Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Juden, Die
Die Juden gehören, ungeachtet des Hasses, womit sie ehemahls von den Christen verfolgt wurden, und vielleicht noch jetzt an manchen Orten verfolgt werden, zu den merkwürdigsten Völkern der Erde, und werden, theils wegen der Wichtigkeit ihrer Urgeschichte, theils aber auch wegen ihres National-Charakters, welcher sich in einer langen Reihe von Jahrhunderten und bei den mannigfaltigsten Veränderungen, die dieses Volk in allen Ländern erfuhr, so ziemlich unverfälscht erhalten hat, immer die Augen des Forschers auf sich ziehen, und ihn zu neuen Untersuchungen in dem Labyrinthe ihrer Geschichte ermuntern. Für den gegenwärtigen Zweck wird es hinreichend sein, auf ihre Schicksale unter den christlichen Völkern im Allgemeinen aufmerksam zu machen, und aus der Geschichte ihres ehemahligen Staats nur einige wichtige Veränderungen ins Gedächtniß zurückzurufen. Man weiß, daß die Abkömmlinge Abrahams Egypten verließen, um sich in den Besitz des Landes Canaan zu setzen, in welchem ehedem ein Stamm ihrer Vorfahren seinen Sitz gehabt hatte. Moses, der Gesetzgeber des Volks, richtete die ganze künftige Staatsverfassung ein, und war vorzüglich darauf bedacht, die Juden rein und unvermischt zu erhalten, und ihnen jede Annäherung und Verschwisterung mit andern Nationen unmöglich zu machen. Vielleicht war auch————
dieses die Hauptursache, warum er sie ganz von Priestern abhängig machte und ihnen einen beschwerlichen äußerlichen Gottesdienst auferlegte. Die Vertauschung des priesterlichen Regiments mit dem königlichen änderte nichts in der Hauptverfassung, sondern führte bloß, mit der Regierung des Salomo, eine Neigung des Volks zur Prachtliebe und zum Luxus herbei, und bewirkte zuletzt eine Theilung des Staats in zwei Königreiche, von welchen das Israelitische im Jahre der Welt 3264 durch die Assyrer, und das Judäische 3377 durch die Babylonier zerstört wurde. Die Rückkehr in ihre ehemahligen Besitzungen, welche den Juden der Persische König Cyrus bewilligte, verursachte zwar eine neue Staatsverfassung; allein diese war so wenig haltbar, daß die Juden aufs neue bald unter Macedonische, bald unter Egyptische Herrschaft fielen, und endlich von den Römern. welche sich unter der Anführung des großen Pompejus in die innern Unruhen des Reichs gemischt hatten, abhängig wurden. Sie behielten zwar das Recht, von Königen regiert zu werden, und Herodes war unter den den Römern zu Zeiten des Kaisers August unterworfenen auswärtigen Königen gewiß einer der angesehensten und mächtigsten; aber dessen ungeachtet war auch diese Staatsverfassung und von kurzer Dauer. Der Hang der Juden zu Empörungen und Meutereien, die höchste unter ihnen eingerissene Sittenverderbniß und
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die Verweigerung des an die Römer zu zahlenden Tributs bewogen den Kaiser Vespasian, sie mit einem Kriege zu überziehen, der sich mit der Einnahme von Palästina endigte. Zwar hielt sich die Hauptstadt Jerusalem noch einige Zeit; aber auch sie mußte endlich der Gewalt der Römischen Waffen weichen, und wurde vom Titus, dem Nachfolger Vespasians, im Jahre 70 nach Chr. Geb. mit Sturm erobert und völlig eingeäschert, wie es der erhabene Stifter der christlichen Religion den Juden schon lange vorher verkündigt hatte. Mit diesem Zeitpunkte verschwand der jüdische Staat gänzlich, und einige spätere Bemühungen ihn wieder herzustellen blieben fruchtlos. Seine Einwohner zerstreuten sich nach und nach in alle Länder des Erdbodens, und erfuhren darin bald härtere, bald gelindere Schicksale, je nachdem ihnen die allgemeine Stimmung der Volker günstig oder ungünstig war. Nie aber glückte es ihnen, selbst unter den mildesten Regierungen, sich ein völlig bürgerliches Ansehen zu verschaffen. Die Rechte und Freiheiten, welche sie unter den spätern heidnischen Römischen Kaisern, und selbst noch unter den ersten christlichen, genossen, gingen mit der im fünften Jahrhundert unter den Christen zunehmenden Unduldsamkeit gegen alle Nichtchristen gänzlich verloren; und der Haß, womit die Juden damahls verfolgt wurden, ging zugleich mit der christlichen Religion auf die fremden Nationen
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über, welche dem Römischen Staate ein Ende machten. Sie wurden nur unter den härtesten Bedingungen in den neu gegründeten Staaten geduldet, von allen Aemtern und Bedienungen entfernt, und von der Betreibung des Ackerbaues und jeder Beschäftigung der Freien gänzlich ausgeschlossen. Bei diesen empfindlichen Kränkungen und Bedrückungen, welche die Juden noch nicht einmahl gegen öffentliche Mißhandlungen und Beschimpfungen sicherten, war es kein Wunder, daß ihr Charakter immer mehr verdorben und ihre Sitten immer schlechter wurden. Da ihnen unter allen Nahrungszweigen der bürgerlichen Betriebsamkeit bloß der Handel übrig blieb, so zogen sie diesen im Mittelalter größten Theils ausschließend an sich, und rächten sich an den Christen durch einen unmäßigen Wucher und durch die Erhebung übertriebener Zinsen. Der Mangel an baarem Gelde, und die Bedürfnisse großer Summen zu Heereszügen, glänzenden Festen und andern Ausgaben nöthigten die Fürsten und Herren im Mittelalter, zu den Juden ihre Zuflucht zu nehmen, und sich von diesen beträchtliche Vorschüsse gegen Versprechung von sehr hohen und oft ganz übermäßigen Zinsen machen zu lassen. Waren sie nachher, wie das sehr oft geschah, nicht im Stande, das Vorgeschossene wieder zu erstatten, oder erklärte sich die Stimme der Völker laut gegen die Räubereien und den Wucher der Juden; so
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wußte man sich nicht besser zu helfen, als daß man eine allgemeine Verfolgung gegen sie erhob, sie aus dem Lande vertrieb, und erst dann wieder zurück rief, wenn neue Geldbedürfnisse ihre Gegenwart nothwendig machten. An Veranlassungen zu dergleichen Verfolgungen konnte es nicht fehlen, so lange man sich noch der Religion als Ursache dazu bediente. Bald sollten die Juden geweihte Hostien durchstochen, bald Christenkinder geschlachtet oder andern gotteslästerlichen Unfug getrieben haben. Unter allen diesen Verfolgungen war keine so grausam und blutig als die, welche in den Jahren 1348 und 1349 beinahe in allen Ländern Europaʼs gegen sie erhoben wurde, weil sie überall die Brunnen vergiftet und dadurch die fürchterliche Pest bewirkt haben sollten, welche damahls beinahe alle Länder der Erde verwüstete und entvölkerte. Der Pöbel in Italien, Frankreich, der Schweiz und Deutschland mordete und wüthete ungescheut unter ihnen. Zu tausenden wurden verbrannt, eben so viele kamen durch andre grausame Martern ums Leben; und nur wenige konnten durch eine schleunige Flucht oder durch die Annahme des Christenthums den ihnen drohenden Gefahren entgehen. Obgleich die Beschuldigungen, welche man ihnen machte, immer für ungegründet befunden und nachher öffentlich widerrufen wurden; so verlor sich dessen ungeachtet, zumahl bei den niedern Volksclasseu, der
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tief eingewurzelte Haß gegen sie nicht, und dauerte auch dann noch fort, nachdem die Reformation im sechzehnten Jahrhundert ein neues Licht der Aufklärung angezündet hatte. Die wahrscheinlichste Ursache dieses nicht zu bekämpfenden Vourtheils lag unstreitig darin, daß Luther selbst eine ungünstige Meinung von den Juden hatte, und sie höchstens als ein unvermeidliches Uebel zu dulden rieth. Die Vorschläge, welche in den neuesten Zeiten zu ihrer Verbesserung gemacht worden sind, haben bis jetzt noch keine allgemeine Publicität erlangt, sondern sind nur in einzelnen Staaten einzeln versucht und auch wieder zurückgenommen worden. Die Classe der vornehmern und reichen Juden genießt zwar in großen Städten einer ungleich größern Achtung als ehedem, und unterscheidet sich auch durch Bildung und Kenntnisse vortheilhaft; allein der Aermere wird viel weniger geachtet, und steht noch auf eben der Stufe der Cultur wie vormahls. Das Nehmliche gilt von den Judengemeinheiten, welche nicht in großen Städten leben, und daher noch weniger mit den Christen in Verbindungen stehen. Man muß erwarten, was die Zusicherung politischer Rechte, welche der Convent der Batavischen Republik den Juden seit dem 2. Sept. 1796 zugesichert und sie dadurch den activen Staatsbürgern gleich gemacht hat, in der Folge für Wirkungen auf den jüdischen National-Charakter haben wird. Daß es
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den Juden nicht an Anlagen zur Erwerbung von Kenntnissen aller Art mangle, haben häufige Beispiele älterer und neuerer Zeit bewiesen. Arzneikunde, Mathematik und damit verwandte Wissenschaften wurden durch sie in mittlern Zeiten von den Arabern zu den Europäern gebracht, und das Studium der Hebräischen Sprache erhalten. Auch in den neuesten Zeiten standen Männer unter ihnen auf, welche sich durch ihren Scharfsinn und durch ihren trefflichen moralischen Charakter die allgemeine Achtung in einem vorzüglich hohen Grade erwarben; und man darf hoffen, daß, je weiter die wohlthätigen Wirkungen der Aufklärung sich verbreiten und zu allen Ständen des menschlichen Geschlechts dringen werden, auch die jüdische Nation hinter der christlichen nicht länger zurückbleiben, sondern sich zu einem höhern Grade der Vollkommenheit und des Wohlstandes empor schwingen wird.
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*Die Juden. Wer hat nicht in der neusten, an unübersehbaren Ereignissen so überladenen Zeit, auch die Bemühungen der Regenten mit Theilnahme gelesen, um die Verbesserungen des moralischen und politischen Zustandes dieser so merkwürdigen Nation auf alle mögliche Art zu bewirken? Ob eine völlige Reformation des jüdischen Volks jetzt schon möglich sei, das ist wohl eine Frage, deren Beantwortung erst noch spätern – vielleicht ruhigeren Zeiten aufbewahrt bleiben möchte; indessen ist nicht zu läugnen, daß schon viel, sehr viel in dieser Hinsicht gethan und vorgearbeitet worden ist. Man hat mit starken Schritten, und das mit Recht, angefangen, diese Nation immer so viel möglich den übrigen Staatsbürgern anzunähern, und ihnen Vortheile und Rechte zugestanden, zu denen auch jeder andre ruhig und arbeitsam sich betragende Bürger gelangen kann. Zu Anfange des 19. Jahrhunderts hat man z. B. in den meisten deutschen Staaten den sogenannten Judenleibzoll abzuschaffen sich angelegen sein lassen, wozu schon der edle Kaiser Joseph II. in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in den östreichischen Staaten den Anfang machte. Und wer hat nicht mit der gespanntesten Erwartung den Anstalten entgegen gesehen, welche mittelst Decrets des französischen Kaisers Napoleon v. 30 Mai 1806 zuvörderst zu einer Judenver-
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sammlung zu Paris getroffen1, und zu welcher aus allen Departements des französischen Reichs Abgeordnete von der Judenschaft berufen wurden, um über die Mittel zu berathschlagen, wie unter den Juden die Ausübung nützlicher Künste und Handthierungen einzuführen sei, um durch rechtliche Erwerbe die wucherlichen und unrechtmäßigen Quellen zu verstopfen, welche seit vielen Jahrhunderten bis hieher vom Vater auf den Sohn sich fortgepflanzt hatten; überhaupt aber zu prüfen, ob in ihren Religionsdogmen nichts, was mit den Pflichten des Bürgers im Widerspruch sieht, und sie hindern kann, ihre Pflichten als Staatsbürger in ihrem ganzen Umfange zu erfüllen, enthalten sei. Die Abgeordneten kamen denn nun, 96 an der Zahl, zusammen, und eröffneten wirklich am 26. Juli – einem Sabbath – ihre Berathschlagungen, wobei ihnen hauptsächlich durch die dazu ernannten Commissarien zwölf Fragen, welche auf die obigen Absichten Beziehung hatten, vorgelegt wurden. Zwar fielen die Antworten der Erwartung der Regierung gemäß aus; allein man fand es doch für nöthig, eine wirklich allgemeine Versammlung der Juden, den sogenannten großen Sanhedrin (s. d. Art. i. d. Nachtr.) zu veranstalten, welcher die Aussprüche der Versammlung zu Glaubensdogmen und zu religiösen Gesetzen für die gesammte Judenschaft erheben möchte. Dies wurde denn auch der Versammlung
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unter dem 18. Sept. (1806) angekündigt, und es sollte nun dieses Collegium, außer dem Chef, noch aus 70 Mitgliedern bestehen, unter welchem ungefähr zwei Drittheil Rabbinen sein, das übrige Drittheil von der Versammlung selbst durch geheime Abstimmung gewählt und vor allen Dingen eine Comité von 9 Mitgliedern bestimmt werden sollte, welche mit den kaiserlichen Commissarien die zu berathschlagenden Materien im voraus bestimmen würden. Uebrigens solle die Errichtung dieses großen Sanhedrins allen Synagogen in Europa angezeigt, und diese zu Absendung von Deputirten nach Paris aufgefordert werden. – Wirklich war das wohl der einzig richtige und zuverlässige Weg, auf welchem zu einer endlichen und durchgreifenden Reform des Judenthums zu gelangen sein konnte: durch ihre eignen Repräsentanten sollte die jüdische Nation reformirt werden. Die Versammlungen gingen denn nun auch wirklich am 9. Februar 1807 an, und es wurden bis zum 9. März acht feierliche Sitzungen gehalten, in welchen jene Beschlüsse der Versammlung durchgegangen, geprüft, und nach reiflicher Erwägung und Vergleichung mit den Vorschriften der heil Schrift und den Aussprüchen des Talmuds zu religiösen Dogmen für alle Juden, insbesondre aber für die in Frankreich und Italien, erhoben wurden. Der Rabbiner David Sinsheimer aus Strasburg, welcher beim Sanhedrin den Chef machte,
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Abraham Furtado aus Bourdeaux, als Präsident der Versammlung, und mehrere andre Mitglieder zeichneten sich bei diesem Sanhedrin als Leute aus, welche ganz das in sie gesetzte Zutrauen rechtfertigten. Jetzt geschah von Seiten der französischen Regierung der letzte Schritt, um das angefangene Werk zu vollenden: durch ein Decret vom 17. März nemlich wurde nun verordnet, daß in jedem Departement, wo 2000 Juden wohnen, Eine Synagoge und Ein Consistorium, zu Paris aber Ein Central-Consistorium sein soll. Jene Departemental-Consistorien müssen darauf sehen, daß den Entscheidungen jenes großen Sanhedrins gemäß gelehrt, die Synagogen gehalten, der Gottesdienst durch Gebete und Predigten gefeiert, die Juden zum Betriebe nützlicher Künste und Handwerker ermuntert werden etc. Uebrigens ist auch zugleich der Neigung der Juden zum Wucher durch mehrere sehr zweckmäßige Vorschriften vorgebeugt. – Unterm 3. April 1807 wurde denn nun der Versammlung die Beendigung ihrer Arbeiten und die Entlassung der Deputirten angekündigt. Der Erfolg wird beweisen, in wie fern – wenigstens in Frankreich – dadurch der Grund gelegt sei, die Juden wirklich zu guten und nützlichen Staatsbürgern gleichsam einzuweihen.
Zum Schluß dieses Art. machen wir nur noch, zum Beweis, wie sehr auch deutsche Regenten auf alle Art für die Erhebung der jüdischen Nation zu einer hö-
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hern Stufe, als bisher, bedacht sind, auf die höchstwichtige Stättigkeits- und Schutz-Ordnung der Judenschaft zu Frankfurt, deren Verfassung, Verwaltung, Rechte und Verbindlichkeiten betreffend in 151 Paragraphen, welche der hochverdiente Fürst Primas unterm 30. Nov. 1807 hat ergehen lassen, aufmerksam, indem sie wohl einen bedeutenden Schritt zur Verbesserung der Juden begründen möchte, obgleich sie bei Vielen von dieser Nation und ihren Freunden eben nicht ganz Eingang finden will. – Auch die Vorschritte, welche die Regierung des Königreichs Westphalen in dieser Hinsicht gethan hat, dürften sehr viel zur Umbildung jener Nation beitragen.
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Fußnoten
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1 Die Veranlassung zu dieser Zusammenberufung wird folgendermaßen angegeben: Als nemlich der Kaiser Napoleon nach der Schlacht bei Austerlitz durch Strasburg ging, wurden ihm unter andern auch von den Behörden die grenzenlosen Wuchereien der Elsasser Juden bekannt gemacht. Aus dem vorgelegten Hypotheken-Buche ergab sich, daß die eingetragenen Summen, welche die Juden an Elsasser Bauern geliehen hatten, 6 bis 7 mal den Werth der hypothecirten Grundstücke überstiegen. Durch diese Miß-
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bräuche fand sich der französische Kaiser sogleich bewogen, jene Judensynode in Paris zu organisiren.
dieses die Hauptursache, warum er sie ganz von Priestern abhängig machte und ihnen einen beschwerlichen äußerlichen Gottesdienst auferlegte. Die Vertauschung des priesterlichen Regiments mit dem königlichen änderte nichts in der Hauptverfassung, sondern führte bloß, mit der Regierung des Salomo, eine Neigung des Volks zur Prachtliebe und zum Luxus herbei, und bewirkte zuletzt eine Theilung des Staats in zwei Königreiche, von welchen das Israelitische im Jahre der Welt 3264 durch die Assyrer, und das Judäische 3377 durch die Babylonier zerstört wurde. Die Rückkehr in ihre ehemahligen Besitzungen, welche den Juden der Persische König Cyrus bewilligte, verursachte zwar eine neue Staatsverfassung; allein diese war so wenig haltbar, daß die Juden aufs neue bald unter Macedonische, bald unter Egyptische Herrschaft fielen, und endlich von den Römern. welche sich unter der Anführung des großen Pompejus in die innern Unruhen des Reichs gemischt hatten, abhängig wurden. Sie behielten zwar das Recht, von Königen regiert zu werden, und Herodes war unter den den Römern zu Zeiten des Kaisers August unterworfenen auswärtigen Königen gewiß einer der angesehensten und mächtigsten; aber dessen ungeachtet war auch diese Staatsverfassung und von kurzer Dauer. Der Hang der Juden zu Empörungen und Meutereien, die höchste unter ihnen eingerissene Sittenverderbniß und
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die Verweigerung des an die Römer zu zahlenden Tributs bewogen den Kaiser Vespasian, sie mit einem Kriege zu überziehen, der sich mit der Einnahme von Palästina endigte. Zwar hielt sich die Hauptstadt Jerusalem noch einige Zeit; aber auch sie mußte endlich der Gewalt der Römischen Waffen weichen, und wurde vom Titus, dem Nachfolger Vespasians, im Jahre 70 nach Chr. Geb. mit Sturm erobert und völlig eingeäschert, wie es der erhabene Stifter der christlichen Religion den Juden schon lange vorher verkündigt hatte. Mit diesem Zeitpunkte verschwand der jüdische Staat gänzlich, und einige spätere Bemühungen ihn wieder herzustellen blieben fruchtlos. Seine Einwohner zerstreuten sich nach und nach in alle Länder des Erdbodens, und erfuhren darin bald härtere, bald gelindere Schicksale, je nachdem ihnen die allgemeine Stimmung der Volker günstig oder ungünstig war. Nie aber glückte es ihnen, selbst unter den mildesten Regierungen, sich ein völlig bürgerliches Ansehen zu verschaffen. Die Rechte und Freiheiten, welche sie unter den spätern heidnischen Römischen Kaisern, und selbst noch unter den ersten christlichen, genossen, gingen mit der im fünften Jahrhundert unter den Christen zunehmenden Unduldsamkeit gegen alle Nichtchristen gänzlich verloren; und der Haß, womit die Juden damahls verfolgt wurden, ging zugleich mit der christlichen Religion auf die fremden Nationen
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über, welche dem Römischen Staate ein Ende machten. Sie wurden nur unter den härtesten Bedingungen in den neu gegründeten Staaten geduldet, von allen Aemtern und Bedienungen entfernt, und von der Betreibung des Ackerbaues und jeder Beschäftigung der Freien gänzlich ausgeschlossen. Bei diesen empfindlichen Kränkungen und Bedrückungen, welche die Juden noch nicht einmahl gegen öffentliche Mißhandlungen und Beschimpfungen sicherten, war es kein Wunder, daß ihr Charakter immer mehr verdorben und ihre Sitten immer schlechter wurden. Da ihnen unter allen Nahrungszweigen der bürgerlichen Betriebsamkeit bloß der Handel übrig blieb, so zogen sie diesen im Mittelalter größten Theils ausschließend an sich, und rächten sich an den Christen durch einen unmäßigen Wucher und durch die Erhebung übertriebener Zinsen. Der Mangel an baarem Gelde, und die Bedürfnisse großer Summen zu Heereszügen, glänzenden Festen und andern Ausgaben nöthigten die Fürsten und Herren im Mittelalter, zu den Juden ihre Zuflucht zu nehmen, und sich von diesen beträchtliche Vorschüsse gegen Versprechung von sehr hohen und oft ganz übermäßigen Zinsen machen zu lassen. Waren sie nachher, wie das sehr oft geschah, nicht im Stande, das Vorgeschossene wieder zu erstatten, oder erklärte sich die Stimme der Völker laut gegen die Räubereien und den Wucher der Juden; so
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wußte man sich nicht besser zu helfen, als daß man eine allgemeine Verfolgung gegen sie erhob, sie aus dem Lande vertrieb, und erst dann wieder zurück rief, wenn neue Geldbedürfnisse ihre Gegenwart nothwendig machten. An Veranlassungen zu dergleichen Verfolgungen konnte es nicht fehlen, so lange man sich noch der Religion als Ursache dazu bediente. Bald sollten die Juden geweihte Hostien durchstochen, bald Christenkinder geschlachtet oder andern gotteslästerlichen Unfug getrieben haben. Unter allen diesen Verfolgungen war keine so grausam und blutig als die, welche in den Jahren 1348 und 1349 beinahe in allen Ländern Europaʼs gegen sie erhoben wurde, weil sie überall die Brunnen vergiftet und dadurch die fürchterliche Pest bewirkt haben sollten, welche damahls beinahe alle Länder der Erde verwüstete und entvölkerte. Der Pöbel in Italien, Frankreich, der Schweiz und Deutschland mordete und wüthete ungescheut unter ihnen. Zu tausenden wurden verbrannt, eben so viele kamen durch andre grausame Martern ums Leben; und nur wenige konnten durch eine schleunige Flucht oder durch die Annahme des Christenthums den ihnen drohenden Gefahren entgehen. Obgleich die Beschuldigungen, welche man ihnen machte, immer für ungegründet befunden und nachher öffentlich widerrufen wurden; so verlor sich dessen ungeachtet, zumahl bei den niedern Volksclasseu, der
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tief eingewurzelte Haß gegen sie nicht, und dauerte auch dann noch fort, nachdem die Reformation im sechzehnten Jahrhundert ein neues Licht der Aufklärung angezündet hatte. Die wahrscheinlichste Ursache dieses nicht zu bekämpfenden Vourtheils lag unstreitig darin, daß Luther selbst eine ungünstige Meinung von den Juden hatte, und sie höchstens als ein unvermeidliches Uebel zu dulden rieth. Die Vorschläge, welche in den neuesten Zeiten zu ihrer Verbesserung gemacht worden sind, haben bis jetzt noch keine allgemeine Publicität erlangt, sondern sind nur in einzelnen Staaten einzeln versucht und auch wieder zurückgenommen worden. Die Classe der vornehmern und reichen Juden genießt zwar in großen Städten einer ungleich größern Achtung als ehedem, und unterscheidet sich auch durch Bildung und Kenntnisse vortheilhaft; allein der Aermere wird viel weniger geachtet, und steht noch auf eben der Stufe der Cultur wie vormahls. Das Nehmliche gilt von den Judengemeinheiten, welche nicht in großen Städten leben, und daher noch weniger mit den Christen in Verbindungen stehen. Man muß erwarten, was die Zusicherung politischer Rechte, welche der Convent der Batavischen Republik den Juden seit dem 2. Sept. 1796 zugesichert und sie dadurch den activen Staatsbürgern gleich gemacht hat, in der Folge für Wirkungen auf den jüdischen National-Charakter haben wird. Daß es
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den Juden nicht an Anlagen zur Erwerbung von Kenntnissen aller Art mangle, haben häufige Beispiele älterer und neuerer Zeit bewiesen. Arzneikunde, Mathematik und damit verwandte Wissenschaften wurden durch sie in mittlern Zeiten von den Arabern zu den Europäern gebracht, und das Studium der Hebräischen Sprache erhalten. Auch in den neuesten Zeiten standen Männer unter ihnen auf, welche sich durch ihren Scharfsinn und durch ihren trefflichen moralischen Charakter die allgemeine Achtung in einem vorzüglich hohen Grade erwarben; und man darf hoffen, daß, je weiter die wohlthätigen Wirkungen der Aufklärung sich verbreiten und zu allen Ständen des menschlichen Geschlechts dringen werden, auch die jüdische Nation hinter der christlichen nicht länger zurückbleiben, sondern sich zu einem höhern Grade der Vollkommenheit und des Wohlstandes empor schwingen wird.
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*Die Juden. Wer hat nicht in der neusten, an unübersehbaren Ereignissen so überladenen Zeit, auch die Bemühungen der Regenten mit Theilnahme gelesen, um die Verbesserungen des moralischen und politischen Zustandes dieser so merkwürdigen Nation auf alle mögliche Art zu bewirken? Ob eine völlige Reformation des jüdischen Volks jetzt schon möglich sei, das ist wohl eine Frage, deren Beantwortung erst noch spätern – vielleicht ruhigeren Zeiten aufbewahrt bleiben möchte; indessen ist nicht zu läugnen, daß schon viel, sehr viel in dieser Hinsicht gethan und vorgearbeitet worden ist. Man hat mit starken Schritten, und das mit Recht, angefangen, diese Nation immer so viel möglich den übrigen Staatsbürgern anzunähern, und ihnen Vortheile und Rechte zugestanden, zu denen auch jeder andre ruhig und arbeitsam sich betragende Bürger gelangen kann. Zu Anfange des 19. Jahrhunderts hat man z. B. in den meisten deutschen Staaten den sogenannten Judenleibzoll abzuschaffen sich angelegen sein lassen, wozu schon der edle Kaiser Joseph II. in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in den östreichischen Staaten den Anfang machte. Und wer hat nicht mit der gespanntesten Erwartung den Anstalten entgegen gesehen, welche mittelst Decrets des französischen Kaisers Napoleon v. 30 Mai 1806 zuvörderst zu einer Judenver-
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sammlung zu Paris getroffen1, und zu welcher aus allen Departements des französischen Reichs Abgeordnete von der Judenschaft berufen wurden, um über die Mittel zu berathschlagen, wie unter den Juden die Ausübung nützlicher Künste und Handthierungen einzuführen sei, um durch rechtliche Erwerbe die wucherlichen und unrechtmäßigen Quellen zu verstopfen, welche seit vielen Jahrhunderten bis hieher vom Vater auf den Sohn sich fortgepflanzt hatten; überhaupt aber zu prüfen, ob in ihren Religionsdogmen nichts, was mit den Pflichten des Bürgers im Widerspruch sieht, und sie hindern kann, ihre Pflichten als Staatsbürger in ihrem ganzen Umfange zu erfüllen, enthalten sei. Die Abgeordneten kamen denn nun, 96 an der Zahl, zusammen, und eröffneten wirklich am 26. Juli – einem Sabbath – ihre Berathschlagungen, wobei ihnen hauptsächlich durch die dazu ernannten Commissarien zwölf Fragen, welche auf die obigen Absichten Beziehung hatten, vorgelegt wurden. Zwar fielen die Antworten der Erwartung der Regierung gemäß aus; allein man fand es doch für nöthig, eine wirklich allgemeine Versammlung der Juden, den sogenannten großen Sanhedrin (s. d. Art. i. d. Nachtr.) zu veranstalten, welcher die Aussprüche der Versammlung zu Glaubensdogmen und zu religiösen Gesetzen für die gesammte Judenschaft erheben möchte. Dies wurde denn auch der Versammlung
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unter dem 18. Sept. (1806) angekündigt, und es sollte nun dieses Collegium, außer dem Chef, noch aus 70 Mitgliedern bestehen, unter welchem ungefähr zwei Drittheil Rabbinen sein, das übrige Drittheil von der Versammlung selbst durch geheime Abstimmung gewählt und vor allen Dingen eine Comité von 9 Mitgliedern bestimmt werden sollte, welche mit den kaiserlichen Commissarien die zu berathschlagenden Materien im voraus bestimmen würden. Uebrigens solle die Errichtung dieses großen Sanhedrins allen Synagogen in Europa angezeigt, und diese zu Absendung von Deputirten nach Paris aufgefordert werden. – Wirklich war das wohl der einzig richtige und zuverlässige Weg, auf welchem zu einer endlichen und durchgreifenden Reform des Judenthums zu gelangen sein konnte: durch ihre eignen Repräsentanten sollte die jüdische Nation reformirt werden. Die Versammlungen gingen denn nun auch wirklich am 9. Februar 1807 an, und es wurden bis zum 9. März acht feierliche Sitzungen gehalten, in welchen jene Beschlüsse der Versammlung durchgegangen, geprüft, und nach reiflicher Erwägung und Vergleichung mit den Vorschriften der heil Schrift und den Aussprüchen des Talmuds zu religiösen Dogmen für alle Juden, insbesondre aber für die in Frankreich und Italien, erhoben wurden. Der Rabbiner David Sinsheimer aus Strasburg, welcher beim Sanhedrin den Chef machte,
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Abraham Furtado aus Bourdeaux, als Präsident der Versammlung, und mehrere andre Mitglieder zeichneten sich bei diesem Sanhedrin als Leute aus, welche ganz das in sie gesetzte Zutrauen rechtfertigten. Jetzt geschah von Seiten der französischen Regierung der letzte Schritt, um das angefangene Werk zu vollenden: durch ein Decret vom 17. März nemlich wurde nun verordnet, daß in jedem Departement, wo 2000 Juden wohnen, Eine Synagoge und Ein Consistorium, zu Paris aber Ein Central-Consistorium sein soll. Jene Departemental-Consistorien müssen darauf sehen, daß den Entscheidungen jenes großen Sanhedrins gemäß gelehrt, die Synagogen gehalten, der Gottesdienst durch Gebete und Predigten gefeiert, die Juden zum Betriebe nützlicher Künste und Handwerker ermuntert werden etc. Uebrigens ist auch zugleich der Neigung der Juden zum Wucher durch mehrere sehr zweckmäßige Vorschriften vorgebeugt. – Unterm 3. April 1807 wurde denn nun der Versammlung die Beendigung ihrer Arbeiten und die Entlassung der Deputirten angekündigt. Der Erfolg wird beweisen, in wie fern – wenigstens in Frankreich – dadurch der Grund gelegt sei, die Juden wirklich zu guten und nützlichen Staatsbürgern gleichsam einzuweihen.
Zum Schluß dieses Art. machen wir nur noch, zum Beweis, wie sehr auch deutsche Regenten auf alle Art für die Erhebung der jüdischen Nation zu einer hö-
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hern Stufe, als bisher, bedacht sind, auf die höchstwichtige Stättigkeits- und Schutz-Ordnung der Judenschaft zu Frankfurt, deren Verfassung, Verwaltung, Rechte und Verbindlichkeiten betreffend in 151 Paragraphen, welche der hochverdiente Fürst Primas unterm 30. Nov. 1807 hat ergehen lassen, aufmerksam, indem sie wohl einen bedeutenden Schritt zur Verbesserung der Juden begründen möchte, obgleich sie bei Vielen von dieser Nation und ihren Freunden eben nicht ganz Eingang finden will. – Auch die Vorschritte, welche die Regierung des Königreichs Westphalen in dieser Hinsicht gethan hat, dürften sehr viel zur Umbildung jener Nation beitragen.
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1 Die Veranlassung zu dieser Zusammenberufung wird folgendermaßen angegeben: Als nemlich der Kaiser Napoleon nach der Schlacht bei Austerlitz durch Strasburg ging, wurden ihm unter andern auch von den Behörden die grenzenlosen Wuchereien der Elsasser Juden bekannt gemacht. Aus dem vorgelegten Hypotheken-Buche ergab sich, daß die eingetragenen Summen, welche die Juden an Elsasser Bauern geliehen hatten, 6 bis 7 mal den Werth der hypothecirten Grundstücke überstiegen. Durch diese Miß-
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bräuche fand sich der französische Kaiser sogleich bewogen, jene Judensynode in Paris zu organisiren.