Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Calas, Jean
Jean Calas. Dieser unglückliche Mann, bei dessen Namen die so genannte Gerechtigkeit erröthen muß, war Kaufmann in Toulouse, Protestant, und seine Richter waren Katholiken. Er wurde angeklagt, den 13. Octob. 1761, seinen Sohn, Marc Antoine, aus Haß gegen die katholische Religion, die derselbe ergreifen wollte, erwürgt zu haben. Wahrscheinlich hatte sich aber der junge Mensch, welcher von einem schwermüthigen, unruhigen Temperament war, selbst ums Leben gebracht. Sein Bruder Pierre, welcher seinen Freund Lavaisse die Treppe hinunter begleitete, erblickte den Unglücklichen zuerst, worauf Vater, Mutter und eine katholische Magd hinzu kamen. Trotz des Vorurtheils, das er als Vater für sich hatte, trotz der physischen Unmöglichkeit, daß ein acht und sechzigjähriger Mann einen jungen Mann von neun und zwanzig Jahren allein erdrosseln könne, war die Stimme des Volks wider ihn; er wurde ohne Beweis von Augenzeugen nach bloßen Wahrscheinlichkeiten schuldig befunden, der Tortur unterworfen, und den 9. März 1762 lebendig gerädert. »Ich sterbe unschuldig« waren seine letzten Worte. Seine Wittwe, die in einem finstern Kerker schmachtete, sah das Tageslicht wieder, um das Urtheil der Verbannung zu hören. Sein Sohn wurde gleichfalls verbannt, aber, um ihn zur Abschwörung seiner Religion zu bewegen, in ein Do-————
minicanerkloster eingesperrt. Er entwischte und kam mit seiner Mutter nach Genf, wo sie Voltairen vorgestellt wurden, welcher die Sache untersuchte, und dieselbe, indem er sehr bald den Antheil des Fanatismus daran entdeckte, vor den Richterstuhl des Publicums brachte, und fast zur Sache aller Völker machte. Die Wittwe und die Kinder des Unglücklichen warfen sich hierauf zu den Füßen des Thrones, und flehten um eine Revision (neue Durchsicht) des Prozesses. Funfzig hierzu erwählte Richter erklärten Calas und seine Familie unschuldig, und der König war bemüht, diese Familie wegen ihres unersetzlichen Verlusts durch seine Freigebigkeit zu entschädigen zu suchen Mehrere Personen vom höchsten Range wetteiferten, die Umstände derselben zu erleichtern. Unläugbar hat dieser Vorfall durch die Aufmerksamkeit, welche Voltaire vermittelst desselben auf die Criminal-Gesetzgebung zu lenken wußte, großen Einfluß auf die Verbesserung dieses wichtigen Zweiges der Rechtsgelehrsamkeit gehabt. – Als Stoff für die Kunst haben dela Fosse, Chodowiecki und Weiße diese Geschichte benutzt; erstere in ihren Blättern Calas Abschied, letzterer in einem Trauerspiele, welchem eine kurze Geschichte voraus geschickt ist.
Jean Calas. Dieser unglückliche Mann, bei dessen Namen die so genannte Gerechtigkeit erröthen muß, war Kaufmann in Toulouse, Protestant, und seine Richter waren Katholiken. Er wurde angeklagt, den 13. Octob. 1761, seinen Sohn, Marc Antoine, aus Haß gegen die katholische Religion, die derselbe ergreifen wollte, erwürgt zu haben. Wahrscheinlich hatte sich aber der junge Mensch, welcher von einem schwermüthigen, unruhigen Temperament war, selbst ums Leben gebracht. Sein Bruder Pierre, welcher seinen Freund Lavaisse die Treppe hinunter begleitete, erblickte den Unglücklichen zuerst, worauf Vater, Mutter und eine katholische Magd hinzu kamen. Trotz des Vorurtheils, das er als Vater für sich hatte, trotz der physischen Unmöglichkeit, daß ein acht und sechzigjähriger Mann einen jungen Mann von neun und zwanzig Jahren allein erdrosseln könne, war die Stimme des Volks wider ihn; er wurde ohne Beweis von Augenzeugen nach bloßen Wahrscheinlichkeiten schuldig befunden, der Tortur unterworfen, und den 9. März 1762 lebendig gerädert. »Ich sterbe unschuldig« waren seine letzten Worte. Seine Wittwe, die in einem finstern Kerker schmachtete, sah das Tageslicht wieder, um das Urtheil der Verbannung zu hören. Sein Sohn wurde gleichfalls verbannt, aber, um ihn zur Abschwörung seiner Religion zu bewegen, in ein Do-————
minicanerkloster eingesperrt. Er entwischte und kam mit seiner Mutter nach Genf, wo sie Voltairen vorgestellt wurden, welcher die Sache untersuchte, und dieselbe, indem er sehr bald den Antheil des Fanatismus daran entdeckte, vor den Richterstuhl des Publicums brachte, und fast zur Sache aller Völker machte. Die Wittwe und die Kinder des Unglücklichen warfen sich hierauf zu den Füßen des Thrones, und flehten um eine Revision (neue Durchsicht) des Prozesses. Funfzig hierzu erwählte Richter erklärten Calas und seine Familie unschuldig, und der König war bemüht, diese Familie wegen ihres unersetzlichen Verlusts durch seine Freigebigkeit zu entschädigen zu suchen Mehrere Personen vom höchsten Range wetteiferten, die Umstände derselben zu erleichtern. Unläugbar hat dieser Vorfall durch die Aufmerksamkeit, welche Voltaire vermittelst desselben auf die Criminal-Gesetzgebung zu lenken wußte, großen Einfluß auf die Verbesserung dieses wichtigen Zweiges der Rechtsgelehrsamkeit gehabt. – Als Stoff für die Kunst haben dela Fosse, Chodowiecki und Weiße diese Geschichte benutzt; erstere in ihren Blättern Calas Abschied, letzterer in einem Trauerspiele, welchem eine kurze Geschichte voraus geschickt ist.