Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Livia
Livia, die berühmte Gemahlin des Römischen Kaisers August, und die Mutter des nachher so berüchtigten Tiberius. An allen wichtigen Veränderungen, welche August mit dem Römischen Staate vornahm, hatte Livia den thätigsten Antheil. Nur wenige Königinnen und Kaiserinnen der ältern und neuern Zeit übten so eine unumschränkte Gewalt aus, und verstanden die Kunst, den Willen ihrer Gemahle von dem ihrigen abhängig zu machen, besser, als diese ehrgeitzige und herrschsüchtige Frau. Unter dem Anscheine einer unbegränzten Zärtlichkeit gegen ihren Gemahl und eines ungeheuchelten Eifers gegen das Wohl des Staats verbarg sie gefährliche Entwürfe zur Begründung ihrer eignen Macht und zu Gunsten ihres Sohns Tiberius, dem sie den Kaiserthron um jeden Preis sichern wollte. Auf ihr Anstiften geschah es, daß alle männliche Verwandte des Augusts heimlich aus dem Wege geräumt wurden, und daß die unglückliche Julia, Augusts einzige Tochter, ihr Leben als Verwiesene verschmachten mußte. Man hat sogar alle Ursache zu vermuthen, daß der alte Kaiser endlich selbst als Opfer seiner herrschsüchtigen Gemahlin fiel. Er war aber so sehr für sie eingenommen, und von ihrer aufrichtigen Liebe gegen ihn so lebhaft überzeugt, daß es ihm gar nicht einfiel, über ihre eigentlichen Absichten nachzudenken und die geheime Triebfeder ihrer Hand-————
lungen zu erspähen. Das ganze Betragen der Livia war aber auch so beschaffen, daß der geübteste Kenner in einem Urtheile über sie sehr leicht getäuscht werden konnte. Sie besaß alle Eigenschaften einer klugen und geistreichen Frau, und wußte Ernst und Würde so gut mit Scherz und Herablassung zu vereinigen, daß ihr Jedermann unwillkührlich Achtung und Liebe zollte. August würde ohne ihren Beistand schwerlich die Rolle haben spielen können, die er als erster Römischer Kaiser spielen mußte; und hätten die nachherigen Kaiserinnen der Livia nur wenigstens im äußern Betragen nachgeeifert, so würde den spätern Römischen Geschichtschreibern die Erzählung einer Menge ärgerlicher Anekdoten erspart worden sein.
Livia, die berühmte Gemahlin des Römischen Kaisers August, und die Mutter des nachher so berüchtigten Tiberius. An allen wichtigen Veränderungen, welche August mit dem Römischen Staate vornahm, hatte Livia den thätigsten Antheil. Nur wenige Königinnen und Kaiserinnen der ältern und neuern Zeit übten so eine unumschränkte Gewalt aus, und verstanden die Kunst, den Willen ihrer Gemahle von dem ihrigen abhängig zu machen, besser, als diese ehrgeitzige und herrschsüchtige Frau. Unter dem Anscheine einer unbegränzten Zärtlichkeit gegen ihren Gemahl und eines ungeheuchelten Eifers gegen das Wohl des Staats verbarg sie gefährliche Entwürfe zur Begründung ihrer eignen Macht und zu Gunsten ihres Sohns Tiberius, dem sie den Kaiserthron um jeden Preis sichern wollte. Auf ihr Anstiften geschah es, daß alle männliche Verwandte des Augusts heimlich aus dem Wege geräumt wurden, und daß die unglückliche Julia, Augusts einzige Tochter, ihr Leben als Verwiesene verschmachten mußte. Man hat sogar alle Ursache zu vermuthen, daß der alte Kaiser endlich selbst als Opfer seiner herrschsüchtigen Gemahlin fiel. Er war aber so sehr für sie eingenommen, und von ihrer aufrichtigen Liebe gegen ihn so lebhaft überzeugt, daß es ihm gar nicht einfiel, über ihre eigentlichen Absichten nachzudenken und die geheime Triebfeder ihrer Hand-————
lungen zu erspähen. Das ganze Betragen der Livia war aber auch so beschaffen, daß der geübteste Kenner in einem Urtheile über sie sehr leicht getäuscht werden konnte. Sie besaß alle Eigenschaften einer klugen und geistreichen Frau, und wußte Ernst und Würde so gut mit Scherz und Herablassung zu vereinigen, daß ihr Jedermann unwillkührlich Achtung und Liebe zollte. August würde ohne ihren Beistand schwerlich die Rolle haben spielen können, die er als erster Römischer Kaiser spielen mußte; und hätten die nachherigen Kaiserinnen der Livia nur wenigstens im äußern Betragen nachgeeifert, so würde den spätern Römischen Geschichtschreibern die Erzählung einer Menge ärgerlicher Anekdoten erspart worden sein.