Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Lully, Giovani Battista
Giovani Battista Lully. Dieser berühmte Tonkünstler, welcher auf den Geschmack der Franzosen so viel Einfluß bekam, war i. J. 1633 zu Florenz geboren, und kam im zwölften Jahre als Küchenjunge an den Hof der Prizessin von Montpensier. Man entdeckte bald seine musikalischen Talente; er wurde aus der Küche genommen und ihm Unterricht auf der Violine ertheilt. Es war vorzüglich durch seine Gegenwart des Geistes, wodurch er zuerst Aufmerksamkeit erregte. Als einst die Prinzessin in den Gärten von Versailles spaziren ging, hörte er, daß sie auf einem leeren Fußgestelle die darauf gehörige Statue vermisse. Nachdem die Prinzessin vorüber war, zog sich Lully sogleich aus, steckte die Kleider hinter das erwähnte Piedestal, stellte sich oben darauf, und erwartete so die Zurückkunft der Prinzessin ab. Sie kam zurück, und wußte, als sie diese Figur von weiten erblickte, nicht, ob sie es für Zauberei halten sollte. Sie näherte sich, entdeckte aber die Wahrheit nicht eher, als bis sie ganz nahe dabei war. So sehr jetzt das ganze Gefolge auf die Bestrafung Lullyʼs drang, so verzieh ihm doch die Prinzessin wegen der Originalität des Einfalls; und dieß war der erste Schritt zu seinem Glücke. Er fing nun an sich in der Musik zu vervollkommnen; er componirte erst kleine Arien, bekam aber bald eine eigne Gesellschaft, les petits violons ge-————
nannt, unter seine Direction, und schwang sich durch seine Compositionen immer höher, so daß er Oberaufseher der königlichen Kapelle ward und 1672 im 39. Jahre auch die Direction der Oper erhielt, endlich, trotz des Murrens und Sträubens so vieler Hofschranzen, vom König in den Adelstand erhoben wurde. Sein Eifer bei Aufführung eines Te Deum zur Wiedergenesung des Königs in der Bernhardiner Kirche machte ihn 1686 zum Märtirer seiner Kunst: er stieß sich beim Taktschlagen mit dem Rohre heftig auf die Zehe; und da er sich dieselbe nicht abnehmen lassen wollte, so schlug bald darauf der Brand dazu, und er starb. Als er seine Krankheit sich verschlimmern sah, schickte er nach seinem Beichtvater, der ihm unter keiner andern Bedingung Absolution ertheilen wollte, als daß er wenigstens seine neuesten für die Oper gesetzten Arbeiten ins Feuer werfe. Lully bedachte sich ein wenig, zeigte dann mit dem Finger auf ein Behältniß, wo die Stimmen seiner neuesten Oper Achilles und Polixena lagen, ließ sich dieselben bringen und sie vor den Augen des Beichtvaters verbrennen. Einer von den Prinzen, der ihn besuchte, machte ihm Vorwürfe darüber. »Ach still, still, mein Prinz,« antwortete Lully, der sich ein wenig zu erhohlen anfing, »ich wußte wohl, was ich that – dort liegt noch die Partitur davon!« Indeß verschlimmerte sich seine Krankheit, und er gab alle Hoffnung auf; er hing
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einen Strick um den Hals, ließ sich auf Asche legen, war ganz reuiger Sünder, sang endlich noch sein Sterbelied il faut mourir pecheur etc. aufs wehmüthigste, und starb am 22. März 1687 im 54. Jahre. – Selten hat wohl ein Künstler so dauernden Beifall bei einer Nation behalten, als Lully bei der Französischen. An hundert Jahre hat man seine Opern auf dem Pariser Theater mit Enthusiasmus gehört und immer wieder gefordert; nur Gluck war vermögend, ihm sein Ansehen zu schmälern. Mit neunzehn von ihm componirten Opern hatte er sich ein Vermögen von sechshundert und dreißig tausend Livres erworben, das er bei seinem Tode in Golde hinterließ. Sein gutes, gefälliges, vom Stolze freies Betragen wurde sehr gerühmt. Aber für seine Musik war er außerordentlich eingenommen, und hier konnte er keinen Tadel ertragen. Eine von seinen Opern, Armida, hatte gar nicht gefallen; er ließ sie daher mit aller dazu gehörigen Decoration für sich allein auffuhren. »Sie muß doch wohl gut sein,« sagte hierauf der König, »da Lully sie selbst für gut hält,« ließ sie wieder vorstellen; und Hof und Stadt änderten bald ihr voriges Urtheil. Ein andermahl kam er in die Kirche und hörte, daß man eine von seinen Opern-Arien mit einem andern Texte in einer Messe sang. »Vergieb, lieber Herr Gott.« rief er aus, »die Arie habe ich nicht für dich gemacht!« Noch verdient seine Art, die
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Opern zu componiren, bemerkt zu werden. Nachdem er die Worte, die er in Musik setzen wollte, so fleißig durchgelesen hatte, daß er sie auswendig konnte, sang und spielte er die Melodie so lange, bis sie ihm anstand: dann ließ er den Lalouette oder Colasse kommen, dictirte demselben alles singend und spielend in die Feder, ohne selbst eine anzusetzen; und nur bei Fugen bemerkte er den Ort, wo das Thema eintreten sollte. So componirte er in jedem Jahre, binnen drei Monathen, eine Oper. Mit Sängern und Sängerinnen gab er sich alle Mühe, unterrichtete sie selbst in Action, Stellung etc. kurz, er war, als er das königliche Privilegium zur Errichtung der Oper hatte, Sänger, Tänzer, Balletgeiger, Operncompositeur, auch zum Theil Poet; und bei Aufführung einer jeden neuen Oper mußte er erst Alle selbst unterrichten. Seine oben erwähnte letzte Oper, Achilles und Polixena, wurde erst nach seinem Tode aufgeführt.
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Ansicht: Lully, Giovani Battista