmer sein: bald zerbrach er die sclavischen Fesseln, die er sich angelegt hatte, und folgte den glücklichen Trieben seines Naturells; und je mehr ihn diese leiteten, desto größer und bewunderungswürdiger erschien er in seiner Kunst.
In dem Jahrhunderte, in welchem die großen Meister der Florentinischen Schule auftraten, bestanden
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die Werke der Mahler größten Theils nur in wahren und treuen Darstellungen der Natur. Auch Raphael war anfänglich nur bemüht, mit Genauigkeit das, was seinen Gesichtssinn rührte, zu copiren. Ihm war es in den frühern Perioden seiner Bildung noch nicht bekannt, daß der Künstler bei seinen Nachahmungen eine gewisse Wahl treffen müsse: dieses ließen ihn erst die Werke des Buonarotti und des da Binci ahnen; dieses lehrten ihn zuletzt die Antiken, die er in Rom fand. Hier erkannte er, daß die Alten nicht die kleinsten Partien ihrer Urbilder verfolgt, daß sie nur das Wesentlichste und Schönste aufgefaßt, daß sie endlich durch richtige Proportionen ihren Werken einen Theil der hohen Schönheit gegeben hatten; und nun lernte er, wie man die Natur, die er nie aus dem Auge verlor, studiren und behandeln müsse. Seinem nach Vollkommenheit strebenden Geiste genügten nun nicht einmahl die in Rom befindlichen Ueberreste der Griechischen Kunst; er besoldete Mehrere, welche für ihn in Italien und Griechenland alles sammeln und zeichnen mußten, was sie hier von Werken der Alten in Tempeln und Ruinen finden konnten. Nie lernte er indessen jene wahre Schönheit kennen, die der Griechische Künstler so wohl kannte; und daher blieb er auch in Hinsicht des Styls immer unter diesem. Seine Contours sind schön; aber sie besitzen nicht das Vollendete, das die Alten ihren Umrissen gaben. Er
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zeichnete sich in seinen Weisen und Aposteln aus; aber er war nicht so glücklich in seinen weiblichen Figuren. Nicht selten wurde er in diesen dadurch gemein, daß er den Contours zu viel Krümmung und Convexität ertheilte. Seinen Kindern, welche nicht mit denen des Tirian verglichen werden können, gab er einen zu ernsthaften Charakter; und nie drückte er an ihnen ganz jenes Mürbe und Völlige aus, das dem kindlichen Körper eigen ist. Die Hände bildete er nicht schön; und in die Gelenke brachte er nicht das Sanfte, das wir an dem Laokoon, dem Borghesischen Fechter, dem Belvederischen Apoll bewundern. Auch in seinen göttlichen Figuren kam er den Alten nicht gleich: er kannte die idealische Schönheit nicht; und oft hob er sich da, wo er höhere Wesen versinnlichen wollte, nicht einmahl zur Schönheit der wirklichen Natur empor. Bei ihm ist der Versöhner ein gewöhnlicher Sterblicher; er besitzt nicht das Göttliche, das aus seinen Zügen hervorstrahlen sollte. Sein ewiger Vater ist ein Alternder, der in uns die Vorstellung einer hinfälligen Natur erzeugt, und in dem wir nicht das Majestätvolle erblicken, das die Alten ihrem Jupiter gaben. Seine Madonnentöpfe verdienen nur in Hinsicht des Ausdrucks die Bewunderung der Künstler, denn in Ansehung des idealisch Schönen lassen sie viel zu wünschen übrig.
Steht aber Raphael in der Zeichnung und der
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Schönheit den Artisten des Alterthums nach, so ist er dagegen im Ausdrucke und in der Composition unnachahmlich groß. Er empfand, wie wichtig die Darstellung der Leidenschaften und der verschiedenen Rührungen der Seele dem Mahler sei, der handelnde Wesen schaffen will. Er fühlte die Macht seiner Kunst, und hatte, wie Levesque sagt, eine viel zu hohe Idee von ihr, als daß er sie für sprachlos hätte halten sollen; und daher ließ er auch alle seine Mahlereien, wie der genannte Künstler hinzufügt, zu der Seele des Betrachtenden reden. Immer war der Ausdruck das Erste, was ihn beschäftigte, wenn er Schöpfer eines neuen Werks werden wollte. Er untersuchte, welche Affecte nach Maßgabe des Sujets sichtbar werden müßten, berechnete die Grade dieser Seelenrührungen, und bestimmte die Figuren, denen sie zukommen sollten; er überlegte, ob die Handlung, welche er darstellen wollte, vorübergehe oder fortdaure, ob sie eine gewisse Begebenheit voraussetze, oder ob sie eine nachfolgende veranlasse; er dachte über dir Stellung der Hauptfigur und über die der minder wichtigen Personen nach, und suchte sich dann zu enthüllen, was in der Seele desjenigen, der bei einer seinem Sujet völlig ähnlichen Begebenheit gegenwärtig wäre, vorgehen mußte: und so fand er den Ausdruck für jede Person seines Gemähldes. Endlich erwog er die Wirkungen, welche die in eine Figur ge-
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legte Leidenschaft auf diese haben, welche ihrer Theile sie in Bewegung setzen könnte; und diese Theile ließ er dann handeln, um jene Leidenschaft wirklich auszudrücken. – So verfuhr Raphael bei seinen Compositionen, in welchen man stets den denkenden und philosophischen Künstler erblickt. »Seinen Geist,« sagt Mengs, dem wir in diesem Artikel hauptsächlich folgen, »seinen Geist findet man in jedem Werke, in jeder Gruppe, jeder Figur, jedem Gliede, ja selbst in der Behandlung des Haars und der Gewänder.«
Das Helldunkel des Corregio darf man in den Werken des Raphael nicht suchen. Er hielt sich hier, ehe er die Florentinischen Mahler kennen lernte, ganz an die Natur. Die Werke dieser Meister leiteten ihn weiter; sie lehrten ihn, daß es auch in der Vertheilung der Lichter und Schatten eine gewisse Granduosität gebe: und nun ahmte er nicht mehr so sclavisch die Wirkungen nach, die ihn in Hinsicht des Helldunkels das Wirkliche sehen ließ. Nie hat er aber in diesem Theile der Mahlerei eine besondere Stärke erlangt. In dem Colorit steht er dem Titian und selbst auch dem Corregio nach. Er machte zwar in Florenz auch in der Farbe einige Fortschritte; aber er brachte in seine Tusche doch nicht das Lebendige und Geistige, das in der des Venetianischen und Lombardischen Mahlers herrscht.
Raphael zeichnete sich übrigens durch sein edles
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Herz eben so sehr, als durch sein Kunstgenie aus. Neidlos betrachtete er das Große und Schöne, das er in den Werken anderer Artisten antraf; und mehrere Mahle gab er die Hochachtung zu erkennen, die er für die großen Talente des Angelo Buonarotti empfand. Sein biederer Charakter und sein einnehmendes Wesen machte ihn auch allgemein beliebt: und der Cardinal Bibiana stand nicht an, ihm seine Nichte zur Gemahlin anzutragen; eine Verbindung, von der Raphael durch die Versprechungen zurückgehalten wurde, die der Papst Leo der zehnte, in Ansehung der Cardinalswürde ihm gemacht hatte. Er starb in seinem sieben und dreißigsten Lebensjahre als ein Opfer seiner heftigen Liebe gegen das zweite Geschlecht. Von seinen sehr zahlreichen Werken haben wir einige schon erwähnt; hier wollen wir noch die Zusammenkunft der Kirchenväter oder, wie man dieses Stück auch nennt, das Gemählde der Theologie, ferner die Schule zu Athen, die Geschichte des Heliodorus, die helilige Familie, die er dem Könige von Frankreich, Franz dem ersten, sandte, und die Verklärung Christi auf Tabor anführen. Er hatte sehr viele Schüler; aber keiner hat sich ihm genähert. Nach dem Urtheile des Menas nahm Polidoro da Caravaggio noch das Meiste von dem Geiste seines unsterblichen Lehrers an.
schon in der Grablegung Christi, einem Gemählde, das er bald nach seinem zweiten Weggange von Florenz unternahm, sehr sichtbar. Auf Veranlassung seines Oheims, Bramante Lazzari, begab er sich nach Rom; und hier ward er das, wozu ihn sein großes Kunstgenie bestimmte. Während einer Abwesenheit des Buonarotti gab ihm Bramante, welcher päpstlicher Architect war, die Schlüssel zu der Sixtinschen Capelle um ihn da die von dem Florentinischen Künstler angefangenen Gemählde betrachten zu lassen. Diese Werke bestimmten den jungen Mahler, dem so sehr erhobenen Buonarotti nachzuahmen, dem er auch ganz in dem Propheten der Augustinerkirche und in den Sybillen des Friedens gefolgt sein soll. Daß Raphael wirklich einmahl diesem großen Artisten nachgestrebt habe, beweisen mehrere seiner Werke; in seiner Fenersbrunst der Burg und einigen andern Mahlereien der Torre Borgia hat er sich wirklich dem kühnen Florentiner zu nähern gesucht. Aber sein Genie ließ ihn nicht lange Nachahmer sein: bald zerbrach er die sclavischen Fesseln, die er sich angelegt hatte, und folgte den glücklichen Trieben seines Naturells; und je mehr ihn diese leiteten, desto größer und bewunderungswürdiger erschien er in seiner Kunst.
In dem Jahrhunderte, in welchem die großen Meister der Florentinischen Schule auftraten, bestanden
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die Werke der Mahler größten Theils nur in wahren und treuen Darstellungen der Natur. Auch Raphael war anfänglich nur bemüht, mit Genauigkeit das, was seinen Gesichtssinn rührte, zu copiren. Ihm war es in den frühern Perioden seiner Bildung noch nicht bekannt, daß der Künstler bei seinen Nachahmungen eine gewisse Wahl treffen müsse: dieses ließen ihn erst die Werke des Buonarotti und des da Binci ahnen; dieses lehrten ihn zuletzt die Antiken, die er in Rom fand. Hier erkannte er, daß die Alten nicht die kleinsten Partien ihrer Urbilder verfolgt, daß sie nur das Wesentlichste und Schönste aufgefaßt, daß sie endlich durch richtige Proportionen ihren Werken einen Theil der hohen Schönheit gegeben hatten; und nun lernte er, wie man die Natur, die er nie aus dem Auge verlor, studiren und behandeln müsse. Seinem nach Vollkommenheit strebenden Geiste genügten nun nicht einmahl die in Rom befindlichen Ueberreste der Griechischen Kunst; er besoldete Mehrere, welche für ihn in Italien und Griechenland alles sammeln und zeichnen mußten, was sie hier von Werken der Alten in Tempeln und Ruinen finden konnten. Nie lernte er indessen jene wahre Schönheit kennen, die der Griechische Künstler so wohl kannte; und daher blieb er auch in Hinsicht des Styls immer unter diesem. Seine Contours sind schön; aber sie besitzen nicht das Vollendete, das die Alten ihren Umrissen gaben. Er
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zeichnete sich in seinen Weisen und Aposteln aus; aber er war nicht so glücklich in seinen weiblichen Figuren. Nicht selten wurde er in diesen dadurch gemein, daß er den Contours zu viel Krümmung und Convexität ertheilte. Seinen Kindern, welche nicht mit denen des Tirian verglichen werden können, gab er einen zu ernsthaften Charakter; und nie drückte er an ihnen ganz jenes Mürbe und Völlige aus, das dem kindlichen Körper eigen ist. Die Hände bildete er nicht schön; und in die Gelenke brachte er nicht das Sanfte, das wir an dem Laokoon, dem Borghesischen Fechter, dem Belvederischen Apoll bewundern. Auch in seinen göttlichen Figuren kam er den Alten nicht gleich: er kannte die idealische Schönheit nicht; und oft hob er sich da, wo er höhere Wesen versinnlichen wollte, nicht einmahl zur Schönheit der wirklichen Natur empor. Bei ihm ist der Versöhner ein gewöhnlicher Sterblicher; er besitzt nicht das Göttliche, das aus seinen Zügen hervorstrahlen sollte. Sein ewiger Vater ist ein Alternder, der in uns die Vorstellung einer hinfälligen Natur erzeugt, und in dem wir nicht das Majestätvolle erblicken, das die Alten ihrem Jupiter gaben. Seine Madonnentöpfe verdienen nur in Hinsicht des Ausdrucks die Bewunderung der Künstler, denn in Ansehung des idealisch Schönen lassen sie viel zu wünschen übrig.
Steht aber Raphael in der Zeichnung und der
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Schönheit den Artisten des Alterthums nach, so ist er dagegen im Ausdrucke und in der Composition unnachahmlich groß. Er empfand, wie wichtig die Darstellung der Leidenschaften und der verschiedenen Rührungen der Seele dem Mahler sei, der handelnde Wesen schaffen will. Er fühlte die Macht seiner Kunst, und hatte, wie Levesque sagt, eine viel zu hohe Idee von ihr, als daß er sie für sprachlos hätte halten sollen; und daher ließ er auch alle seine Mahlereien, wie der genannte Künstler hinzufügt, zu der Seele des Betrachtenden reden. Immer war der Ausdruck das Erste, was ihn beschäftigte, wenn er Schöpfer eines neuen Werks werden wollte. Er untersuchte, welche Affecte nach Maßgabe des Sujets sichtbar werden müßten, berechnete die Grade dieser Seelenrührungen, und bestimmte die Figuren, denen sie zukommen sollten; er überlegte, ob die Handlung, welche er darstellen wollte, vorübergehe oder fortdaure, ob sie eine gewisse Begebenheit voraussetze, oder ob sie eine nachfolgende veranlasse; er dachte über dir Stellung der Hauptfigur und über die der minder wichtigen Personen nach, und suchte sich dann zu enthüllen, was in der Seele desjenigen, der bei einer seinem Sujet völlig ähnlichen Begebenheit gegenwärtig wäre, vorgehen mußte: und so fand er den Ausdruck für jede Person seines Gemähldes. Endlich erwog er die Wirkungen, welche die in eine Figur ge-
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legte Leidenschaft auf diese haben, welche ihrer Theile sie in Bewegung setzen könnte; und diese Theile ließ er dann handeln, um jene Leidenschaft wirklich auszudrücken. – So verfuhr Raphael bei seinen Compositionen, in welchen man stets den denkenden und philosophischen Künstler erblickt. »Seinen Geist,« sagt Mengs, dem wir in diesem Artikel hauptsächlich folgen, »seinen Geist findet man in jedem Werke, in jeder Gruppe, jeder Figur, jedem Gliede, ja selbst in der Behandlung des Haars und der Gewänder.«
Das Helldunkel des Corregio darf man in den Werken des Raphael nicht suchen. Er hielt sich hier, ehe er die Florentinischen Mahler kennen lernte, ganz an die Natur. Die Werke dieser Meister leiteten ihn weiter; sie lehrten ihn, daß es auch in der Vertheilung der Lichter und Schatten eine gewisse Granduosität gebe: und nun ahmte er nicht mehr so sclavisch die Wirkungen nach, die ihn in Hinsicht des Helldunkels das Wirkliche sehen ließ. Nie hat er aber in diesem Theile der Mahlerei eine besondere Stärke erlangt. In dem Colorit steht er dem Titian und selbst auch dem Corregio nach. Er machte zwar in Florenz auch in der Farbe einige Fortschritte; aber er brachte in seine Tusche doch nicht das Lebendige und Geistige, das in der des Venetianischen und Lombardischen Mahlers herrscht.
Raphael zeichnete sich übrigens durch sein edles
————
Herz eben so sehr, als durch sein Kunstgenie aus. Neidlos betrachtete er das Große und Schöne, das er in den Werken anderer Artisten antraf; und mehrere Mahle gab er die Hochachtung zu erkennen, die er für die großen Talente des Angelo Buonarotti empfand. Sein biederer Charakter und sein einnehmendes Wesen machte ihn auch allgemein beliebt: und der Cardinal Bibiana stand nicht an, ihm seine Nichte zur Gemahlin anzutragen; eine Verbindung, von der Raphael durch die Versprechungen zurückgehalten wurde, die der Papst Leo der zehnte, in Ansehung der Cardinalswürde ihm gemacht hatte. Er starb in seinem sieben und dreißigsten Lebensjahre als ein Opfer seiner heftigen Liebe gegen das zweite Geschlecht. Von seinen sehr zahlreichen Werken haben wir einige schon erwähnt; hier wollen wir noch die Zusammenkunft der Kirchenväter oder, wie man dieses Stück auch nennt, das Gemählde der Theologie, ferner die Schule zu Athen, die Geschichte des Heliodorus, die helilige Familie, die er dem Könige von Frankreich, Franz dem ersten, sandte, und die Verklärung Christi auf Tabor anführen. Er hatte sehr viele Schüler; aber keiner hat sich ihm genähert. Nach dem Urtheile des Menas nahm Polidoro da Caravaggio noch das Meiste von dem Geiste seines unsterblichen Lehrers an.