Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Hannover
Das Churfürstenthum Hannover. Die Besitzungen, die Größe und die Bevölkerung dieses wichtigen Deutschen Landes sind bereits in dem Artikel Braunschweig angeführt worden, wozu wir noch folgendes hinzusetzen. Es war im Jahr 1692, daß die jetzt regierende Linie in der Person Herzog Ernst Augusts, wiewohl unter schweren, für das Haus Oestreich sehr vortheilhaften, Bedingungen und unter großen Widersprüchen verschiedener Reichsfürsten, durch den Kaiser Leopold die Churwürde erhielt. Ernst Augusts ältester Sohn, Georg Ludwig, welcher seinem Vater in der Churwürde folgte, ward 1714 unter dem Namen Georg I. König von England, nachdem schon vorher durch Parlamentsacten das Recht des Hauses Hannover an der Krone England festgesetzt worden war. Hannover hat durch diese Verbindung mit England nicht nur in Rücksicht auf sein Ansehen, sondern auch auf ansehnliche Erwerbungen und wichtige Verbesserungen sehr gewonnen, und sich gegen die Nachtheile, die ihm aus derselben erwachsen könnten, größten Theils vortrefflich zu sichern gewußt, so wie es auch jetzt an dem Englischen Kriege mit Frankreich keinen Theil mehr nimmt. Die sämmtlichen Einkünfte der churfürstlichen Lande werden jährlich auf drei Millionen Thaler gerechnet. Die vorzüglichsten Hannöverschen Producte sind die minera-————
lischen, welche auf dem Harz gewonnen werden (s. der Harz), und deren Ertrag jetzt im Durchschnitt jährlich auf 1,200,000 Rthlr. gerechnet wird, wovon aber über die Hälfte für die Unkosten abgezogen werden muß. In Rücksicht auf die edlern Metalle, so wird jetzt nicht viel Gold gewonnen; desto reicher aber ist der Ertrag an Silber. Die Landwirthschaft ist in vielen Gegenden, wo es der Boden zuläßt, in gutem Zustande, wird auch von der Regierung sehr befördert; allein es giebt auch große Strecken Landes, vorzüglich im Lüneburgschen, welche keiner Cultur fähig sind. Die fruchtbarsten Gegenden sind die Marschländer an der Elbe und Weser, nächst diesen Grubenhagen in den ebenen Theilen, Calenberg in den meisten Districten, und ein Theil der Grafschaft Hoya und Diepholz. In einzelnen Gegenden sind die Viehzucht, der Flachsbau und die Bienenzucht sehr beträchtlich. Auch sucht man die Industrie in Manufacturen und Fabriken zu beleben, wiewohl man dieselbe zur Zeit noch keinesweges beträchtlich nennen kann. Vortrefflich sind die Landstraßen in dem Churfürstenthum Hannover, deren Verbesserung sich die Regierung seit ungefähr 25 Jahren durch Anlegung der herrlichsten Chausseen angelegen sein läßt; und eine eben so gute Einrichtung hat das Hannöversche Postwesen. Mit etwas mehr Thätigkeit von Seiten der Einwohner kann Hannover noch große Fortschritte machen, und die
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Bilanz, die es jetzt bei der starken Einfuhr fremder Waren wider sich hat, ins Gleichgewicht bringen.
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Hannover, im Fürstenthum Calenberg, an der Leine, die Haupt und Residenzstadt des Churfürstenthums gleiches Namens; sie wird in die Alt- und Neustadt eingetheilt, wovon die letztere viel neue schöne Anlagen hat, und zählt über 20,000 Einwohner. Seit 1780 werden die sämmtlichen Außenwerke geschleift, die Gräben ausgefüllt, und die Stadt überhaupt sehr verschönert; auch ist dem großen Leibnitz hier ein Denkmahl errichtet worden. In Rücksicht auf den Handel ist Hannover wegen der Schifffahrt von hier nach Bremen und der starken Spedition von und nach Hamburg merkwürdig. Die hiesige königliche Bibliothek ist sehr beträchtlich; auch ist in Hannover ein vortreffliches Schulmeister-Seminarium. Nahe bei Hannover liegt das schöne königliche Lustschloß Herrenhausen, mit einer großen Wasserkunst.
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* Hannover – Das Schicksal dieses Churfürstenthums, welches in der letztern so merkwürdigen Periode, bei dem Kriege zwischen England und Frankreich, ein Opfer seiner Verbindung mit Ersterem ward, ist bekannt, Als Eigenthum des Königs von England wurde es von Frankreich bekriegt, und im Jahr 1803 am 28. Mai rückte der französische General Mortier in das Hannöverische ein; die Regierung legte ihren Sitz von Hannover nach Lauenburg, und am 3. Juni wurde zwischen dem Ministerium und der französischen Generalität eine Convention zu Suhlingen abgeschlossen: daß die französische Armee von allen hannöverischen Landen bis an die Elbe Besitz nehmen, alle Festungen auf dem linken Ufer der Elbe, als Hameln, Nienburg etc. nebst allen Forts, Batterien etc. ihnen überliefert werden, dagegen die Hannoveraner mit Waffen und Regimentsstücken aufs rechte Elbufer nach dem Lauenburgischen ziehen sollten u. s. w. Die Franzosen verbreiteten sich nun, nach der am 5. Juni erfolgten Occupation, immer weiter; alle großbritannischen Wappen, Inschriften, und was sonst darauf Bezug hatte, wurden abgenommen, ausgelöscht und weggeschafft, und so nach und nach die ganze Landesverwaltung von dem Feinde Englands an sich gezogen: England hingegen, von welchem Hannover unter diesen Umständen einzig seine Ver-
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theidigung und seine Beschützung erwarten durfte, ließ dieses ganz ohne Beistand und Unterstützung. Zwar landeten in der Folge englische Truppen in Hannover, suchten die hannöverische Armee wiederherzustellen, und schickten sich an, in Verbindung mit den Russen, Hameln zu belagern; allein es kam zu keiner eigentlichen Belagerung, und nichts ernstliches wurde unternommen. So ward dies bedauernswürdige Land der Sammelplatz der Truppen so vieler Mächte Europens, obgleich durch Preußens Vermittelung nachher ein Theil der französischen Truppen herausgezogen wurde, welches um so mehr Statt fand, da, bei dem erneuerten Kriege Oestreichs und Rußlands gegen Frankreich, dies letztere seine Truppen zusammenziehen mußte. Indessen waren andere Truppen in immerwährender Bewegung, wodurch dies Land fast noch mehr belastet wurde. Die Schlacht bei Austerlitz brachte eine Veränderung der Lage der Dinge herbei, und der französische Kaiser suchte nun sich wieder Hannovers zu bemächtigen. Jetzt richtete Preußen sein Hauptaugenmerk hieher, und dieses ließ endlich zu Anfange des Jahrs 1806, in Gemäßheit einer mit dem französischen Kaiser getroffenen Uebereinkunft und laut eines unterm 27. Jan. erlassenen Patents, die hannöverischen Lande besetzen, indem es zugleich dem General Grafen von der Schulenburg-Kehnert die Administration derselben bis zum allgemeinen
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Frieden übertrug, obgleich der großbritannische Staatsminister, Graf von Münster, gegen diese preußische Occupation feierlichst protestirte. Allein bald erfolgte unterm 1. April eine Convention, durch welche Preußen, gegen Abtretung dreier Provinzen (Anspach, Cleve und Neufchatel) an Frankreich, nun die hannöverischen Churlande förmlich in Besitz nahm (obgleich auch hierwider von dem englischen Gesandten zu Regensburg feierlichst protestirt wurde), und durch einen unterm 8. Apr. ergangenen Erlaß die völlige und definitive Auflösung der hannöverischen Regierung bekannt machte. Indessen schien dies beklagenswürdige Land einem unaufhörlichen Wechsel bestimmt zu sein. Noch in demselben Jahre (1806) wurde, wie bekannt, das gute Vernehmen zwischen Frankreich und Preußen aufs fürchterlichste zerstört, und in dem unglücklichen Kriege, welcher nun ausbrach, mußte, bald nach der merkwürdigen Schlacht bei Jena, am 21. Oct. die preußische Organisationscommission Hannover verlassen, worauf das vormalige hannöverische Ministerium wieder die Landesverwaltung, jedoch nur interimistisch und nicht im Namen des Königs von Großbritannien, übernahm, und die preußischen Wappen in der folgenden Nacht abgenommen wurden. Zu Ende des Octobers kam der französische Marschall Mortier mit seinem Corps nach Hannover, und nahm durch die Proclamation
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vom 12. Nov. im Namen des Kaisers Napoleon das Land in Besitz, welches nicht als Feindes, sondern als Freundes und – eignes Land behandelt, und bald auch in demselben an die Stelle der preußischen Adler die kaiserlich französischen angeschlagen wurden. So stehen denn nun auch bis jetzt noch diese hannöverischen Länder unter französischer Oberaufsicht, und werden, ohne daß über ihr Loos etwas näheres bestimmt ist, durch eine Administrativcommission verwaltet, welche an die Stelle des aufgehobenen Landesdeputationscollegium und der gleichfalls aufgehobenen landschaftlichen Collegien in den Provinzen getreten ist. (Vergl. übrigens den Art. Deutschland in den Nachtr. S. 284 n. 6.)
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