Duden - Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden
ziehen
zie|hen [mhd. ziehen, ahd. ziohan]: 1. hinter sich her in der eigenen Bewegungsrichtung in gleichmäßiger Bewegung fortbewegen : einen Handwagen, die Kutsche, Rikscha z.; sich auf einem Schlitten z. lassen; die Pferde, Ochsen zogen den Pflug; ... wo ein Kind über den schneefreien Gehsteig einen Schlitten zog (Handke, Frau 9); Ü etw. nach sich z. (etw. zur Folge haben). 2. a) in gleichmäßiger Bewegung [über den Boden od. eine Fläche] zu sich hin bewegen: z.! (als Aufschrift an Türen); den Stuhl an den Tisch z.; das Boot an Land z.; die Angel aus dem Wasser z.; den Verunglückten aus dem Auto, die Leiche aus dem Wasser z.; sie zog die Tür leise ins Schloss; Nach unruhigem Herumwälzen zog er sich wieder die Decke über den Kopf (Fels, Sünden 24); b) jmdn. [an der Hand] mit sich fortbewegen; jmdn. anfassen, packen u. bewirken, dass er sich mit an eine andere Stelle bewegt: Junge, lass dich nicht so z.!; die Pferde aus dem Stall z.; sie zog ihn [an der Hand] ins andere Zimmer; er zog sie neben sich aufs Sofa; Katjas Mutter zog mich in eine Sitzecke und lud mich zu einem Kognak ein (H. Weber, Einzug 240); sie zogen ihn mit Gewalt ins Auto; Sie hängte sich jetzt in seinen Arm und zog ihn über die Straße (Hilsenrath, Nacht 362); Ü So hat er alle möglichen Personen an seinen Hof gezogen, Dichter, Philosophen (Thieß, Reich 242); er ... war mit siebzehn regulär zur Waffen-SS gezogen (ugs.; einberufen) worden (Bruyn, Zwischenbilanz 258); Der SPD-Abgeordnete ... wurde wegen Untauglichkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht gezogen (ugs.; einberufen; MM 28. 12. 82, 5); c) [mit einer sanften Bewegung] bewirken, dass jmd., etw. irgendwohin gelangt: er zog sie liebevoll, zärtlich an sich; d) durch Einschlagen des Lenkrades, Betätigen des Steuerknüppels in eine bestimmte Richtung steuern: er zog den Wagen in letzter Sekunde scharf nach links, in die Kurve; der Pilot zog die Maschine wieder nach oben. 3. a) Zug (3) auf etw. [was an einem Ende beweglich befestigt ist] ausüben: an der Klingelschnur z.; der Hund zieht [an der Leine] (drängt ungestüm vorwärts); b) etw. anfassen, packen u. daran zerren, reißen: jmdn. am Ärmel z.; der Vater zog ihn an den Haaren, an den Ohren; c) etw. durch Ziehen (3 a) betätigen: die Notbremse, Wasserspülung, die Orgelregister z.; d) [durch Herausziehen eines Faches o. Ä.] einem Automaten (1 a) entnehmen: Tickets, Süßigkeiten, Blumen aus Automaten z.; Vorne am Rathausplatz kann ich mir auch noch Zigaretten z. (Gabel, Fix 17). 4. "anziehen" (7), Anzugsvermögen haben : der Wagen, der Motor zieht ausgezeichnet. 5. a) in eine bestimmte Richtung bewegen: die Rollläden in die Höhe z.; er zog die Knie bis unters Kinn; der Sog zog ihn in die Tiefe; er wurde in den Strudel gezogen; die schwere Last zog ihn fast zu Boden; die Ruder kräftig durchs Wasser z.; die Strümpfe kurz durchs Wasser z. (schnell auswaschen); Die Gemüse und Hummerkrabben in dem restlichen Mehl wenden, abklopfen und durch den Teig z. (e & t 6, 1987, 118); Ü es zog ihn in die Ferne, an den Ort des Verbrechens; es zieht sie doch immer wieder zu ihm; Den jungen, unternehmungslustigen Juristen zog es schon sehr bald in die Wirtschaft (Vaterland 27. 3. 85, 19); b) an eine bestimmte Stelle, in eine bestimmte Lage, Stellung bringen: Perlen auf eine Schnur z.; Fleischstücke abtropfen lassen und auf Holzspieße z. (e & t 5, 1987, 67); die Tante hat einmal einen Heidelbeerwein auf Flaschen gezogen (in Flaschen abgefüllt; Wimschneider, Herbstmilch 135); den Faden durchs Nadelöhr, den Gürtel durch die Schlaufen z.; den Hut [tief] ins Gesicht z.; er zog die Schutzbrille über die Augen; eine Decke fest um sich z.; sie zog den Gürtel stramm um die Hüften; den Schleier vor das Gesicht, die Gardinen vor das Fenster z.; (EDV:) So genügt es etwa, ein Dateisymbol mit der Maus auf ein passendes Symbol am Bildschirm zu z. (Zeit 2. 12. 94, 88); Ü Wenn Thies in Phineus Keller saß, ... gelang es dem Branntweiner manchmal, ihn ins Gespräch zu z. (Ransmayr, Welt 266); c) über od. unter etw. anziehen: einen Pullover über die Bluse, ein Hemd unter den Pullover z.; d) (bes. von Spielfiguren) von einer Stelle weg zu einer anderen bewegen, verrücken: den Springer auf ein anderes Feld z.; du musst z.!; e) durch Ziehen (3 a) aus, von etw. entfernen, es von einer bestimmten Stelle wegbewegen: jmdm. einen Zahn z.; er zog ihm den Splitter aus dem Fuß; Er kam und wollte mir einen Stachel aus der Armbeuge z. (Schwaiger, Wie kommt 31); einen Nagel aus dem Brett, den Korken aus der Flasche z.; den Stiefel vom Fuß z.; den Ring vom Finger z.; den Hut [zum Gruß] z. (lüften); nach der Operation müssen die Fäden gezogen werden. 6. a) mit einer ziehenden Bewegung aus etw. herausnehmen, herausholen: die Brieftasche, den Presseausweis [aus der Jackentasche] z.; den Degen, das Schwert z.; die Pistole [aus dem Halfter] z.; jetzt geht er nur noch Brieftaschen z. (Jargon: stehlen; Schmidt, Strichjungengespräche 156); zieh (zieh deine Waffe) endlich, du Feigling!; Ü die Wurzel aus einer Zahl z. (Math.; die Grundzahl einer Potenz errechnen); b) aus einer bestimmten Menge auswählen u. herausholen: ein Los z.; du musst eine Karte z.; sie hat einen Gewinn gezogen; (Fachspr.:) wobei in größeren Arztpraxen täglich bis zu 100 Blutproben gezogen werden (MM 24. 11. 93, 1); In 53 der gezogenen Proben spürten die Prüfer giftige Lösungsmittel auf (Spiegel 16, 1994, 220). 7. seinen [Wohn]sitz irgendwohin verlegen, umziehen : aufs Land, nach Berlin z.; sie ziehen in eine andere Wohnung, Straße; das Institut zieht bald in ein neues Gebäude; Ich ziehe in die Kammer, dann habt ihr zwei Zimmer (Brot und Salz 368); sie ist zu ihrem Freund gezogen. 8. sich stetig fortbewegen, irgendwo[hin] bewegen; irgendwo[hin] unterwegs sein : durch die Lande z.; dann zog er mit Christa durch die Gegend (Loest, Pistole 204); Schon fürchtete sie, er habe sich davongemacht und würde nun unbemerkt durch die Bauerngärten z. und unreife Äpfel von den Bäumen fressen (Frischmuth, Herrin 74); jmdn. ungern z. (fortgehen) lassen; von dannen, in die Fremde, heimwärts z.; Ich hatte mich westlich des Rheins gehalten, weil auf seiner anderen Seite ... der Welfe Otto nordwärts zog (Stern, Mann 389); auf Wache, ins Manöver, in den Krieg, an die Front z.; In der Frühe zogen die Gendarmen auf Posten vor den Abstimmlokalen (Kühn, Zeit 158); die Demonstranten zogen [randalierend] durch die Straßen, zum Rathaus; die Hirsche ziehen zum Wald; die Aale ziehen flussaufwärts; die Schwalben ziehen nach Süden; Nebel zieht über die Wiesen; Eine Bise zog scharf über die Kuppe (Steimann, Aperwind 33); die Wolken ziehen [schnell]; der Qualm, Gestank zog durch das ganze Haus, ins Zimmer; das ... Haus ..., durch das bald in allen Etagen blaue Rauchschwaden ziehen (Kinski, Erdbeermund 362); die Feuchtigkeit ist in die Wände gezogen (gedrungen); die Gastgeber ... zogen beim 7:6 erstmals in Front (Sport: übernahmen erstmals die führende Position; Freie Presse 26. 11. 88, 4); Ü die verschiedensten Gedanken zogen durch ihren Kopf; *einen z. lassen (↑"fahren" 12). 9. a) sich [auf irgendeine Weise] irgendwohin erstrecken, bis irgendwohin verlaufen: die Straße zieht sich bis zur Küste; die Grenze zieht sich quer durchs Land; eine rote Narbe zog sich über sein ganzes Gesicht; der Weg zieht sich aber (ugs.; ist ziemlich lang, sodass man länger als erwartet dafür braucht); b) sich ↑"hinziehen" (4 b): Der Januar zieht sich (Sobota, Minus-Mann 264); Die Fahrt zum Hotel zog sich (Haslinger, Opernball 352). 10. a) durch entsprechende Behandlung, Bearbeitung in eine längliche Form bringen; [durch Dehnen, Strecken] herstellen: Draht, Röhren, Kerzen z.; Ü Eine Kopie der Computerfestplatte zogen sich die Fahnder auch gleich (Spiegel 50, 1996, 89); Die Filmcooperative Zürich hat unter beträchtlichem finanziellem Aufwand ... eine neue Kopie z. lassen (NZZ 27. 1. 83, 39); b) etw. [an beiden Enden] so ↑"ziehen" (3 a), dass es entsprechend lang wird; dehnen: die Betttücher, Wäschestücke [in Form] z.; Kaugummi lässt sich gut z.; c) (meist von etw. Zähflüssigem) entstehen lassen, erzeugen, bilden: der Leim, Honig zieht Fäden; bei der Hitze zog das Pflaster Blasen; Dann stand die Suppe im Teller und zog ... eine dünne Haut (Müller, Fuchs 259); d) "aufziehen" (3): eine neue Saite auf die Geige z.; das Bild auf Pappe z.; e) beim Singen, Sprechen o. Ä. die Töne, Laute, Silben [unangenehm] breit [hebend u. senkend] dehnen: dann setzte ein Geräusch ein, ein langes, ziehendes Pfeifen entrang sich dem Schnabel (Harig, Weh dem 196). 11. ausrollen, ausbreiten, irgendwo entlanglaufen lassen u. an bestimmten Punkten befestigen; spannen : eine [Wäsche]leine, Schnüre z.; Leitungen z. 12. [als Ausdruck bestimmter Gefühle, Meinungen o. Ä.] bestimmte Gesichtspartien so verändern, dass sie vom sonst üblichen Aussehen abweichen : eine Grimasse, einen Flunsch z.; [nachdenklich] die Stirn in Falten z.; den Mund in die Breite z.; [missmutig] die Mundwinkel nach unten z.; die Augenbrauen nach oben z. 13. "verziehen" (2 b) : das Brett zieht sich; der Rahmen hat sich gezogen. 14. a) "Anziehungskraft" (1) haben: der Magnet zieht nicht mehr; b) (ugs.) die gewünschte Wirkung, Erfolg haben; ↑"ankommen" (4): der Film, die neue Zeitschrift zieht enorm; das verletzte Knie zeigen, Mitleid ernten ...: Das zieht immer (Geiser, Fieber 50); diese Masche zieht [immer] noch; deine Tricks, Ausreden ziehen nicht mehr; das zieht bei mir nicht; Wo Argumente nicht ziehen, endet Argumentation (Heringer, Holzfeuer 98); Alle Bonner Beteuerungen, deutsche Waffen würden nicht in Spannungsgebiete geliefert, ziehen nicht (Spiegel 6, 1978, 4); c) bewirken, dass sich etw. (als Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten o. Ä.) auf einen bzw. etw. richtet: alle Blicke auf sich z.; jmds. Unwillen, Zorn auf sich z.; ... studierte er die Speisekarte und zog damit die Aufmerksamkeit einiger Passanten auf die angekündigten Delikatessen (Kronauer, Bogenschütze 162); Sie ... wollte sein Interesse nur auf den Fall z., der sie beschäftigte (M. L. Fischer, Kein Vogel 164). 15. a) mit einem [tiefen] Atemzug in sich aufnehmen; einatmen: die frische Luft, den Duft der Blumen durch die Nase z.; ich lächelte zum Wirt, der ... höflich Luft durch die Zähne zog (Muschg, Sommer 40); er zog den Rauch tief in die Lungen; b) etw. in den Mund nehmen u. unter Anspannung der Mundmuskulatur Rauch, Flüssigkeit daraus entnehmen, in sich hineinziehen: an der Pfeife, [hastig, nervös] an der Zigarette z.; Er zog an seiner dicken Zigarre und blies den Rauch über Sylvias Kopf hinweg (Konsalik, Promenadendeck 175); „Möchtest du auch eine rauchen?“, fragte er. „Nein, lass mich einmal z.“ (Wellershoff, Körper 88); an einem Strohhalm z.; sie zieht (Jargon; raucht Haschisch o. Ä.). 16. a) (von Pflanzen) bestimmte Stoffe in sich aufnehmen: Nahrung aus dem Boden z.; der Feigenbaum zieht viel Wasser; b) "gewinnen" (5 b): Öl aus bestimmten Pflanzen z.; Erz aus Gestein z.; Ü Profit, Nutzen, einen Vorteil aus etw. z.; ebenso wie wir ... Leute sehen, die man Christen nennt, wie sie aus Gleichnissen und Wundern ihren Glauben ziehen (Ranke-Heinemann, Eunuchen 13). 17. a) etw., bes. ein Schreibgerät, von einem bestimmten Punkt ausgehend, ohne abzusetzen, über eine Fläche bewegen u. dadurch (eine Linie) entstehen lassen: eine Senkrechte, einen Kreis, Bogen z.; Linien [mit dem Lineal] z.; einen Schlussstrich unter die Rechnung z.; b) nach einer bestimmten Linie anlegen, bauen, entstehen lassen: einen Graben, eine Grenze z.; sie zogen eine Mauer [um die Stadt]; Zäune [um die Parks] z.; So wurden Wege gepflastert, Malerarbeiten durchgeführt, Drainagen gezogen (Freie Presse 22. 6. 89, 8); sie zog sich einen Scheitel; c) eine bestimmte Linie beschreiben: seine Bahn z.; mit dem Flugzeug eine Schleife z.; beim Schlittschuhlaufen Figuren z.; Über schwarzgrünen, unbetretbaren Wäldern zogen Gerfalken und Milane ihre Spiralen (Ransmayr, Welt 196). 18. aufziehen, züchten : etw. aus Samen, Stecklingen z.; Rosen, Spargel z.; ... einen Garten, in dem sie Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Kartoffeln ziehen (Chotjewitz, Friede 161); Schweine, Gänse z.; Ü den Jungen werde ich mir noch z. (ugs.; so formen, so erziehen, dass er meinen Vorstellungen entspricht). 19. a) mit kochendem, heißem Wasser o. Ä. übergossen sein u. so lange stehen bleiben, bis die übergossene Substanz ihre Bestandteile, ihren Geschmack u. ihr Aroma an das Wasser abgibt: den Tee 3 Minuten z. lassen; der Kaffee hat lange genug gezogen; b) (Kochk.) etw. in einer Flüssigkeit knapp unter dem Siedepunkt halten u. langsam garen lassen: die Klöße z. lassen; der Fisch soll nicht kochen, sondern z. 20. als Luftzug in Erscheinung treten, unangenehm zu verspüren sein : [Tür zu] es zieht!; in der Halle zieht es; es zieht aus allen Ecken, vom Fenster her, an die Beine, mir an den Beinen; Die Äcker sind voll Schnee, und durch die Fensterritze zieht's (Kempowski, Zeit 262). 21. den nötigen ↑"Zug" (8 b) haben, um entsprechend zu funktionieren : der Ofen, Schornstein zieht [gut]; Die Kamine sind versockt und ziehen schlecht (Chotjewitz, Friede 232); die Pfeife zieht nicht mehr. 22. einen Schmerz, der sich in einer bestimmten Linie ausbreitet, haben : es zieht [mir] im Rücken; ziehende Schmerzen in den Beinen, in den Gliedern haben; sie verspürte ein leichtes, starkes Ziehen im Bauch; Otto Brasch spürte wieder dieses quälende Ziehen zwischen den Schulterblättern (Loest, Pistole 161). 23. (Geldw.) auf eine dritte Person, auf einen Wechselnehmer ausstellen : einen Wechsel auf jmdn. z.; ein gezogener Wechsel. 24. mit einem Gegenstand ausholend schlagen : jmdm. eine Latte, eine Flasche über den Kopf z.; Dabei zog ihm einer der Täter einen Holzknüppel über den Kopf (MM 22. 7. 88, 15); er zog ihm eins über die Rübe. 25. (Waffent.) mit schraubenlinienartigen Zügen (15) versehen : ein Gewehr mit gezogenem Lauf. 26. : Lehren aus etw. z. (aus etw. lernen); den Schluss aus etw. z. (aus etw. schließen); falsche, voreilige Schlüsse z. (fälschlicherweise, zu hastig etw. vermuten, annehmen); Folgerungen z. (aus etw. schließen); Konsequenzen z. (aus etw. die Folgerungen für künftiges Handeln ableiten); Vergleiche z. (etwas miteinander vergleichen); jmdn. zur Rechenschaft, zur Verantwortung z. (für etw. verantwortlich machen). 27. Zeuch dein Schwert und erbarme dich! (Schiller, Räuber V, 2).
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