Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Ludwig der sechzehnte
Ludwig der sechzehnte, Enkel Ludwigs XV. Es würde kein kleines Geschäft sein, wenn man die vielen sich durchaus widersprechenden Urtheile über diesen Monarchen sammeln, und durch die Wahrheit der Thatsachen vereinigen sollte. Ohne den Ausbruch der Revolution würde Ludwig mit dem Beinamen des Vielgeliebten begraben worden sein, und in den Annalen Frankreichs in der Reihe der guten und wohlthätigen Könige einen Platz erhalten haben, welche die innere Ruhe des Reichs glänzenden auswärtigen Eroberungen vorzogen, und durch ihre rechtschaffenen Minister dasjenige ausführen ließen, was sie aus Gemächlichkeit oder Schwäche nicht thun wollten und konnten. Gewisse Leute, die von einem bangen Ahnungsvermögen erfüllt waren, weißagten schon aus dem Tage der Geburt dieses Königs nichts Erfreuliches; denn er wurde 1754 am 23. August geboren, auf welchen Tag einst in Frankreich die Schrecknisse der Bartholomäusnacht gefolgt waren. Die großen Tugenden seines Vaters und die stille Häuslichkeit seiner Mutter, einer Sächsischen Prinzessin, berechtigten zu keinen gemeinen Erwartungen von dem jungen Prinzen, auf dessen Erziehung alle Sorgfalt verwendet wurde. Aber leider starb der Dauphin schon 1765, und sein Sohn wurde nun schmeichlerischen und unwürdigen Hofmeistern übergeben. Sein Herz blieb————
zwar unverdorben; aber die Ausbildung seiner Geistesfähigkeiten wurde vernachlässigt. Die Wahl seiner künftigen Gattin war für ihn gar nicht vortheilhaft; denn Marie Antoinette übertraf ihren Gemahl eben so sehr an Lebhaftigkeit des Verstandes, als an Munterkeit des Witzes, und erhielt dadurch einen Einfluß auf ihn, der in der Folge für die Staatsgeschäfte gefährlich wurde. Ludwig XVI. wollte das Glück seines Volks; er erließ demselben viele beschwerliche Frohndienste und willkührliche Abgaben, setzte bei dem Anfange seiner Regierung die Parlamente in ihre alten Rechte (jedoch unter gewissen Einschränkungen) ein, erwählte einige einsichtsvolle und rechtschaffene Minister (einen Maurepas, Turgot, Necker u. A.), verfolgte überall das System der Sparsamkeit, und erwarb sich dadurch ein unbeglänztes Zutrauen der Nation, welches durch seine Theilnehmung an dem Nordamerikanischen Kriege zum Vortheil der Colonien (Frankreich nahm öffentlich Antheil an demselben von 1778 – 1782) und den darauf erfolgten vortheilhaften Pariser Frieden nur noch mehr verstärkt wurde. Aber in den damahligen Zeiten war auch die Ruhe im Innern noch nicht unterbrochen; und nur Wenige ahnten die sich von ferne über Frankreich aufziehenden Ungewitter. Sobald aber am Hofe Parteien entstanden, und sich eine Cabale über die andere erhob, um diesen oder jenen Minister zu stürzen, sobald war auch der
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König nicht mehr frei. Man wendete alles an, damit er den Regierungsgeschäften so viel als möglich entsagen möchte. Die gar nicht königliche Beschäftigung der Schlosserarbeit, womit er seine Nebenstunden ausfüllte, wurde noch überdieß von Höflingen gemißbraucht, um ihn zu dem Genuß von starken Getränken zu verleiten. Das Feuer des Schmiedeofens vermehrte in Verbindung mit den starken Weinen die eigenthümliche Hitze seines Temperaments, und verleitete ihn zu Reden und Handlungen, die man von einem König nicht hätte erwarten sollen. Sein Körper nahm in eben dem Grade zu, in weichem eine gewisse phlegmatische Indolenz die freiern Wirkungen seines Geistes zu hindern anfing. Eben daher schrieb sich auch wohl seine unbegreifliche Gleichgültigkeit bei fehlgeschlagenen Entwürfen von der größren Wichtigkeit, z. B. bei der Rückkehr von Varennes nach Paris, und seine zaghafte Unentschlossenheit in der Verfolgung eines festen Plans zu seiner Rettung, dergleichen ihm La Fayette, Bouille und Andere vorlegten. Die Augenblicke, worin er mit eigner Kraft und Selbstständigkeit handelte, waren selten; als der Pöbel am 20. Juni 1792 in das königliche Schloß eindrang, entwaffnete jedoch sein Muth und seine Unbefangenheit den Arm der Mörder. Wäre Ludwig dadurch ermuntert worden, sich nicht länger durch treulose Rathgeber leiten zu lassen, so würde er viel gewonnen
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haben; aber durch das beständige Hin- und Herschwanken von einer Partei zu der andern mußte er endlich von allen verlassen werden. Die Demokraten haßten in ihm den König; die Emigranten und die in Frankreich zurückgebliebenen Aristokraten hielten ihn für untauglich zu der Regierung. So lebhaft sich auch diese letztern öffentlich für ihn zu interessiren schienen, so mußten ihm doch ihre geheimen Unternehmungen deutlich genug zu erkennen geben, daß er es mit Verräthern zu thun habe und seinen eignen Verwandten nicht trauen dürfe. Bei einem so sehr sich durchkreuzenden Interesse, wo die größten und einsichtsvollsten Regenten Mühe gehabt haben würden, ihre Stelle zu behaupten, muß man gerecht gegen Ludwig sein, und seinen Willen von dem schädlichen Einflusse der verrätherischen Freunde unterscheiden, die ihn umgaben. Ohne diese letztern würde er nie in den Abgrund des Verderbens gestürzt worden sein, worin ihn ganz Europa bedauerte und gewiß auch dann noch beklagen wird, wenn auch einst die Franzosen aufhören sollten, zum Andenken seines Todestags am 21. Januar 1793 alljährlich einen Festtag anzuordnen. – Vergl. d. Art. die Revolution in Frankreich.
zwar unverdorben; aber die Ausbildung seiner Geistesfähigkeiten wurde vernachlässigt. Die Wahl seiner künftigen Gattin war für ihn gar nicht vortheilhaft; denn Marie Antoinette übertraf ihren Gemahl eben so sehr an Lebhaftigkeit des Verstandes, als an Munterkeit des Witzes, und erhielt dadurch einen Einfluß auf ihn, der in der Folge für die Staatsgeschäfte gefährlich wurde. Ludwig XVI. wollte das Glück seines Volks; er erließ demselben viele beschwerliche Frohndienste und willkührliche Abgaben, setzte bei dem Anfange seiner Regierung die Parlamente in ihre alten Rechte (jedoch unter gewissen Einschränkungen) ein, erwählte einige einsichtsvolle und rechtschaffene Minister (einen Maurepas, Turgot, Necker u. A.), verfolgte überall das System der Sparsamkeit, und erwarb sich dadurch ein unbeglänztes Zutrauen der Nation, welches durch seine Theilnehmung an dem Nordamerikanischen Kriege zum Vortheil der Colonien (Frankreich nahm öffentlich Antheil an demselben von 1778 – 1782) und den darauf erfolgten vortheilhaften Pariser Frieden nur noch mehr verstärkt wurde. Aber in den damahligen Zeiten war auch die Ruhe im Innern noch nicht unterbrochen; und nur Wenige ahnten die sich von ferne über Frankreich aufziehenden Ungewitter. Sobald aber am Hofe Parteien entstanden, und sich eine Cabale über die andere erhob, um diesen oder jenen Minister zu stürzen, sobald war auch der
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König nicht mehr frei. Man wendete alles an, damit er den Regierungsgeschäften so viel als möglich entsagen möchte. Die gar nicht königliche Beschäftigung der Schlosserarbeit, womit er seine Nebenstunden ausfüllte, wurde noch überdieß von Höflingen gemißbraucht, um ihn zu dem Genuß von starken Getränken zu verleiten. Das Feuer des Schmiedeofens vermehrte in Verbindung mit den starken Weinen die eigenthümliche Hitze seines Temperaments, und verleitete ihn zu Reden und Handlungen, die man von einem König nicht hätte erwarten sollen. Sein Körper nahm in eben dem Grade zu, in weichem eine gewisse phlegmatische Indolenz die freiern Wirkungen seines Geistes zu hindern anfing. Eben daher schrieb sich auch wohl seine unbegreifliche Gleichgültigkeit bei fehlgeschlagenen Entwürfen von der größren Wichtigkeit, z. B. bei der Rückkehr von Varennes nach Paris, und seine zaghafte Unentschlossenheit in der Verfolgung eines festen Plans zu seiner Rettung, dergleichen ihm La Fayette, Bouille und Andere vorlegten. Die Augenblicke, worin er mit eigner Kraft und Selbstständigkeit handelte, waren selten; als der Pöbel am 20. Juni 1792 in das königliche Schloß eindrang, entwaffnete jedoch sein Muth und seine Unbefangenheit den Arm der Mörder. Wäre Ludwig dadurch ermuntert worden, sich nicht länger durch treulose Rathgeber leiten zu lassen, so würde er viel gewonnen
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haben; aber durch das beständige Hin- und Herschwanken von einer Partei zu der andern mußte er endlich von allen verlassen werden. Die Demokraten haßten in ihm den König; die Emigranten und die in Frankreich zurückgebliebenen Aristokraten hielten ihn für untauglich zu der Regierung. So lebhaft sich auch diese letztern öffentlich für ihn zu interessiren schienen, so mußten ihm doch ihre geheimen Unternehmungen deutlich genug zu erkennen geben, daß er es mit Verräthern zu thun habe und seinen eignen Verwandten nicht trauen dürfe. Bei einem so sehr sich durchkreuzenden Interesse, wo die größten und einsichtsvollsten Regenten Mühe gehabt haben würden, ihre Stelle zu behaupten, muß man gerecht gegen Ludwig sein, und seinen Willen von dem schädlichen Einflusse der verrätherischen Freunde unterscheiden, die ihn umgaben. Ohne diese letztern würde er nie in den Abgrund des Verderbens gestürzt worden sein, worin ihn ganz Europa bedauerte und gewiß auch dann noch beklagen wird, wenn auch einst die Franzosen aufhören sollten, zum Andenken seines Todestags am 21. Januar 1793 alljährlich einen Festtag anzuordnen. – Vergl. d. Art. die Revolution in Frankreich.