Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Oestreich
Das Haus Oestreich besitzt gegenwärtig:  A) in Deutschland: I. im Oestreichischen Kreise (s. den folgenden Art.), 1) Niederöstreich, welches in das Land ob und unter der Ens eingetheilt wird; 2) Juneröstreich, bestehend aus den Herzogthümern Steyermark, Kärnthen und Krain, den Grafschaften Görz und Gradiska oder dem Ostreichischen Friaul, und dem Litorale oder dem Triester Gebiet; 3) Oberöstreich oder die Grafschaft Tyrol; 4) Vorderöstreich oder die Länder des Oestreichischen Hauses in Schwaben, welche in Kreissachen zu dem Oestreichischen Kreise gehören, und gegenwärtig bloß aus Schwäbisch Oestreich bestehen (denn den Breisgau, welcher noch dazu gehörte, hat sich der Kaiser in dem Frieden zu Campo Formio 1797 dem Herzog von Modena abzutreten verbindlich gemacht (s. den Art. Modena); dahin auch der Lage nach die Grafschaft Hohenems gehört, und die Grafschaft Falkenstein im Obertheinschen Kreise mit gerechnet werden kann. II. einen kleinen Theil des Herzogthums Schlesien. III. das Markgrafthum Mähren. IV. das Königreich Böhmen (s. diesen Art..).
Den Burgundischen Kreis oder Belgien, welches Oestreich bis jetzt in Deutschland besaß, hat es ebenfalls in dem Frieden zu Campo Formio an Frankreich abgetreten. S. die Ostreichischen Nie-
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derlande, 3. Th. S. 285 u. folg.
  B) außer Deutschland: I. das Königreich Ungarn (s. diesen Art..) II. das Großfürstenthum Siebenbürgen. III. das Königreich Gallizien und Lodomerien, größten Theils Pohlnische Länder, welche bei der Theilung von Pohlen i. J. 1772 an Oestreich fielen (s. Gallizien), gegenwärtig aber Ostgallizien heißen, um sich von dem hinzugekommenen Westgallizien zu unterscheiden, unter welchem Namen diejenigen Pohlnischen Länder begriffen werden, welche Oestreich bei der letzten Theilung von Pohlen im J. 1796 erhielt. IV. zu Folge des Friedens zu Campo Formio: Istrien, Dalmatien, die ehemahligen Venetianischen Inseln des Adriatischen Meeres, die Bouches de Catraro, die Stadt Venedig, die Lagunen und die Länder, welche zwischen den Oestreichischen Erbstaaten, dem Adriatischen Meere und einer Linie begriffen sind, welche von Tyrol ausgehen, dem Fluß vorwärts von Gardola folgen, durch den See von Garda bis Lacise gehen, und von da eine militairische Linie bis San Giacomo formiren wird.
Dem Oestreichischen Mailand und Mantua oder der Oestreichischen Lombardie, welche das Haus Oestreich in Italien besaß, hat Oestreich ebenfalls im Frieden zu Campo Formio zu Gunsten der Cisalpinischen Republik entsagt, zu welcher diese Länder gegenwärtig gehören.
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Ehe die Besitzungen des Hauses Oestreich durch die letzte Theilung von Pohlen und dem neuesten mehrmahls erwähnten Friedensschluß zum Theil vermehrt, zum Theil verringert wurden, zählte man in allen Oestreichischen Ländern in und außer Deutschland 20 Millionen Menschen, und die gesammten Einkünfte aus denselben wurden gegen 100 Mill. Gulden berechnet.
  Da die Länder, welche Oestreich außer Deutschland besitzt, in besondern Artikeln vorkommen, so folgen hier bloß einige Bemerkungen über die Deutschen Länder dieses Hauses. Sie betragen sämmtlich, nachdem Belgien und der Breisgau davon getrennt worden, 3520 Quadratmeilen, und haben gegen 8 Millionen Einwohner. Sie sind im Ganzen sehr fruchtbar und reich an vielfachen Producten. Allein Cultur, Industrie und Künste sind bei weiten noch nicht so weit darin, als in vielen andern Deutschen Ländern, wiewohl die Regierung seit etlichen vierzig Jahren viel gethan, dieselben zu wecken, und auch viele glückliche Folgen ihrer Bemühungen gesehen hat. Schon vor dem siebenjährigen Kriege fing Maria Theresia, Oestreichs zweite Schöpferin, an, ihre Aufmerksamkeit auf die Emporbringung der Manufacturen und der Handlung zu wenden; und der erwähnte Krieg hat ihre Bemühungen, weniger als man glauben sollte, gestört, vielmehr dadurch befördern helfen, daß
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viele Künstler und Handwerker aus Sachsen und der Lausitz in das Oestreichische gingen. Nicht minder sorgte sie für eine bessere Bildung der Jugend und andre Zweige des öffentlichen Wohls; und ihre Bemühungen für das letztere wurden von ihren Nachfolgern theils erweitert, theils fortgesetzt. – Die Abgaben in Oestreich sind sehr groß, und dieß von jeher gewesen. In Nieder- und Oberöstreich rechnet man, daß der Edelmann 27 Procent von seinen Einkünften, der Bürger und Bauer hingegen die Hälfte davon bezahlt. – Die Oestreichischen Hof- und Staatsschulden betrugen vor dem neuesten Kriege ungefähr 300 Millionen Gulden.
  Der Stifter des Oestreichischen Hauses ist Rudolph, Graf von Habsburg, in der Schweiz, welcher 1273 zum Kaiser in Deutschland erwählt wurde, und seinen beiden Söhnen, Albrecht und Rudolph, die Herzogthümer Oestreich, Steyermark und Krain mit Einwilligung der Churfürsten zu Lehen gar. Wiewohl nun dieser Kaiser Rudolph überdem in der Schweiz, in Schwaben und dem Elsaß viele aber zerstreute Güter besaß, so wählte doch das Habsburgische Haus von der Zeit an die Oestreichischen Länder zu seinem Hauptsitze, da überdem Albrechts I. Gewaltthätigkeiten in der Schweiz Empörungen veranlaßten, welche nicht nur für Oestreich den Verlust aller seiner Güter in der Schweiz, sondern auch die Trennung
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aller Schweizer Staaten vom Deutschen Reiche zur Folge hatten. Indeß ward dieses Haus durch andre glückliche Vorfälle desto mächtiger, und stieg in 250 Jahren zu einer außerordentlichen Größe. Rudolphs nächste Nachkommen brachten schon 1364 das Herzogthum Kärnthen und die Grafschaft Tyrol an ihr Haus, und bald darauf auch ansehnliche Besitzungen in Schwaben. Eine Zeitlang theilten sie sich in verschiedene Linien. Im J. 1415 mußte das Haus Oestreich alle seine Schweizerischen Länder aufgeben, von denen die meisten an die Stadt Bern kamen; dagegen aber stieg es kurz nach diesem Verluste desto schneller. Mit Kaiser Friedrich III. (von welchem an das Ostreichische Haus 300 Jahre lang auf dem Kaiserthron war) kamen alle Deutsche Länder wieder an eine Linie zurück, welche 1453 von ihm die erzherzogliche Würde erhielt, die kein andres Deutsches Haus hat. Sein Sohn Maximilian I. brachte 1477 durch seine Vermählung mit der Erbin der Burgundischen Länder, Maria, die sämmtlichen Niederlande an das Oestreichische Haus. Erzherzog Philipp, ein Sohn dieser Ehe, heirathete 1496 die Prinzessin Johanna, Erbin der Spanischen Monarchie, wozu damahls auch Sicilien, Neapel und Sardinien gehörten. Sein Sohn Carl succedirte 1516 nach König Ferdinand des Katholischen Tode in der ganzen Spanischen Monarchie, und vereinigte damit 1519 nach Kaiser Maximi-
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lians Tode, dem er auch unter dem Namen Carl V. auf dem Deutschen Thron folgte, alle Oestreichische Besitzungen. Ferdinand, Carls Bruder, kam durch seine Vermählung mit der Prinzessin Anna von Ungarn und Böhmen auch zum Besitz dieser Länder (1526). Diese weitläuftigen Staaten theilte Carl V. unter seinen Sohn Philipp II. welcher die Niederlande und die ganze Spanische Monarchie bekam, und seinen Bruder Ferdinand, der die Deutschen Länder mit den neu erworbenen vereinigte: und von nun an blieb die Theilung dieses Hauses in die Deutsche-Oestreichische und in die Spanisch-Niederländische Linie; doch vereinigten sich beide immer sehr genau mit einander, und blieben dadurch dem ganzen übrigen Europa furchtbar. Das Deutsche Haus verlor im 30jährigen Kriege die Lausitz, einen Theil von Elsaß und seine Ansprüche auf verschiedene Provinzen in der Schweiz, welche im Westphälischen Frieden für völlig frei erklärt wurde. Die Spanische Linie starb 1700 mit König Carl II. gänzlich aus, der aber kurz vorher in seinem Testamente den Herzog Philipp von Anjou, als zweiten Enkel seiner ältern Schwester Maria Theresia und Königs Ludwig XIV. von Frankreich, zum Erben der ganzen Spanischen Monarchie eingesetzt hatte. Darüber entstand der Spanische Successions- Krieg, durch welchen die Deutsche Linie die Spanischen Riederlande, das Herzogthum Mailand und
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das Königreich beider Sicilien erhielt, welches letztere Kaiser Carl VI. aber 1736 wieder an das Französisch-Spanische Haus verlor. Mit diesem Kaiser ging der Mannsstamm seines Hauses aus, nach welchem aber, zu Folge seiner Verordnung, seine älteste Tochter Maria Theresia folgte, die jedoch durch den hieraus erfolgten Oestreichischen Successions-Krieg den größten Theil von Schlesien, die Grafschaft Glaz, und in Italien die Herzogthümer Parma und Piazenza nebst einem Strich von Mailand verlor. Noch während des Kriegs war ihr Gemahl Franz I. Herzog von Toskana, aus dem Lothringischen Hause, zum Röm. Kaiser erwählt worden, dessen Sohn, Joseph II. als der erste aus der Oestreichisch-Lothringischen oder Florentinischen Linie, mit der Kaiserwürde (1765) auch seit dem Absterben seiner Mutter (1780) den Besitz aller Oestreichischen Erbländer vereinigte, die der letzte Bayersche Krieg noch mit einem ansehnlichen Strich von Bayern vermehrte. Ihm folgte sein Bruder Leopold (s. diesen Art.), und diesem sein Sohn, der jetzt regierende Kaiser Franz II.
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* Oestreich hat durch die, seit dem Frieden zu Campo Formido mit Frankreich gefuhrten Kriege sehr viel von seiner inneren und äußeren Stärke verloren. – Seine Besitzungen am Ende des Jahres 1808 waren:
  A) In Deutschland: I. von dem ehemaligen östreichischen Kreise: 1) Niederöstreich; 2) Inneröstreich, jedoch mit Ausnahme der, durch die Convention zu Fontainebleau abgetretenen Stücke (s. Nachträge B. I. S. 275. 76.). II) von dem ehemaligen baierischen Kreise: 1) die gefürstete Probstei Berchtesgaden, oder Berchtolsgaden und 2) das Erzstift Salzburg; III) das östreichische Schlesien; IV) das Markgrafthum Mähren; V) das Königreich Böhmen.
  B) Außer Deutschland: I) Ungarn. II) Siebenbürgen. III) Gallizien. IV) Croatien. V) Slavonien
  In dem Frieden zu Campo Formido verlor es mehr als 1200 Q. Meilen mit beinahe 3½ Millionen Menschen, für welche es durch das Venetianische Gebiet, Istrien, Dalmatien und ein Stück von Albanien, zusammen ohngefähr 700 Q. Meilen mit 1 Million, 800,000 Menschen, entschädiget wurde. Es verlor mithin durch jenen Frieden über 500 Q. Meilen und ohngefähr 2 Millionen Menschen. Weit grösser war dessen Verlust bei dem Presburger Frieden. Denn durch diesen verlor es nicht nur die, in jenem Frieden erhaltenen, italienischen Besitzungen, sondern auch
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Oberöstreich von mehr als 500 und Vorderöstreich von einigen und sechzig Q. Meilen; an Einwohnern nahe an 2½ Millionen. Außerdem sind durch die Kriege mit Frankreich die Abgaben und Staatsschulden Oestreichs ungeheuer gewachsen, die Anzahl des Papier und schlechten Silber-Geldes hat sich sehr vermehrt und Oestreich ist von der Höhe der großen Staaten ziemlich herabgesunken.
  Demohngeachtet schätzte man gegen Ende des J. 1808. die Volksmenge der Oestreichischen Monarchie noch auf 22 (nach andern 23) Millionen Menschen und den Flächeninhalt derselben auf 10,900 (nach andern auf 11,400) Q. Meilen.
  Uebrigens ließ auch der Kaiser Franz II. im J. 1804 d. 11. August und zwar, wie es in der deshalb bekannt gemachten Verordnung hieß, »zur dauerhaften Befestigung einer vollkommenen Rangsgleichheit mit den vorzüglichsten europäischen Regenten und Mächten – nach den Beispielen, welche im vorigen Jahrhunderte der rußisch kaiserliche Hof und in diesem der neue Beherrscher Frankreichs gegeben hätten,« ebenfalls in Hinsicht auf seine unabhängige Staaten sich zum erblichen Kaiser erklären: in welcher Hinsicht er denn auch jetzt als Kaiser von Oestreich: Franz I. heißt.
  In Rücksicht des Militair- und Kriegswesens wurden durch den Erzherzog Karl sehr viel wichtige Ver-
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besserungen eingeführt und so wurde auch durch ein Patent v. 1. Mai 1808. eine Reserve zu Erleichterung der Vertheidigung der Monarchie errichtet und 52 Reservebataillons erhoben, so daß jedes Regiment 1300 M. Reserve erhielt. Eben so wurde (9. Jun. 1808.) eine Landwehr durch alle Provinzen (blos Ungarn ausgenommen) zu Vertheidigung des vaterländischen Bodens errichtet, wodurch 2 – 300,000 streitbare Männer gestellt wurden u. s. f.
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