Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Germain, Der Graf Saint
Der Graf Saint Germain ist seines Herkommens nach unbekannt, aber als Abenteurer und Schwarzkünstler sehr berüchtigt. Er nannte sich zuweilen Aymar oder auch Marquis de Betmar, und war wahrscheinlich ein geborner Portugiese. Cagliostro machte auf seiner ersten Reise nach Deutschland in Hollstein Bekanntschaft mit ihm, und benutzte seinen Unterricht zu neuen Betrügereien. Saint Germain besaß wirklich chemische und andere Kenntnisse; aber seine unwiderstehliche Neigung, als Magier zu glänzen, erlaubte ihm nicht, die gewöhnlichen Wege zum Ruhme zu suchen. Er war beständig auf Reisen, und verschaffte sich durch Dreistigkeit und Großsprechereien und durch die Gabe, Jedem die schwache Seite abzugewinnen, sogar Zutritt an Höfen. Seinem Vorgeben nach war er 350 Jahr alt, und hatte noch einen Denkspruch des berühmten Montagne in seinem Stammbuche aufzuweisen. Ein köstliches Lebenswasser erhielt ihn immer bei guten Kräften, und war so stark in seinen Wirkungen, daß er eine alte Frau damit verjüngen konnte. Das verzweifeltste Problem aller Adepten, die Verfertigung von Edelsteinen, war ihm auf seiner zweiten Reise nach Indien, die er im Jahre 1755 gemacht haben wollte, geglückt; und er zerschlug im Jahre 1773 bei dem Französischen Gesandten im Haag einen unschätzbaren Diamant von seiner Arbeit,————
nachdem er vorher einen ähnlichen für 5500 Louisdʼor verkauft hatte. Auch die Geheimnisse der Zukunft enthüllten sich vor seinen Augen; und er verkündigte den Tod Ludwigs XV. den Franzosen voraus. Er war sogar so mächtig, daß er auf das Thierreich wirkte, und den Schlangen Gefühl für Musik beibrachte. Unter die wirklichen Fertigkeiten, die er besaß, gehörte unstreitig die seltne Gabe, daß er mit beiden Händen zugleich auf zwei verschiedene Bogen etwas, das man ihm dictirte, aufschreiben konnte, ohne daß es möglich gewesen wäre, die Handschriften zu unterscheiden. Die Violine spielte er so meisterhaft, daß man allemahl mehrere Instrumente zu hören glaubte. Ueberhaupt fehlte es ihm weder an Talenten noch Gelehrsamkeit; und er würde berühmt geworden sein, wenn es ihm nicht lieber gewesen wäre, berüchtigt zu werden.
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