Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Orleans
Das Mädchen von Orleans, hieß eigentlich Johanna von Arc, und war eine um das Jahr 1412 geborne Bänerin aus Domremy in Champagne. Frankreich wurde damahls von Englischen Kriegsvölkern verwüstet, und war in Gefahr, seine eigne Selbstständigkeit zu verlieren. Von den festen Plätzen ging einer nach dem andern an die Engländer über; und eben glaubte man, daß auch Orleans fallen würde, als Johanna von Arc im Jahr 1429 es an der Spitze eine Armee zu entsetzen wagte. Dieses Mädchen hatte schon das Jahr vorher darauf bestanden, daß sie vermöge einer göttlichen Offenbarung dazu bestimmt sei, den Dauphin – der unter dem Namen Carl VII. nachher den Französischen Thron bestieg – aus den Händen seiner Feinde zu erretten und ihm den Besitz des Thrones wieder zu verschaffen. Lange konnten sich der Dauphin und seine Getreuen nicht entschließen, ihr Gehör zu geben; endlich aber, da ohnedieß alles verloren zu sein schien, willigte man ein, und gab ihr ein Commando. Orleans wurde entsetzt, mehrere Städte folgten; und in wenig Monathen konnte Carl sich in Reims krönen lassen, wie ihm das Mädchen voraus gesagt hatte. Man hoffte die Feinde leicht aus ihren übrigen Besitzungen zu vertreiben; es geschah auch endlich, aber Johanna von Arc büßte dabei ihr Leben ein. Bei der Belagerung von Compiegne siel sie den————
Engländern in die Hände, welche ihr als einer angeblichen Zauberin den Prozeß machten, und sie zu Rouen am 30. Mai 1431 auf dem Scheiterhaufen verbrannten. Man hat viele Muthmaßungen über diese Heldin gewagt; am wahrscheinlichsten ist immer die Meinung, daß die ganze Sache ein Streich der Politik war, welchen einige Hofleute ersonnen hatten, um den Dauphin und das Kriegsheer aus der Unthätigkeit zu wecken. Die Gegenwart eines edeln und tapfern Mädchens, die die Gefahren des Todes verachtete, mußte unter muthlosen Kriegern ganz ungewöhnliche Wirkungen hervorbringen und sie zu neuen Heldenthaten beleben. Aber schändlich war es, daß man nichts für ihre Rettung that, als sie den Engländern in die Hände gefallen war. Diese unbegreifliche Gleichgültigkeit floß unstreitig aus einer geheimen Eifersucht der Großen, die sie um ihren Ruhm beneideten. Sie starb mit Standhaftigkeit: ihr Andenken wurde auf verschiedene Art geehrt; und Voltaire entlehnte in neuern Zeiten aus ihrem Leben und ihren Thaten den Stoff zu einem komischen Heldengedicht, welches unter dem Namen das Mädchen von Orleans bekannt ist.
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* Das Mädchen von Orleans, die als Heldin im Decbr. 1429 mit ihrer ganzen Familie, unter dem Namen Dalis, dann Dülis – dü Lys geadelt wurde, ist wol, nach den Behauptungen der neueren Geschichtschreiber, namentlich des verdienstvollen Hofr. Becks (in s. allg. Welt- und Völkergesch. Th. 4. S. 446.), nicht durch die Engländer, sondern durch ihre eignen Landsleute auf den Scheiterhaufen geführt worden. Dem zu Folge leitete der Bischof von Beauvais, Pierre Cauchon, den Proceß ein, die Universität verlangte ihre Hinrichtung und da sie der Kirche als Zauberin und Ketzerin überlassen wurde, konnte Carl VII. nichts für sie thun. Ihre Offenbarungen wurden für Teufelswerk erklärt und ungeachtet sie, nach gesprochenem Todesurtheil, sich der Kirche unterwarf, wurde sie doch als Rückfällige verbrannt und ihre Asche in die Seine geworfen. 1450 fing man an, den Proceß zu revidiren! 1455 traten Johannens Angehörige klagend auf; es wurde eine Commission niedergesetzt setzt und der zweite Proceß eröffnet, dessen Endurtheil d. 7. Jul. 1456. dahin ausfiel, daß die Jungfrau – unschuldig sei.
  Das dramatische Gedicht des verewigten Schiller bedarf wohl keiner weitern Erwähnung?
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Der Herzog Regent von Orleans war während der Minderjährigkeit Ludwig XV. Reichsverweser, und ein eben so schlechter Mensch als sein Urenkel, der in unsern Tagen so berüchtigt worden ist. Er begünstigte vorzüglich die Projecte des Schottischen Finanzier Law, und ruinirte durch den verderblichen Actienhandel den größten Theil seiner begüterten Unterthanen. Sein Vertrauter und erster Minister war der schändliche Cardinal Dühois, der eine große Unwissenheit in Staatssachen verrieth, und überdieß noch sich durch Bestechungen von fremden Höfen blenden ließ. Der Herzog liebte diesen Nichtswürdigen, weil er an ihm einen treuen Gefährten in sinnlichen Ausschweifungen hatte, worin er selbst kaum von dem größten Wüstling übertroffen wurde. Er suchte in dieser Art Laster einen eignen Ruhm, und war verwegen genug, sogar die blutschänderische Liebe zu seiner eigner Tochter der Welt nicht zu verhehlen. Der Ehrgeitz machte den Wunsch in ihm rege, beständiger Besitzer der Französischen Krone zu werden; und er beging beßhalb die Niederträchtigkeit, viele Glieder der königlichen Familie durch Gift aus dem Wege räumen zu lassen. Ludwig XV. entging nach glücklicher Weise dieser Gefahr; und der Tod Orleans, welcher am 2. Dec. 1723 in den Armen einer Maitresse erfolgte, sicherte ihn in der Folge vor ähnlichen Attentaten.
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Vergl. die Art. Law und Ludwig XV.
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Philipp Joseph, Herzog von Orleans, wurde 1747 geboren. Seine Mutter war so ausschweifend, daß das Geständniß, wodurch sich ihr unwürdiger Sohn einmahl für den Nachkommen ihres Kutschers ausgab, um seine Abkunft aus demokratischem Blut zu beweisen, einige Wahrscheinlichkeit bekommt. Die Jugendjahre des Herzogs verstrichen, ohne daß man sich Mühe gab, auf die Ausbildung seines Geistes einige Sorgfalt zu wenden; die Wissenschaften blieben ihm daher ganz fremd, und selbst die Lectüre von unterhaltenden Schriften fand er zu beschwerlich. Weit unwiderstehlicher zogen ihn die Freuden der Sinnlichkeit an; und er war so unmäßig in ihrem Genuß, daß er bald die übeln Wirkungen davon in vollem Maße empfand. Anstatt dem Beispiele seiner würdigen Gemahlin nachzueifern, gewöhnte er sich vielmehr an neue Laster, und ergab sich eben so muthwillig dem Trunke und dem Spiele, als er vorher unmäßig in der Liebe gewesen war. Das Spiel ward eine neue Veranlassung, zwei andre schändliche Leidenschaften seines Charakters zu enthüllen, den Geitz und die Heimtücke. Er schämte sich nicht, die niedrigsten Kunstgriffe anzuwenden, um seinen Gegnern beträchtliche Summen abzugewinnen, und spottete dann ihres Mißgeschicks mit höhnischer Schadenfreude. Er wich mit kindischer Feigherzigkeit jeder Gelegenheit aus,
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wobei sein Leben hätte in Gefahr kommen können, und hatte doch Eitelkeit genug, sich als Held bewundern zu lassen. Er begab sich in dieser Absicht im Amerikanischen Kriege einmahl mit als Anführer zur See: sobald jedoch sein Schiff von einer Englischen Salve bedroht wurde, überfiel ihn ein kalter Schauer; und er kroch in den Boden des Schiffs, um sich vor den Kugeln zu sichern. In einem Luftballon steuerte er einst den höhern Regionen entgegen, bat aber sehr bald seinen Begleiter, sich wieder niederzusenken, weil ihm die ätherische Luft das Athemhohlen erschwerte. Zu diesen Schwachheiten seines Geistes gesellte sich endlich ein unbegränzter Ehrgeitz und eine sträfliche Lüsternheit nach dem Besitz des Throns. Ehemahls hatte er sich gar nicht um die Regierungsgeschäfte bekümmert; sobald er aber die allgemeine Gährung im Reiche gewahr wurde, so wendete er alles an, um sie zu unterhalten und für sich den möglichsten Portheil daraus zu ziehen. Das Geld, das er mit vollen Händen unter den Pobel austheilen ließ, verschaffte ihm einen zahlreichen Anhang aus den verworfensten Volksclassen; und der reine Patriotismus, den er heuchelte, gewann ihm die Ergebenheit einiger klugen und einsichtsvollen Männer. Mit Hülfe der erstern ließ er die Pläne der letztern ausführen, welche diese meisten Theils entworfen hatten, um der Sache des Volks zu nützen, nicht aber um die ehrgeit-
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zigen Absichten des Herzogs zu begünstigen. Sobald Mirabeau und andere Häupter der Revolution gewahr wurden, daß Orleans nach der Krone strebte, verließen sie sein Interesse, und zwangen ihn dadurch, entweder seinen strafbaren Entwürfen zu entsagen, oder sich den niedrigsten Volksführern in die Arme zu werfen. Orleans, viel zu ehrgeitzig um das erstere zu thun, und zu ohnmächtig um allein zu handeln, wählte das letztere, und war daher im Laufe der Revolution allemahl auf der Seite der niedrigsten Bösewichter und abgefeimtesten Betrüger. Immer noch voll von den süßen Hoffnungen, womit er sich Aussichten auf den Thron geöffnet zu sehen glaubte, merkte er nicht, daß seine Genossen nur so lange für ihn arbeiten würden, als seine Börse eine ergiebige Quelle für ihre Bedürfnisse blieb. Er ließ sich nach dem Sturze des Königthums den Namen Egaliteʼ; (Gleichheit) geben, und nahm mit Vergnügen die Stelle im Convent an, die ihm das Pariser Departement antrug. Ungeachtet die Erfüllung seiner Wünsche mit jedem Tag ungewisser ward, ungeachtet sich die neue Republik immer mehr befestigte; so erwartete er doch stets vortheilhafte Aussichten für sich. Der Prozeß des Konigs erfüllt ihn mit teuflischer Frende; und er war unverschämt genug, ein Verdammungsurtheil über den unglücklichen Monarchen auszusprechen, und sich dabei auf das innere Gefühl seiner Pflicht zu berufen.
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Aber diese letzte Handlung empörte sogar diejenigen gegen ihn, die nicht viel besser als er selbst waren und ehedem zu seinen Genossen gehört hatten. Er wurde der allgemeinen Schande preis gegeben, zu Marseille eingekerkert, und endlich am 6. Nov. 1793 wegen Verschwörungen gegen die Freiheit zu Paris guillotinirt. Seinen beiden jüngern Söhnen wurde 1796 erlaubt, sich nach Amerika zu begeben, wohin der älteste Sohn, der Herzog von Chartres, schon vother abgegangen war; seine liebenswürdige Tochter lebt immer noch in der Schweiz, und seine rechtschaffne Gemahlin in Spanien, wohin sie nach den Begebenheiten am 4. Sept. 1797 in Paris mit einem Jahrgehalt von 700,000 Livxes verwiesen wurde. Wie glücklich hätte dieser Unmensch in dem Schooße seiner tugendhaften Familie leben können! und wie viel Gutes würde er bewirkt haben, wenn sein Herz seiner gefälligen Bildung und seinem einnehmenden Betragen entsprochen hätte! – Ueber die fortdauernde Existenz einer Orleansschen Faction in Paris ist bis auf den heutigen Tag viel gestritten worden. Ein gewisser Montjoye hat (1796) ein großes Werk in drei Bänden darüber herausgegeben, und dabei wahrscheinlich zur Absicht gehabt, einige jetzige Machthaber unter dem Vorwande verächtlich zu machen, daß sie ehemahls Orleans gedient hätten. Das Dasein einer Orleansschen Faction bedürfte wohl eben so starker Beweise
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zur Bestätigung, als die Meinung, daß Orleans in dem Jahre 1791 sich aufrichtig mit der königlichen Familie habe versöhnen wollen, und daß er erst dann ihr tödtlicher Feind geworden sei, nachdem diese Versöhnung durch die Cabale der Hofleute vereitelt worden, und er aus dem Schlosse des Königs, wohin er in der besten Absicht gegangen war, mit Schimpf und Spott bedeckt sich zurückziehen müssen.
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