Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Kain
Henri Louis le Kain. Dieser berühmte Französische Schauspieler wurde im J. 1729 geboren. Er verfertigte anfangs chirurgische Instrumente von Stahl. Ein Tapezierer machte ihn Voltairen bekannt, welcher ihn unterrichtete und aufs Theater brachte. Voltaire hielt ihn für den einzigen ihm bekannten wahrhaft tragischen Schauspieler der Franzosen. Gleichwohl konnte er ihn nicht auf dem Pariser Theater sehen, da le Kain erst nach Voltaireʼs Abreise von Paris daselbst engagirt wurde, und, als Voltaire in seinem Alter wieder dahin kam, schon todt war. Die Rollen, worin le Kain vorzüglich glänzte, waren die leidenschaftlichen, wie Orosman, Tancred, Vendome u. A. »Ich weine selten,« sagte Ludwig XV. nach einer Vorstellung der Zaire, in welcher le Kain den Orosman spielte, »aber le Kain hat mich weinen gemacht.« »Le Kain« sagt Herault Sechelles von ihm »brachte in gewissen Augenblicken schreckliche Wirkungen durch abgebrochene Schreie hervor, die aus dem Innersten der Seele zu kommen und zurück gehalten schienen: in andern Augenblicken war er ein wüthender, brüllender Löwe, der seine Ketten zerbrochen hat; er allein füllte das ganze Theater aus.« Zu gleicher Zeit sagt der nehmliche Schriftsteller, le Kain habe keinen durchdringenden Geist besessen; und wenn man hiermit das Urtheil Friedrichs II. welcher ihn nach Berlin kommen ließ————
(s. dessen Oeuvres posthumes), vergleicht, so scheint le Kain bei allen Talenten für den Ausdruck der Leidenschaften dennoch nicht immer glücklich in der richtigen Anwendung dieses Ausdrucks gewesen zu sein, in welcher Angemessenheit des Ausdrucks zu der Rolle die wahre Kunst des Schauspielers liegt. Le Kain gab sich übrigens viele Mühe: er war nicht groß; und als man ihm einst schmeichelte, daß er auf dem Theater über sechs Schuh hoch zu sein scheine, antwortete er sehr schön: »Nicht durch unsern Körper sind wir groß, sondern bloß durch unsre Seele.« Im Jahr 1767 zog er sich, mit Ehre und Geld überhäuft, vom Pariser Theater zurück, und starb 1778. Ich beschließe diesen Artikel mit folgender Anekdote. Als man ihm einst in einer Gesellschaft zu seiner nahen Retirade Glück wünschte, erwiederte er: »Was die Ehre betrifft, so schmeichle ich mir nicht, mir viel erworben zu haben. Diese Art von Verdienst wird immer von vielen bestritten; und Sie selbst würden mit widersprechen, wenn ich stolz darauf sein wollte. Und was das Geld anlangt, so habe ich eben so wenig Ursache zufrieden zu sein. Auf dem Italiänischen Theater stehen sich die Schauspieler unendlich besser als ich. Dort kann es ein Schauspieler auf 20 bis 25,000 Livres bringen, und ich habe höchstens 10 bis 12,000.« – »Was zum T***!« rief ein roher Ritter des St. Ludwig-Ordens, welcher zugegen war, aus,
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»Was zum T***! ein elender Landstreicher ist nicht mit 12000 Livres das Jahr zufrieden; und ich, der ich in des Königs Diensten bin, auf der Kanone schlafe und mein Blut für mein Vaterland vergieße, ich muß mich noch glücklich schätzen, eine Pension von 1000 Livres zu genießen!« – – »Und rechnen Sie die Freiheit, in diesem Tone mit mir zu sprechen, für Richts, mein Herr?« versetzte le Kain mit aller Erhabenheit und Kürze des beleidigten Orosmans.
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*Le Kain, dessen Talent man sogar dahin eingeschränkt hat, daß er blos Stücke des Voltaire, nach der eigenmächtigen Vorschrift dieses Dichters, zu spielen verstanden habe, dagegen seine Darstellung bei andern Producten oft fehlerhaft gewesen sei, ist durch seinen Sohn, der unter dem Titel: Mémoires, die Denkwürdigkeiten aus dem Leben seines Vaters bekannt gemacht hat, der Nachwelt wieder ins Gedächtniß gerufen worden.
(s. dessen Oeuvres posthumes), vergleicht, so scheint le Kain bei allen Talenten für den Ausdruck der Leidenschaften dennoch nicht immer glücklich in der richtigen Anwendung dieses Ausdrucks gewesen zu sein, in welcher Angemessenheit des Ausdrucks zu der Rolle die wahre Kunst des Schauspielers liegt. Le Kain gab sich übrigens viele Mühe: er war nicht groß; und als man ihm einst schmeichelte, daß er auf dem Theater über sechs Schuh hoch zu sein scheine, antwortete er sehr schön: »Nicht durch unsern Körper sind wir groß, sondern bloß durch unsre Seele.« Im Jahr 1767 zog er sich, mit Ehre und Geld überhäuft, vom Pariser Theater zurück, und starb 1778. Ich beschließe diesen Artikel mit folgender Anekdote. Als man ihm einst in einer Gesellschaft zu seiner nahen Retirade Glück wünschte, erwiederte er: »Was die Ehre betrifft, so schmeichle ich mir nicht, mir viel erworben zu haben. Diese Art von Verdienst wird immer von vielen bestritten; und Sie selbst würden mit widersprechen, wenn ich stolz darauf sein wollte. Und was das Geld anlangt, so habe ich eben so wenig Ursache zufrieden zu sein. Auf dem Italiänischen Theater stehen sich die Schauspieler unendlich besser als ich. Dort kann es ein Schauspieler auf 20 bis 25,000 Livres bringen, und ich habe höchstens 10 bis 12,000.« – »Was zum T***!« rief ein roher Ritter des St. Ludwig-Ordens, welcher zugegen war, aus,
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»Was zum T***! ein elender Landstreicher ist nicht mit 12000 Livres das Jahr zufrieden; und ich, der ich in des Königs Diensten bin, auf der Kanone schlafe und mein Blut für mein Vaterland vergieße, ich muß mich noch glücklich schätzen, eine Pension von 1000 Livres zu genießen!« – – »Und rechnen Sie die Freiheit, in diesem Tone mit mir zu sprechen, für Richts, mein Herr?« versetzte le Kain mit aller Erhabenheit und Kürze des beleidigten Orosmans.
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*Le Kain, dessen Talent man sogar dahin eingeschränkt hat, daß er blos Stücke des Voltaire, nach der eigenmächtigen Vorschrift dieses Dichters, zu spielen verstanden habe, dagegen seine Darstellung bei andern Producten oft fehlerhaft gewesen sei, ist durch seinen Sohn, der unter dem Titel: Mémoires, die Denkwürdigkeiten aus dem Leben seines Vaters bekannt gemacht hat, der Nachwelt wieder ins Gedächtniß gerufen worden.