Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Prätendent, Der
Der Prätendent, wörtlich, einer, der auf etwas Ansprüche macht. Dieses Wort wird vorzüglich von denen gesagt, die Ansprüche auf die Regierung ganzer Staaten ausführen, wie jetzt der sich so nennende Ludwig XVIII. Im engern Sinne wird diese Benennung dem Sohne und Enkel des abgesetzten Königs Jacobs II. von Großbritannien, aus dem Hause Stuart, beigelegt. Jacob II. hatte sich seit seiner Thronbesteigung (1685) durch Despotismus und den schon ziemlich weit ausgeführten Plan, die Römisch-katholische Religion zur herrschenden zu erheben, allgemein (außer bei den Katholiken) verhaßt gemacht. Man ertrug indessen noch alle Bedrückungen, in der Hoffnung, daß nach ihm seine an den Prinzen Wilhelm von Oranien vermählte Tochter Marie zur Regierung gelangen und alles in den vorigen Zustand wieder herstellen würde; allein die Geburt eines Prinzen von Jacobs zweiter Gemahlin (1688) stürzte alle Aussichten für die Zukunft. Man glaubte indessen nicht ohne Grund, daß der Prinz untergeschoben sei; man benutzte die zweifelhafte Geburt desselben, und rief Wilhelm von Oranien als Retter nach England. Dieser landete im Nov. 1688 glücklich, und schlug unter dem zahlreichsten Zulauf der Engländer und Schotten Jacobs Heere. Jacob floh nach Frankreich, und wurde wegen dieser Flucht sowohl als wegen————
Verletzung der Constitution 1689 des Throns für verlustig erklärt; er verlor auch das ihm getreue Irland, wo er sich, unterstützt von Ludwig XIV. welcher die Engländer bekriegte, noch bis 1690 behauptet hatte. Seine Anhänger, die man Jacobiten nannte, blieben indeß doch immer noch sehr zahlreich. Er starb endlich 1701 in Frankreich. Sein schon erwähnter Sohn Jacob III. – der eigentlich so genannte Prätendent – erbte seine angeblichen Rechte auf die Krone, und wurde von Ludwig XIV. öffentlich als König anerkannt. Frankreich unterstützte ihn im Spanischen Erbfolgekriege, mußte aber, ungeachtet zu Ende der Regierung der Königin Anna (welche 1714 starb) einige Englische Minister und die Königin selbst, seine Schwester, zu seiner Partei gehörten, dennoch, nebst Spanien, die protestantische Thronfolge anerkennen und dem Prätendenten alle fernere Hülfe versagen. Dieser floh darauf nach Rom, und wurde von dem Papst als eifriger Katholik sehr ehrenvoll und als König aufgenommen.
  Georg I. bestieg zwar 1714 ruhig den Thron: jedoch bewirkte der Prätendent nachher unaufhörlich Unruhen, landete 1715 in Schottland, wurde daselbst als König ausgerufen; und es entstand ein blutiger Krieg, der sich jedoch 1716 mit der Flucht des Prätendenten und der Niederlage seiner Anhänger endigte. Auch stiftete der Prätendent eine gefährliche Ver-
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schwörung wider Georgs Leben, die aber 1722 ebenfalls entdeckt und vereitelt wurde. Der Prätendent selbst – welcher auch der Ritter Sauet Georg genennt wurde – unternahm nun zwar nichts mehr gegen England, aber sein Sohn, Carl Eduard – geboren 1720 zu Rom –, ein unruhiger, kühner und tapfrer Mann, dem es nicht an Feldherrntugenden fehlte, führte die letzte aber zugleich auch größte und gefahrvollste Unternehmung aus, durch die England, wenn das damahls mit demselben in Krieg verwickelte Frankreich ihn besser unterstutzt hätte, leicht seinem Zepter hätte unterworfen werden können. Er landete 1745 im Juli unter dem Titel als Regent von Großbritannien an den nordwestlichen Küsten von Schottland, fand einen starken Anhang in Schottland und zum Theil auch in England; vorzüglich waren die nordlichen oder Bergschotten, ein treues und kriegerisches Volk, ganz außerordentlich für ihn eingenommen. Frankreich und Spanien schickten ihm nur wenig Geld und Waffen, sein Heer war kaum mit den nothwendigsten Bedürfnissen versehn; dessen ungeachtet eroberte er ganz Schottland, schlug den Englischen General Cope bei Prestonvans unweit Edinburg, und rückte unter steten Siegen tief in England bis etwa 20 Deutsche Meilen von London vor. England hatte wegen des ausländischen Kriegs kaum einige tausend Mann im Lande, und nur ein herbeieilendes Holländisches Hülfscorps
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rettete es. Der Herzog von Cumberland trieb den Sohn des Prätendenten, ungeachtet dieser noch bei Fallkirk eine Schlacht gewann, aus England ganz zurück ins nördliche Schottland, nöthigte ihn daselbst 1746 am 27. April bei Culloden zu einer Hauptschlacht, schlug ihn gänzlich, zerstreute sein Heer, nahm seine vornehmsten Anhänger gefangen, setzte dem flüchtigen Eduard, für dessen Kopf eine sehr große Belohnung versprochen wurde, überall nach, und endigte in kurzer Zeit den ganzen Krieg. Im größten Elend, ohne Geld und Unterstützung, von allen Seiten verfolgt, irrte der unglückliche Carl Eduard unter den treuen Bergschotten und auf den Schottischen Inseln verkleidet umher, floh dann wieder nach Nordschottland, und schiffte sich am 29. Sept. 1746 daselbst nach Frankreich ein, wo er bis 1748 am Hose blieb und standesmäßiges Auskommen erhielt. Allein da vermöge des Aachner Friedens Frankreich ihn nicht mehr unterstützen durfte, wurde ihm angedeutet, daß er das Reich meiden sollte; und da er dessen ungeachtet mit größtem Trotz Hülfe verlangte, wurde er noch 1748 arretirt und über die Gränze nach Italien gebracht. Er floh nun nach Rom zu seinem Vater, den der Papst noch als wirklichen König behandelte, nahm, da dieser 1766 daselbst starb, den Namen eines Grafen von Albany an, und verheirathete sich 1772 mit einer jungen zwanzigjäh-
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rigen Prinzessin von Stollberg Gedern, die sich aber wegen seines trotzigen und bizarren Charakters bald von ihm trennte. Er starb am 31. Januar 1788 zu Rom an der Seite seiner natürlichen Tochter, gerade 100 Jahr nach der Vertreibung der Stuarte aus England.
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