Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Brühl, Graf Heinrich von
Graf Heinrich von Brühl, königl. polnischer und churfürstl. sächsischer erster und dirigirender Cabinetsminister: dieser in den Jahrbüchern des Churhauses Sachsen – wenn gleich nur im schlimmen Sinne des Worts – unvergeßliche Mann – der beinahe alle Hof- und Staatsämter zugleich bekleidete, und Sachsens Wohlstand durch eine beispiellose Verschwendung zertrümmerte, war unstreitig einer der größten und als Hofmann vielleicht einziger Günstling des Glücks. Geboren am 13 August 1700, hatte er von seinem Vater, Sachsen-weißenfelsischem geheimen Rath und Oberhofmarschall, weder Vermögen noch auch große Erziehung zu erwarten; und eben so wenig war er selbst darauf bedacht, sich durch Wissenschaften zum wirklichen und verdienten Staatsmann zu bilden. Wohlgebildet, aufgeweckt, gefällig und einnehmend in seinem Betragen, und durch den Schein der Aufrichtigkeit erwarb er sich bald das Wohlwollen der Herzogin von Weißenfels, Friederike Elisabeth, die in Leipzig lebte, wurde unter ihre Pagen aufgenommen und erhielt nun Gelegenheit, sich in Sprachen, Fechten, Reiten und Tanzen viele Kenntniß zu erwerben, besonders aber an dem Hofe König Augusts II., der aufgeweckte Leute liebte, bekannt und angestellt zu werden. Schnell vom königlichen Pagen zum Leibpagen, Kammerjunker, Kammerherrn em-————
porgestiegen, war er dem König schon so nothwendig geworden, daß er stets um ihn sein, auch auf allen Reisen ihn begleiten mußte. Im J. 1731 Steuereinnehmer, gleich darauf Generalacciseinnehmer, geheimer Rath, Vicesteuerdirector und Ritter des weißen Adlerordens, schien des Königs Tod (1733) sein ferneres Emporsteigen ganz zu hindern, da der neue Regent, Friedrich August II. (als König von Polen, August III.) ihm sogar abgeneigt war. Allein Brühl wußte sich ihm bald noch unentbehrlicher zu machen, als dessen Vorgänger. Er hatte bei dem unerwarteten Tode des letztern in Warschau die polnische Königskrone und Reichskleinodien in Empfang genommen, eilte mit diesen zu dem neuen Regenten in Dresden, übergab sie ihm und versicherte ihn der gewissen Erhebung auf den polnischen Thron. Dem Lieblinge desselben, dem Grafen Sulkowsky, gab er die größten Freundschaftsversicherungen, trat ihm die Oberkammerherrnstelle ab, und bewirkte dadurch, daß er selbst nicht nur seine übrigen, vorher bekleideten Würden behielt, sondern auch Kammerpräsident und bald nachher, mit Sulkowsky zugleich, zum Cabinetsminister erhoben wurde. Allein außerdem, daß er die Direction aller einheimischen Sachen bekam, gründete er sein Glück noch fester durch seine Vermählung mit der Gräfin von Kolowrat, der ersten Favoritin der neuen Regentin. Seinen Ehrenstellen im Vaterlande
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folgten bald auch vorzügliche Gunstbezeigungen anderer Fürsten, und Kaiser Carl VI. erhob ihn, nebst seinen Brüdern und Nachkommen, 1737 in den Reichsgrafenstand. Jetzt standen ihm, der im ganzen Lande allein regieren wollte, nur noch zwei Personen im Wege, Sulkowsky und die Königin selbst. Für jenen wußte er bald die Entlassung zu bewirken. Allein nun suchte Brühl auch den König von seiner Gemahlin abwendig zu machen, und er wußte dieß nach und nach auf solch eine feine Art anzulegen, daß selbst die Königin nur spät erst es entdeckte, als sie schon in Ansehung der Geschäfte keinen Einfluß mehr auf den König hatte, und niemand mehr auf ihre Seite zu treten wagte. Sie selbst versuchte zwar einige Mal, ihrem Gemahl das Unglück voraus zu sagen, welches Brühl bewirke: allein nach mehrern fruchtlosen Versuchen gab er ihr nachdrücklich zu verstehen, bei Berlust seiner Liebe von solchen Sachen zu schweigen. Sie sammlete jetzt in der Stille Belege wider Brühls Staatsverwaltung, und jeder ihm zur Last gelegte Umstand wurde klar bewiesen; allein als sie eben im Begriff war, zu ihrem Gemahl nach Warschau zu reisen, rettete ihr Tod im November 1757 den strafbaren Minister. Unter diesen Umständen, und da Brühl die Bedienten für den König nur aus seinen Creaturen wählte, die jedem Verdächtigen den Zutritt zum König unmöglich machten, da selbst kein Confe-
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renzminister diesen allein sprechen, folglich nichts, was dem Minister nachtheilig gewesen wäre, zum König dringen konnte; so lebte er zum Ruin des Landes sicher, und häufte durch ungeheure Verschwendung nach und nach eine unermeßliche Schuldenlast für das Land an. Seine Bedienten beliefen sich wenigstens auf 200 Personen, die, wenn sie einige Jahre gedient hatten, auf die einträglichsten Aemter Anspruch machen konnten; seine Tafel, nur bei kleinen Tractamenten wenigstens aus 50 Schüsseln bestehend, kostete ungeheure Summen; eben so seine Kleidung. Seine Schuhe wurden zu hundert Paaren auf einmal aus Paris verschrieben; ja sogar Pasteten ließ er von dort mit der Post kommen! Außer dieser Verschwendung kaufte er in Sachsen und Polen die ansehnlichsten Güter, schaffte sich eine kostbare Bibliothek, ein Kunst- und Mineraliencabinet, Gallerien von theuren Gemälden etc. So lebte er, ohne die geringste Kenntniß des Finanzwesens, in den Tag hinein, so lange die Steuer Kredit hatte; und da diese in Verfall gerieth, wußte er auch aus diesem Nutzen zu ziehen, indem er die Steuerscheine wohlfeil einkaufte und sodann solche der Steuer wieder für voll anzurechnen wußte. Während er das Land auf diese unerhörte Art bedrückte, suchte er, entweder aus Leichtsinn, oder um die allgemeine Verwirrung noch zu vermehren, Sachsen in einen Krieg zu verwickeln. Denn er beförderte
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das geheime Bündniß, das Sachsen mit Oestreich gegen Preußen schloß, und welches zum siebenjährigen Kriege Anlaß gab (s. Th. V. S. 267). Da, nach der Gefangennehmung der sächsischen Armee, auch das Land verloren ging, rettete er sich mit dem König nach Warschau, wo sie beide bis zum Hubertsburger Frieden blieben. Jetzt erst kehrte er in das durch ihn völlig zerrüttete Vaterland zurück, aber nur, um hier seine verabscheuungswürdige Lausbahn zu beschließen. Er sowohl, als der König, kamen schon krank aus Warschau, und wenige Wochen nach des Königs Tode folgte ihm Brühl, nach einem schmerzlichen Krankenlager, am 28. October 1763.
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Ansicht: Brühl, Graf Heinrich von