Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Harlekin
Harlekin, dieser in der Theatergeschichte so berühmt, und durch seine mancherlei Schicksale, bald der Verbannung, bald der Wiedereinführung, merkwürdig gewordene Charakter verdient vielleicht jetzt um so mehr einige Erwähnung, da er neuerlich auf mehreren ansehnlichen Bühnen wieder, wenigstens in Pantomimen, Zutritt erlangt hat. Man leitet dieses groteske Geschöpf ganz richtig von den alten mimischen Spielen der Römer her, bei denen die Histrionen das Lächerliche oft sehr übertrieben, und zur Belustigung ihres damaligen Publikums ein Kleid aus vielerlei Flecken von allerhand Farben zusammengenäht trugen (daher auch der Name eines solchen Centunculas oder Hundertfleck, überdies auch noch ein sogenanntes (hölzernes) Comödiantenschwerdt führten, womit sie sich auf eine lächerliche Art vertheidigten, oder andere verfolgten. Es bedarf wohl keines großen Beweises, daß dieser das Vorbild des nachher in die italianische Comödie übergegangenen, mit einer Jacke von bunten, dreieckig geschnittenen Tuchfleckchen, mit kleinem Hute auf dem geschornen Kopfe, einer schwarzen Larve ohne Augen, blos mit zwei kleinen Löchern zum Durchgucken, versehenen Arlechino (Harlekin) sei. Ueber diesen Namen selbst hat man sehr viele Meinungen, ohne jedoch eine davon mit Gewißheit behaupten oder be-————
weisen zu können. Der Charakter desselben aber ist (nach Sulzer) ein dem Anschein nach einfältiger, sehr naiver Kerl, oder Possenreißer, im Grunde aber ein listiger, witziger und scharfsichtiger Bube, der die Schwachheiten und Thorheiten anderer richtig bemerkt und sie auf eine geistreiche Art blosstellt. Ueber seine Zulassung oder gänzliche Verbannung vom Theater hat man außerordentlich viel gestritten, und es ist bekannt, mit welcher Heftigkeit dieser auch auf die deutsche Bühne herübergenommene Harlekin namentlich von Gottsched verfolgt, und zuletzt im Jahr 1737 durch ein feierliches Auto da Fe, welches zu Leipzig in der Bude vorm grimmaischen Thore (bei Bosens Garten) die Neuberin über ihn hielt – eine Handlung, die Lessing selbst für eine Harlekinade erklärte – förmlich verbannt wurde. Indessen ist es gewiß, daß man demungeachtet, und selbst die nurgedachte Neuberin, dem Harlekin blos das bunte Jäckchen ausgezogen, und den Namen abgeschafft, aber den Charakter, oder den Narren selbst, mit seinen Eigenthümlichkeiten beibehalten, und ihn bald unter dem Namen Hänschen, bald Peter etc., bald in der Person eines Bedienten, bald eines Vertrauten aufgeführt hat. Der Hauptzweck muß allemal der bleiben: das Lächerliche unter einem gewissen Schein des Ernstes an den Tag zu bringen, dem Schalk die Maske abzunehmen und ihn dem Spotte Preis zu geben. Aber
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freilich erfordert die Behandlung einen Meister in der Kunst, welche schwer zu erreichen ist.
  Bei den Italiänern, welche, wie oben bemerkt worden, zuerst wieder in ihren so beliebten Comödien aus dem Stegreif jenen komischen Charakter aufbrachten, hat man mehrere Virtuosen in dieser Art, eben so wie in Frankreich bei der italiänischen Comödie, gehabt, deren Haupterforderniß jederzeit die Rede aus dem Stegreif war; und es hat Familien gegeben, in welchen die Gebehrdenspiele und Possen gleichsam als Erbstück vom Vater auf den Sohn, Enkel, Urenkel sich fortgepflanzt haben. Ein Cecchini, Dominico, zuletzt aber Bertinazzi1 waren die Bewunderung ihrer Zeit.
  Wahrscheinlich wird hier auch manchem unserer Leser der sogenannte deutsche Hauswurst einfallen, welches der älteste komische Charakter der deutschen Bühne ist, und mit jenem Harlekin Aehnlichkeit hat, vielleicht wohl auch öfters mit diesem verwechselt wird. Indessen, ob zwar gleich er in manchem, z. B. in der bunten Jacke, in der Hanswurstpritsche – dem histrischen Schwerdte der alten Comödianten – mit ihm übereinkömmt, so erscheint doch der Hanswurst, wie schon der Name, weit plumper und tölpelhafter, indem selbst auch sein Körper gewöhnlich als sehr wohlgemästet, und er als starker Fresser sich auszeichnet, dagegen der Harlekin schlank, leicht, flink und geschmeidig sein muß. Uebrigens weiß man über
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den Ursprung der Benennung: Hanswurst, eben so wenig Bestimmtes anzugeben, als über Harlekin; indessen bleibt es doch merkwürdig, daß die komischen Charaktere fast überall den Beinamen von einer Lieblingsspeise des Volks erhalten haben, als: in Holland Pickelhäring, in Frankreich Potage, in Italien Maccaroni, in England Pudding, und so in Deutschland Hanswurst.
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Fußnoten
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1 Dieser Bertinazzi (gewöhnlich Carlino genannt) aus Turin gebürtig, belustigte Paris auf 42 Jahre als Harlekin, und noch 4 Wochen vor seinem Tode tanzte er im 77 Jahre eine Menuet auf der Bühne Alles um sich her heiterte er auf, allein er selbst war im höchsten Grade hypochondrisch. Einst kam er zu einem Arzte, der ihn nicht kannte, um Hülfe für sich zu suchen »Ich weiß Ihnen keine bessere Cur vorzuschlagen, antwortete dieser, als daß Sie den Carlino recht oft besuchen; das ist das beste Mittel wider die Hypochondrie.« Ach Gottʼ seufzte der Patient ich bin ja Carlino; ich mache andere lustig und bin selbst im höchsten Grade melancholisch!
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Ansicht: Harlekin