Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Haydn, Joseph
Joseph Haydn, fürstl. Esterhazyscher Kapellmeister, geb. zu Rohrau in Unteröstreich den 31. März 1733. Dieser große Reformator der Instrumental-Musik war der Sohn eines Wagners, welcher die Harfe ohne alle Kenntniß der Noten spielte, und dem der Sohn die einfachen Stücke mit besonderer Leichtigkeit nachsang. Sein Vater wollte die herrliche Anlage des Sohnes zur Musik nicht unterdrücken, und schickte ihn nach Hamburg, wo unser Haydn schon im sechsten Jahre auf dem Chore die Messe sang und Clavier und Violine spielte. Zufällig hörte ihn der Hof-Kapellmeister von Reutter, nahm den siebenjährigen Knaben mit nach Wien, und ließ ihm hier den besten Unterricht geben. Im achtzehnten Jahre verlor sich Haydns Stimme, und er mußte nun durch Unterricht in der Musik seinen Unterhalt verdienen, so daß er auch, um selbst darin Fortschritte zu machen, die Nächte zu Hülfe nahm. Durch das Studium der Werke des Porpora, die ihm durch ein Ungefähr in die Hände fielen, wurde er mit der Setzkunst vertrauter, bis er endlich Musikdirector beim Grafen von Morzin, und 1761 beim Fürsten von Esterhazy Kapellmeister ward. Nach Verfluß von etlichen und zwanzig Jahren ist bei den Einschränkungen dieses Fürsten auch Haydns Aufenthalt mehrentheils in Wien gewesen, indem er alle Anträge in den Jahren 1785 und 86 nach London————
zu kommen ablehnte; allein von 1792 bis 95 hat er denn doch gemeiniglich zur Carnevalszeit eine Reise nach London gemacht, und hier unter dem größten Beifall im Salomons-Concert seine Sinfonien selbst dirigirt, bis er im Sommer 1795 von London aus über Berlin, Leipzig, Dresden etc. eine leider überall sehr kurze Reise unternahm, um wieder aufs neue für den jungen Fürsten von Esterhazy eine Kapelle zu engagiren. – So einfach auch die Lebensumstände dieses außerordentlichen Genies sind, so merkwürdig ist und bleibt er doch für die Tonkunst, besonders in Hinsicht auf Instrumental-Musik, für welche man seit Haydn keck eine neue Epoche annehmen kann. Unerschöpflich im Erfinden und Ausführen, stets neu und originell, überraschend und befriedigend für den Kenner und Liebhaber, geht er mit dem Geschmacke seines Zeitalters fort, oder bildet vielmehr diesen nach sich selbst, und bleibt immer Muster für jeden neuern Compositeur. Seine Sinfonien – deren er beinahe zwei hundert geschrieben hat – tragen, die ältesten sowohl als die neuesten, durchgängig das Gepräge der Originalität. Seine Quartetten, mit welchen er ungefähr 1760 zuerst auftrat, machten außerordentliches Aufsehen; ganz gegen den gewöhnlichen Schlag vertheilte er oft durch alle Stimmen die Hauptpartie, so daß jede als concertirend angesehen werden konnte. Naivität und Anmuth herrscht in seinen ältern so wie in den
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neuesten seiner Arbeiten; kurz, Haydn – hierin stimmen gewiß alle Kenner und Liebhaber, die nur einigen Geschmack haben, überein – Haydn bleibt eins der unerreichbarsten musikalischen Genies, die jemahls existirt haben. – Auch die Vocalmusik ist von ihm sowohl für die Kirche als fürs Theater bereichert worden; besonders hat ihm jene die treffliche Composition des Stabat mater (wozu der berühmte Hiller eine Deutsche Uebersetzung untergelegt hat) und mehrere außerordentlich schöne Missen zu verdanken.
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* Joseph Haydn: dieser allgemein verehrte würdige Greis verlebt jetzt in stiller Abgeschiedenheit den Abend seiner Tage in einer der Vorstädte Wiens, nachdem er schon seit einiger Zeit ganz von seiner Muse Abschied genommen hat. Wer kennt nicht die neuern genialischen Werke dieses großen Tonkünstlers, dessen Verdiensten in Paris wie in London so glorreich geopfert worden ist? Die Schöpfung, die Vier Jahreszeiten, die für Vocal-Musik ganz meisterhaft durchgeführten Sieben letzten Worte des Erlösers (welche er vorher blos für Instrumental-Musik gesetzt hatte) – bedarf es wohl mehr als einer bloßen Erwähnung, um seine gewiß zahllosen Freunde zur innigsten Verehrung dieses würdigen Greises hinzureißen? Eine der ausgezeichnetsten Ehrenbezeigungen, die ihm zu Wien widerfuhr, dürfen wir nicht übergehen. Die Dilettanten-Gesellschaft im Universitäts-Gebäude konnte den Schluß ihrer Winterconcerts im März 1808 nicht würdiger feiern, als durch Aufführung des Hayduschen Meisterwerks: die Schöpfung. Dies geschah unter Salieriʼs Direction, und sie hatten das seltene Vergnügen, den würdigen Schöpfer dieser Schöpfung, Vater Haydn, dabei gegenwärtig zu sehn. Die Rührung des Greises bei seinem Empfange, wobei besonders seine Freunde und Schüler, ein Fürst Lobkowitz, eine Fürstin Esterhazy, die
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Fräuleins Spielmann und Kurzbeck, ein Beethoven, Collin u. m. stets um ihn herum waren, machte den außerordentlichsten Eindruck. Bei der Aufführung selbst war er in öfterer Bewegung; aber bei dem erschütternden Eintritt der Stelle: »Es ward Licht« stürzten ihm die Thränen über die Wangen: er hob die Arme gen Himmel mit den Worten: Nicht von mir, von dort kommt Alles! – Nur bis zum Schluß der ersten Abtheilung hielt er aus, und unter den enthusiastischsten Beifalls-Aeußerungen der Anwesenden wurde er hinweggetragen. Es geschah dies gerade vier Tage vor seinem 76sten Geburtstage.
zu kommen ablehnte; allein von 1792 bis 95 hat er denn doch gemeiniglich zur Carnevalszeit eine Reise nach London gemacht, und hier unter dem größten Beifall im Salomons-Concert seine Sinfonien selbst dirigirt, bis er im Sommer 1795 von London aus über Berlin, Leipzig, Dresden etc. eine leider überall sehr kurze Reise unternahm, um wieder aufs neue für den jungen Fürsten von Esterhazy eine Kapelle zu engagiren. – So einfach auch die Lebensumstände dieses außerordentlichen Genies sind, so merkwürdig ist und bleibt er doch für die Tonkunst, besonders in Hinsicht auf Instrumental-Musik, für welche man seit Haydn keck eine neue Epoche annehmen kann. Unerschöpflich im Erfinden und Ausführen, stets neu und originell, überraschend und befriedigend für den Kenner und Liebhaber, geht er mit dem Geschmacke seines Zeitalters fort, oder bildet vielmehr diesen nach sich selbst, und bleibt immer Muster für jeden neuern Compositeur. Seine Sinfonien – deren er beinahe zwei hundert geschrieben hat – tragen, die ältesten sowohl als die neuesten, durchgängig das Gepräge der Originalität. Seine Quartetten, mit welchen er ungefähr 1760 zuerst auftrat, machten außerordentliches Aufsehen; ganz gegen den gewöhnlichen Schlag vertheilte er oft durch alle Stimmen die Hauptpartie, so daß jede als concertirend angesehen werden konnte. Naivität und Anmuth herrscht in seinen ältern so wie in den
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neuesten seiner Arbeiten; kurz, Haydn – hierin stimmen gewiß alle Kenner und Liebhaber, die nur einigen Geschmack haben, überein – Haydn bleibt eins der unerreichbarsten musikalischen Genies, die jemahls existirt haben. – Auch die Vocalmusik ist von ihm sowohl für die Kirche als fürs Theater bereichert worden; besonders hat ihm jene die treffliche Composition des Stabat mater (wozu der berühmte Hiller eine Deutsche Uebersetzung untergelegt hat) und mehrere außerordentlich schöne Missen zu verdanken.
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* Joseph Haydn: dieser allgemein verehrte würdige Greis verlebt jetzt in stiller Abgeschiedenheit den Abend seiner Tage in einer der Vorstädte Wiens, nachdem er schon seit einiger Zeit ganz von seiner Muse Abschied genommen hat. Wer kennt nicht die neuern genialischen Werke dieses großen Tonkünstlers, dessen Verdiensten in Paris wie in London so glorreich geopfert worden ist? Die Schöpfung, die Vier Jahreszeiten, die für Vocal-Musik ganz meisterhaft durchgeführten Sieben letzten Worte des Erlösers (welche er vorher blos für Instrumental-Musik gesetzt hatte) – bedarf es wohl mehr als einer bloßen Erwähnung, um seine gewiß zahllosen Freunde zur innigsten Verehrung dieses würdigen Greises hinzureißen? Eine der ausgezeichnetsten Ehrenbezeigungen, die ihm zu Wien widerfuhr, dürfen wir nicht übergehen. Die Dilettanten-Gesellschaft im Universitäts-Gebäude konnte den Schluß ihrer Winterconcerts im März 1808 nicht würdiger feiern, als durch Aufführung des Hayduschen Meisterwerks: die Schöpfung. Dies geschah unter Salieriʼs Direction, und sie hatten das seltene Vergnügen, den würdigen Schöpfer dieser Schöpfung, Vater Haydn, dabei gegenwärtig zu sehn. Die Rührung des Greises bei seinem Empfange, wobei besonders seine Freunde und Schüler, ein Fürst Lobkowitz, eine Fürstin Esterhazy, die
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Fräuleins Spielmann und Kurzbeck, ein Beethoven, Collin u. m. stets um ihn herum waren, machte den außerordentlichsten Eindruck. Bei der Aufführung selbst war er in öfterer Bewegung; aber bei dem erschütternden Eintritt der Stelle: »Es ward Licht« stürzten ihm die Thränen über die Wangen: er hob die Arme gen Himmel mit den Worten: Nicht von mir, von dort kommt Alles! – Nur bis zum Schluß der ersten Abtheilung hielt er aus, und unter den enthusiastischsten Beifalls-Aeußerungen der Anwesenden wurde er hinweggetragen. Es geschah dies gerade vier Tage vor seinem 76sten Geburtstage.