Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch
Adel
Der Adel. (Hauptzüge der Geschichte des heutigen Europäischen und Deutschen Adels) Der heutige Europäische Adel, welcher sowohl von dem Adel der andern Erdtheile als auch von dem, was in den ältern Staaten Adel genannt werden kann, sehr verschieden ist, schreibt sich von der Errichtung der Lehnsverfassung her, welche nach und nach auf die Eroberung von Europa durch Schwärme freier und ihren Königen bloß als Heerführern gehorchender Menschen folgte. Die Eroberer hatten stückweise Land und Volk unter sich getheilt, und die übrigen Landesbewohner so zu sagen aller menschlichen Vorrechte beraubt. Während nun der unterdrückte Theil der Landesbewohner, selbst mit Begünstigung der Regenten, welche sie als ein Gleichgewicht gegen die Anmaßungen jener betrachteten, arbeitete, zur bürgerlichen Freiheit zu gelangen, wußten die Regenten die Landesbesitzer durch die Einführung der Lehnsverfassung fester an den Staat zu binden. Indem sie den Landesbesitzern gewisse Dienstwürden ertheilten, wurden die Grundstücke, die denselben vorher mit vollem Eigenthumsrechte angehörten, unter dem Namen eines Lehens für ihren Mannsstamm gewisser Maßen zum Eigenthum des Staats gemacht; die Regenten selbst traten ihnen gehörige Ländereien, unter diesen Bedingungen, als Lehen an Unterthanen ab. So entstand die Lehnsver-————
fassung und der Europäische Adel. In Deutschland giebt es einen hohen und einen niedern Adel, und zwar nicht bloß dem Namen sondern auch der Sache nach; ursprünglich gab es jedoch nur eine Gattung des Adels. Die Herzoge, Grafen u. s. f. welche jetzt den hohen Adel ausmachen, bekleideten damahls bloß persönliche aber keine erblichen Würden; erst mit völliger Ausbildung des Lehnssystems wurden einige große Kriegspfründen und Pflegschaften erblich: und so entstand der Unterschied zwischen einem herrschenden und beherrschten, oder einem hohen und niedern Adel. Die ehemahlige Kriegsverfassung und die darin entstandene Ritterwürde – in ihrer glänzendsten Periode der höchste Ehrengipfel, den die in Kriegsdiensten stehenden Personen erreichen konnten – enthält den Ursprung der Vorrechte des niedern Adels. Bis auf die Zeit Kaiser Friedrichs II. konnte jeder Freigeborne, wenn er begütert genug war, sich in diese Laufbahn wagen und Lehrling werden; aber nach einer Anordnung dieses Kaisers mußte er vorher zeigen, daß er von Ritterart sei. (s. Geschichte der Ungleichheit der Stände unter den vornehmsten Europäischen Völkern, von C. Meiners. Das Ritterwesen des Mittelalters nach seiner politischen und militärischen Verfassung, a. d. Fr. des Hrn. de la Curne de St. Palaye, von Joh. Ludw. Klüber. Eine gute Geschichte des Deutschen Adels ist in folgendem Werke
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enthalten: Nachricht von einigen Häusern des Geschlechts der von Schlieffen oder von Schlieben, Cassel 1784.) – Was den politischen Nutzen des Adels betrifft, so ist wohl nicht leicht jemahls so viel für und wider denselben gesagt worden, als in dem gegenwärtigen Zeitalter. Montesquieuʼs lange Zeit als Axiom angenommene Meinung, daß der Adel zwischen dem Regenten und dem Volke das Gleichgewicht halte, und dem Volke zur Schutzwehr gegen die Willkühr der Herrscher diene, setzt Hennings entgegen: die Geschichte der Völker lehre das Gegentheil, und stelle den Adel als die Scheidewand zwischen dem Regenten und dem Volke dar (Hennings über die wahren Quellen des National-Wohlstandes). Beide Schriftsteller scheinen zu rasch aus einzelnen Thatsachen allgemeine Grundsätze gezogen zu haben. Es ist dem Adel eben so wenig wesentlich, die Vormauer als die Scheidewand zwischen dem Regenten und dem Volke zu sein; die Geschichte liefert für beide Fälle Thatsachen. Jeder Stand kann zur Erhaltung des Gleichgewichts zwischen dem andern dienen: es kommt darauf an, zwischen welchen Ständen das Gleichgewicht gestört worden; und die Fürsten haben sich in den mittlern Zeiten hierzu des Volks wider die Anmaßungen des Adels bedient. In Frankreich giebt es bekannter Maßen keinen Adel mehr. Schon den 4ten Aug. 1789 wurden alle Vorrechte des Adels in
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Rücksicht auf die Bezahlung der Abgaben, alle Feudalrechte, Frohndienste, Zehnten, nebst den Vorrechten des geistlichen Standes, aufgehoben. Der 19. Jun. 1790 war der völlige Todestag des Adels in Frankreich: es wurden an demselben, nach der bekannten Deputation von Ausländern an die Nationalversammlung, welche Cloots anführte, auf den Vorschlag Lambels, welchen Lafayette, Lameth u. a. unterstützten, alle Auszeichnungen und der ganze Adel abgeschafft; es wurden alle Wapen zertrümmert, alle Adelsbriefe, Urkunden und Stammbäume verbrannt, auch für das Künftige die Livreen verboten.
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*Adel. Seit dem Jahre 1808 sind in Frankreich zwar die Titel: Fürsten oder Prinzen, Herzoge, Grafen, Barone und Ritter des Reichs wieder eingeführt; allein dieser gesetzliche neue Adel ist blos Ehrentitel, und führt weder Privilegien, noch Befreiung von Staatslosten mit sich; auch erbt der Titel nur auf die ältesten Söhne. Außer diesem vom Kaiser Napoleon neu gestifteten Adel gilt durchaus kein Adel in Frankreich, und wenn er noch so alt wäre. Es wurde daher auch im Königreich Hetrurien, durch ein Decret, der dortige alte Adel mit allen Privilegien und Lehnsgerechtigkeiten aufgehoben. Ein solcher neuer Adel ist auch im Königreich Italien eingeführt worden. Wahlherren, die drei Mal in den Generalversammlungen den Vorsitz geführt haben, erhalten den Titel Herzog; alle Großbeamte der Krone, Minister, Senatoren, Staatsräthe und Erzbischöfe führen den Titel Graf; die Bischöfe und die Podesta der Hauptstädte, den Titel Baron; die Mitglieder des Ordens der eisernen Krone, den Titel Ritter.
fassung und der Europäische Adel. In Deutschland giebt es einen hohen und einen niedern Adel, und zwar nicht bloß dem Namen sondern auch der Sache nach; ursprünglich gab es jedoch nur eine Gattung des Adels. Die Herzoge, Grafen u. s. f. welche jetzt den hohen Adel ausmachen, bekleideten damahls bloß persönliche aber keine erblichen Würden; erst mit völliger Ausbildung des Lehnssystems wurden einige große Kriegspfründen und Pflegschaften erblich: und so entstand der Unterschied zwischen einem herrschenden und beherrschten, oder einem hohen und niedern Adel. Die ehemahlige Kriegsverfassung und die darin entstandene Ritterwürde – in ihrer glänzendsten Periode der höchste Ehrengipfel, den die in Kriegsdiensten stehenden Personen erreichen konnten – enthält den Ursprung der Vorrechte des niedern Adels. Bis auf die Zeit Kaiser Friedrichs II. konnte jeder Freigeborne, wenn er begütert genug war, sich in diese Laufbahn wagen und Lehrling werden; aber nach einer Anordnung dieses Kaisers mußte er vorher zeigen, daß er von Ritterart sei. (s. Geschichte der Ungleichheit der Stände unter den vornehmsten Europäischen Völkern, von C. Meiners. Das Ritterwesen des Mittelalters nach seiner politischen und militärischen Verfassung, a. d. Fr. des Hrn. de la Curne de St. Palaye, von Joh. Ludw. Klüber. Eine gute Geschichte des Deutschen Adels ist in folgendem Werke
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enthalten: Nachricht von einigen Häusern des Geschlechts der von Schlieffen oder von Schlieben, Cassel 1784.) – Was den politischen Nutzen des Adels betrifft, so ist wohl nicht leicht jemahls so viel für und wider denselben gesagt worden, als in dem gegenwärtigen Zeitalter. Montesquieuʼs lange Zeit als Axiom angenommene Meinung, daß der Adel zwischen dem Regenten und dem Volke das Gleichgewicht halte, und dem Volke zur Schutzwehr gegen die Willkühr der Herrscher diene, setzt Hennings entgegen: die Geschichte der Völker lehre das Gegentheil, und stelle den Adel als die Scheidewand zwischen dem Regenten und dem Volke dar (Hennings über die wahren Quellen des National-Wohlstandes). Beide Schriftsteller scheinen zu rasch aus einzelnen Thatsachen allgemeine Grundsätze gezogen zu haben. Es ist dem Adel eben so wenig wesentlich, die Vormauer als die Scheidewand zwischen dem Regenten und dem Volke zu sein; die Geschichte liefert für beide Fälle Thatsachen. Jeder Stand kann zur Erhaltung des Gleichgewichts zwischen dem andern dienen: es kommt darauf an, zwischen welchen Ständen das Gleichgewicht gestört worden; und die Fürsten haben sich in den mittlern Zeiten hierzu des Volks wider die Anmaßungen des Adels bedient. In Frankreich giebt es bekannter Maßen keinen Adel mehr. Schon den 4ten Aug. 1789 wurden alle Vorrechte des Adels in
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Rücksicht auf die Bezahlung der Abgaben, alle Feudalrechte, Frohndienste, Zehnten, nebst den Vorrechten des geistlichen Standes, aufgehoben. Der 19. Jun. 1790 war der völlige Todestag des Adels in Frankreich: es wurden an demselben, nach der bekannten Deputation von Ausländern an die Nationalversammlung, welche Cloots anführte, auf den Vorschlag Lambels, welchen Lafayette, Lameth u. a. unterstützten, alle Auszeichnungen und der ganze Adel abgeschafft; es wurden alle Wapen zertrümmert, alle Adelsbriefe, Urkunden und Stammbäume verbrannt, auch für das Künftige die Livreen verboten.
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*Adel. Seit dem Jahre 1808 sind in Frankreich zwar die Titel: Fürsten oder Prinzen, Herzoge, Grafen, Barone und Ritter des Reichs wieder eingeführt; allein dieser gesetzliche neue Adel ist blos Ehrentitel, und führt weder Privilegien, noch Befreiung von Staatslosten mit sich; auch erbt der Titel nur auf die ältesten Söhne. Außer diesem vom Kaiser Napoleon neu gestifteten Adel gilt durchaus kein Adel in Frankreich, und wenn er noch so alt wäre. Es wurde daher auch im Königreich Hetrurien, durch ein Decret, der dortige alte Adel mit allen Privilegien und Lehnsgerechtigkeiten aufgehoben. Ein solcher neuer Adel ist auch im Königreich Italien eingeführt worden. Wahlherren, die drei Mal in den Generalversammlungen den Vorsitz geführt haben, erhalten den Titel Herzog; alle Großbeamte der Krone, Minister, Senatoren, Staatsräthe und Erzbischöfe führen den Titel Graf; die Bischöfe und die Podesta der Hauptstädte, den Titel Baron; die Mitglieder des Ordens der eisernen Krone, den Titel Ritter.