Duden - Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden
verstehen
ver|ste|hen [mhd. verstēn, verstān, ahd. firstān, zu ↑"stehen", Bedeutungsentwicklung unklar]: 1. (Gesprochenes) deutlich hören: ich konnte alles, jedes Wort, keine Silbe v.; der Redner war noch in der letzten Reihe gut zu v.; ich konnte sie bei dem Lärm nicht v.; vor drei Wochen bekam ich in Frankfurt ein schwer zu verstehendes Ferngespräch aus Addis Abeba (Grzimek, Serengeti 64). 2. a) den Sinn von etw. erfassen; etw. begreifen: einen Gedankengang, Zusammenhang v.; eine Frage, eine Geste nicht v.; hast du sie verstanden? (hast du begriffen, was sie gemeint hat?); das verstehst du noch nicht; Vielleicht verstehe ich die männlichen Standpunkte nicht ganz (Maass, Gouffé 247); das verstehe [nun] einer!; sie hat nicht verstanden, worum es geht; Ich verstehe plötzlich, was Wernicke gemeint hat (Remarque, Obelisk 138); das versteht doch kein Mensch (das ist zu verworren, zu kompliziert, zu unklar o. Ä.); von zahllosen genetisch bedingten Krankheiten, die man v. (erkennen) und später einmal heilen wolle (natur 2, 1991, 46); ja, ich verstehe!; Hans Castorp verstand nicht gleich (Th. Mann, Zauberberg 196); du bleibst hier, verstehst du/verstanden! (als barsche Aufforderung); *jmdm. etw. zu v. geben (jmdm. gegenüber etw. aus bestimmten Gründen nicht direkt sagen, sondern nur andeuten): ich habe ihr deutlich zu v. gegeben, dass ich ihr Verhalten missbillige; ich sah genau den Blick, mit dem er den anderen zu v. gab: Den habe ich reingelegt (Bieler, Bonifaz 79); sich [von selbst] v. (keiner ausdrücklichen Erwähnung bedürfen; selbstverständlich sein): dass ich dir helfe, versteht sich von selbst; Meine Fahrkarte, versteht sich, war in bester Ordnung (Th. Mann, Krull 143); b) in bestimmter Weise auslegen, deuten, auffassen: jmds. Verhalten nicht v.; sie hat deine Worte falsch verstanden (ihnen eine falsche Auslegung gegeben, sie missverstanden); Er verstand die Heilige Schrift als einen Cicerone für die Ewigkeit (Nigg, Wiederkehr 82); Die Bemerkung Diderots ist bald als Metapher verstanden worden (Fest, Im Gegenlicht 359); das ist als Drohung, als Aufforderung, als Kritik zu v. (gemeint); das ist in einem andern Sinne zu v. (gemeint); Was versteht man unter (was bedeutet) Kohäsion? (Remarque, Westen 66); unter Freiheit versteht jeder etwas anderes (jeder legt den Begriff anders aus); wie soll ich das v.? (wie ist das gemeint?); Das sei natürlich symbolisch zu v. (Wiechert, Jeromin-Kinder 824); versteh mich bitte richtig, nicht falsch!; Damit wir uns richtig verstehen, Jürgen. Sie sollen die Unruhestifter lokalisieren (Chotjewitz, Friede 221); das ist eine falsch verstandene Loyalität; wenn ich recht verstehe, willst du nicht mehr mitmachen; c) ein bestimmtes Bild von sich haben; sich in bestimmter Weise, als jmd. Bestimmtes sehen: Gustav Heinemann hat sich als Bürgerpräsident verstanden (W. Brandt, Begegnungen 300); Eine Pädagogik, die sich heute noch als Tochter der Aufklärung versteht (Th. Mann, Zauberberg 554); von Staaten, die sich als „blockfrei“ verstehen (Rhein. Merkur 2. 2. 85, 8); d) (Kaufmannsspr.) (von Preisen) in bestimmter Weise gemeint sein: der Preis versteht sich ab Werk, einschließlich Mehrwertsteuer. 3. a) sich in jmdn., in jmds. Lage hineinversetzen können; Verständnis für jmdn. haben, zeigen: keiner versteht mich!; sie ist die Einzige, die mich versteht; Auf die Menschen, auf den Kunden muss ein Verkäufer eingehen, sie v. lernen, um sein Produkt erfolgreich an den Mann oder die Frau zu bringen (CCI 13, 1998, 56); sie fühlt sich von ihm nicht verstanden; Ich zähle mich zu jenen, die versuchen, die Tiere aus sich selbst heraus zu v. (Stern, Mann 65); b) (jmds. Verhaltensweise, Haltung, Reaktion, Gefühl von dessen Standpunkt gesehen) natürlich, konsequent, richtig, normal finden: ich verstehe deine Reaktion, deinen Ärger sehr gut; sie verstand meinen Entschluss, nicht zu fliegen (Frisch, Homo 86); Ich verstehe nicht, wie man Lehrerin an einer Schule werden kann, die man selbst neun Jahre besucht hat (Böll, Adam 69); ich kann bei Ihnen keine Ausnahme machen, das müssen Sie [schon] v. (einsehen); Ich bilde mir ein, einen Spaß zu v. (Humor zu haben; Th. Mann, Buddenbrooks 217). 4. mit jmdm. gut auskommen, ein gutes Verhältnis haben: sich glänzend, prächtig, überhaupt nicht v.; wie verstehst du dich mit deiner Schwiegermutter?; die beiden verstehen sich nicht besonders; Um die Zeit verstanden sich meine Eltern nicht mehr so gut miteinander (Hornschuh, Ich bin 4). 5. a) gut können, beherrschen: sein Handwerk, seine Sache v.; Der neue Mann war ein guter Fang, er verstand sein Fach (Danella, Hotel 191); sie versteht es [meisterhaft], andere zu überzeugen; sie versteht (hat die Gabe) zu genießen; da das Geld nie reichte, redete er sich ein, seine Frau verstünde nicht zu wirtschaften (Bredel, Väter 89); er hat es so gut gemacht, wie er es versteht; sie versteht es nicht besser (ugs.; sie tut das nur aus Unbeholfenheit); b) (in etw.) besondere Kenntnisse haben, sich (mit etw., auf einem bestimmten Gebiet) auskennen [u. daher ein Urteil haben]: sie versteht etwas, nichts von Musik; Wer im Seekrieg überleben wollte, musste etwas von Mathematik v. (Ott, Haie 326); Es gab keine Küste, an der sie sich orientieren konnten, nur die Sterne, und von denen verstand keiner von ihnen viel (Funke, Drachenreiter 200); Inzwischen hat er seinem Wirtschaftsminister von neuem bescheinigt, dass dieser von Politik nichts verstehe (Dönhoff, Ära 26); was verstehst du schon von Frauen? (Remarque, Obelisk 302); c) zu etw. befähigt, in der Lage sein: er versteht sich aufs Dichten; eine so rundliche Frau verstand sich bestimmt aufs Kochen (Fallada, Herr 136); Er versteht sich nicht aufs Sparen (Frisch, Montauk 171); sie verstehe sich noch heute recht gut auf die Violine (könne noch recht gut Violine spielen; Bienek, Erde 290); d) mit etw. Bescheid wissen, etw. gut kennen u. damit gut umzugehen wissen: sie versteht sich auf Pferde; Wer wollte sich vermessen, er verstünde sich besser auf die Seele des Kriminellen? (Maass, Gouffé 299). 6. (veraltend) sich mit Überwindung zu etw. doch bereit finden: sich zu einer Entschuldigung, zu Schadenersatz v.
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