Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Ramler, Carl Wilhelm
Carl Wilhelm Ramler, einer der größten unserer vaterländischen Dichter, wurde den 25. Febr. 1725 zu Colberg in Pommern geboren. Den gewöhnlichen Unterricht in den Schulwissenschaften erhielt er zuerst zu Stettin, dann im Waisenhause zu Halle, wo er auch die Universitätsstudien beendigte. Den Stand eines privatisirenden Gelehrten verließer erst 1768; hier trat er die Professur der schönen Wissenschaften bei dem Berliner Cadettencorps an. Im Jahre 1786 wurde seine Pension von 300 Thlr. auf 800 erhöht, und Ramler zugleich zum Mitgliede der Akademie der Wissenschaften in Berlin und zum Mitdirector am dasigen königlichen Nationaltheater ernannt. Er legte aber 1790 jene Lehrstelle, die seinen Geist in zu sclavische Fesseln einzwängte und einige Jahre darauf auch die Mitdirection nieder, und starb als Privatmann 1798 den 11. April. Die nähern Umstände seines Lebens können uns eben so wenig, als die Geschichte der Bildung seines Geistes bekannt sein, da er, zu Folge eines gewissen Grundsatzes, sich über beides nicht zu äußern pflegte. Er behauptete, daß das Leben eines Gelehrten mehr in seinen Schriften, als in den ihn betreffenden Schicksalen bestehe, die er im Ganzen genommen mit andern Menschen gemein habe. Seine literarischen Producte sind sehr zahlreich. Sie bestehen 1) in prosaischen Schriften, 2) in Ueber-————
setzungen, Umarbeitungen, Ausgaben alter und neuerer Römischer und Deutscher Dichter, 3) in eigenen Poesien. Von seinen prosaischen Arbeiten hat man die Einleitung in die schönen Wissenschaften nach dem Französischen des Batteux mit Zusätzen, welche 1774 in vier Bänden wieder aufgelegt wurde, die nach seinem Tode erschienene kurze Einleitung in die schönen Wissenschaften (1798), die allegorischen Personen für bildende Künstler mit Rodeʼs Kupfern (1788), die Mythologie in zwei Theilen (1790), nebst einem dritten Theile über die allegroischen Personen und einem Register (1791), endlich mehrere Abhandlungen und Reden, z. B. die Gedächtnißrede auf den Berliner Künstler Bernhard Rode (1797), zu merken. – Zu seinen Uebersetzungen, Umarbeitungen, Ausgaben gehören die metrisch übersetzten einzelnen Oden des Horaz (1769), denen späterhin mehrere in den Jahrgängen der Berliner Monathsschrift folgten; die metrische Uebersetzung der bessern Sinngedichte des Martialis, welche in 5 Bänden von 1787 bis 1791 erschien, und welcher 1794 eine Nachlese folgte; die ebenfalls metrische Uebersetzung des Catullus im Auszuge (1793); die Fabeln und Erzählungen Lichtwehrs (1761); die Sinngedichte des Herrn von Logau (1759); die Ueberschriften Wernikens nebst den Epigrammen des Opitz, Tscherning, Griyph und Olear (1780); die versisicirten Idyllen von Salomo Geßner
————
(1787); den metrisch bearbeiteten ersten Schiffer des zuletzt Genannten (1789); die Lieder der Deutschen (1766); die lyrische Blumenlese (1774 und 1778), zwei Theile; die Gedichte Ewalds von Kleist (1778) zwei Bände; die Poesien des Moses Kuh (1792), zwei Bände; die Fabellese (1783 u. 1790) in drei Bänden, welcher 1797 niehrere Fabeln und Erzählungen verschiedener Dichter folgten. Von seinen eigenen Poesien zeigen wir bloß die Sammlungen der besonders herausgegebenen Oden, geistlichen Cantaten und lyrischen Gedichte an. Die erstern erschienen 1767, die letztern 1772; und die schon 1760 abgedruckten Cantaten, unter welchen sich auch der von Graun in Musik gesetzte Tod Jesu befindet, wurden 1770 wieder aufgegelegt. – Dieß sind die wichtigsten Schriften dieses Dichters, dem mit Recht eine Stelle unter den vorzüglichsten Lyrikern unserer Nation gebührt. Eine correcte und classische Schreibart, ein harmonischer Versbau, ein volltönender Numerus, Zierlichkeit und Würde des Vortrags, Schönheit in der Wahl und Ausführung der Ideen, der ausgebildetste und geläutertste Geschmack und die glücklichste Nachahmung jener Vorzüge, die wir bei den Alten bewundern, erheben seine Originale und Uebersetzungen zu Meisterwerken. Kraft und Kürze des Ausdrucks, hohe Begeisterung und lyrischer Schwung sind ihm in einem sehr hohen Grade eigen; und wenn er in seinem Fluge
————
nicht ganz den Sänger des Messias erreicht, so besitzt er dafür das Verdienst, faßlicher und weniger abstract in seinen Darstellungen zu sein. Seine Gesänge zum Lobe Friedrichs des Einzigen, dessen Größe ihn zum feurigsten Enthusiasmus entflammte, sind wirklich Muster der höhern Poesie. Durch seine Umänderungen und Verbesserungen älterer und neuerer Deutscher Gedichte machte er sich theils um die Literatur, theils um den guten Geschmack sehr verdient; sein Dichtertalent und seine kritische Genauigkeit gaben jenen Poesien einen unläugbar höhern Werth Indessen kann man sich doch des Wunsches nicht ganz enthalten, daß er ältere Gedichte etwas weniger modernisirt haben möchte; denn nicht selten verwischte er das alte ehrwürdige Gepräge, welches ihre Schönheiten so sehr heraushebt. Daß er Geßners Schriften in Verse brachte, war nach dem Urtheile mehrerer Gelehrten ein unndthiges Unternehmen; denn die zarten Reitze jener reimlosen und ungebundenen Dichtungen gehen durch die Fessel des Versbaues größten Theils verloren. Uebrigens sieht man zuweilen seinen Gedichten zu sehr die Feile und jene ängstliche Gezwungenheit an, die oft den Zauber des Natürlichen zerstört; und wenn ihm auch Originalität nicht abgesprochen werden kann, so wagen wir doch nicht zu entscheiden, ob er ein glücklicherer Erfinder oder Nachahmer gewesen sei. Bei der Uebersetzung einzelner Stücke aus dem
————
Catullus und Martialis ist sein Verdienst unverkennbar; aber ein höheres Dichtertalent strahlt aus der Deutschen Bearbeitung der Horazischen Oden, besonders derjenigen hervor, die er in frühern Jahren lieferte. Er giebt uns hier, so weit es eine Deutsche und zugleich metrische Darstellung zuließ, ganz die Kürze, Kraft und Schönheit des Originals wieder, und verdunkelt alle frühere Uebersetzer. Da auch seine eigenen lyrischen Gedichte nach den Horazischen gebildet sind, so haben ihm seine Zeitgenossen den ehrenvollen Beinamen des Deutschen Horaz gegeben. Daß er oft Römische und Griechische Fabellehre Poesien über neuere Süjets einwebte, war eine dichterische Freiheit, durch welche er nicht selten die Schönheiten in jenen erhöhte. Endlich verdienen auch seine prosaischen Schriften wegen des innern Gehalts, der kritischen Bearbeitung und des reinen Styls ein ausgezeichnetes Lob; und die Anmerkungen über den Horaz werden jedem ästhetischen Kunstrichter ein schätzbares Denkmahl seiner Verdienste bleiben. Die ausdrucksvolle Gesichtsbildung dieses bedeutenden Schriftstellers, der außer seinen erhabenen Talenten noch ein sehr edles Herz besaß, hat Lavater in seiner Physiognomik verewigt.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Ramler, Carl Wilhelm