Duden - Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden
sein
1sein [mhd., ahd. sīn; das nhd. Verb enthält drei verschiedene Stämme: 1. mhd., ahd. bin, urspr. = werde, wachse; 2. mhd., ahd. ist, sint; 3. mhd. was, wāren, ahd. was, wārun, urspr. = war(en) da, verweilte(n), zu ahd. wesan, ↑"wesen"]: I. 1. a) sich in einem bestimmten Zustand, in einer bestimmten Lage befinden; sich bestimmten Umständen ausgesetzt sehen; eine bestimmte Eigenschaft, Art haben: gesund, ruhig, betrunken, müde, lustig s.; schön, jung, klug, gutmütig s.; sie war sehr entgegenkommend, freundlich; das Brot ist gut, trocken; das Wetter ist schlecht; wie ist der Wein?; die Geschichte ist merkwürdig; das ist ja unerhört!; das kann doch nicht wahr s.!; wie alt bist du?; ich bin 15 [Jahre alt]; sie ist den Streit/des Streites müde; er ist des Diebstahls schuldig; sie ist noch am Leben; der Hut ist aus der Mode; er war ganz außer Atem, nicht bei Sinnen; sie ist in Not, in Gefahr, ohne Schuld; er war bei ihnen zu Gast; es ist dunkel, kalt hier; es war (herrschte) Hochwasser, Krieg, dichter Nebel, Glatteis, herrliches Wetter; es ist abends noch lange hell; es ist besser so; wie war es denn?; es ist (verhält sich) nicht so, wie du denkst; *dem ist [nicht] so (die Sache verhält sich [nicht] so); sei es, wie es wolle; sei dem/dem sei, wie ihm wolle; wie dem auch sei (wie immer es sich auch verhält; gleichgültig, ob es sich so oder so verhält): sei es, wie es wolle, ich werde nicht teilnehmen; es sei denn, [dass] (ausgenommen, außer wenn): ich bin um 8 Uhr da, es sei denn, dass etwas dazwischenkommt; nicht so s. (ugs.; sich großzügig, nachsichtig zeigen): ach, sei doch nicht so und gib es mir; ∙ (südd.) <1. u. 3. Pers. Pl. Ind. Präs. auch: seind> Stille Schaf seind mille- und wollereich, wird ihnen gewartet (Mörike, Hutzelmännlein 160); b) jmds. Besitz, Eigentum darstellen; jmdm. gehören: das ist meins/(landsch. ugs.:) mir; welches von den Bildern ist deins?; Ü ich bin dein (geh. veraltend; bin dir in Liebe verbunden); c) von jmdm. als bestimmtes eigenes Befinden festgestellt werden: es ist mir nicht gut heute; mir ist [es] kalt, schlecht, übel, wieder besser; bei diesem Gedanken ist mir nicht wohl; ist dir warm?; ist dir etwas? (ugs.; fehlt dir etwas, fühlst du dich nicht wohl?); *jmdm. ist, als [ob] ... (jmd. hat das [unbestimmte] Gefühl, den Eindruck, als [ob] ...): mir ist, als hätte ich ein Geräusch gehört/als ob ich ein Geräusch gehört hätte; jmdm. ist [nicht] nach etw. (ugs.; jmd. hat im Augenblick [keine] Lust auf, zu etw.): mir ist heute nicht nach Feiern; Nach Bett war mir noch nicht (Eppendorfer, St. Pauli 135); d) drückt die Identität od. eine Klassifizierung, Zuordnung aus: er ist Lehrer, Künstler; sie ist eine richtige Bayerin; sie ist ja noch ein Kind; du bist ein Schuft, ein Engel; ihr seid Lügner; er ist der Schuldige; die Katze ist ein Haustier; das ist die Hauptsache, eine Gemeinheit, eine Zumutung; Und das war es dann (ugs.; und damit ist es vorbei, abgetan; Eppendorfer, Kuß 55); R das wärs (das ist alles [was ich sagen, haben wollte, was getan werden musste]); *es s. (es getan haben; der Schuldige, Gesuchte sein): ich weiß genau, du warst es [der es getan hat]; am Ende will es keiner gewesen s.; wer s. (ugs.; es zu etwas gebracht haben; Ansehen genießen): im Fußball sind wir [wieder] wer; Im Dorf ist er wer: bis zur Gebietsreform Bürgermeister (Chotjewitz, Friede 81); nichts s. (ugs.; im Leben nichts erreicht haben; es zu nichts gebracht haben): ihr Mann ist nichts; e) (in Bezug auf das Ergebnis einer Rechenaufgabe) zum Resultat haben, ergeben: fünfzehn und sechs, dreißig weniger neun, drei mal sieben, hundertfünf [geteilt] durch fünf ist/(ugs.:) sind einundzwanzig; f) (aufgrund der Zeit) als Umstand, Zustand o. Ä. gegeben sein: es ist schon Morgen, Nacht; es sind noch Ferien; dort ist jetzt Winter, Regenzeit, Fastenzeit; bis dahin wird [es] wieder Herbst s.; es war spät [abends, am Abend]; dafür ist es jetzt, nie zu spät; es ist [gleich, kurz nach] sieben [Uhr]; morgen ist, gestern war der fünfte Mai; ist heute schon der Dreißigste, Freitag?; in sechs Wochen ist schon wieder Weihnachten. 2. a) sich irgendwo befinden, aufhalten: an seinem Platz, bei jmdm., in Hamburg, in Urlaub, unterwegs, auf Reisen s.; es war niemand im Haus, zu Hause; wo warst du denn die ganze Zeit?; das Geld ist auf der Bank, auf seinem Konto; Bier ist im Kühlschrank; seine Wohnung ist (liegt) im dritten Stock; sie ist in/zur Kur (ist zu einer Kur verreist); sie sind essen, schwimmen, einkaufen (sind zum Essen, Schwimmen, Einkaufen weggegangen); Ü ich war nur im Rückspiegel (ugs.; blickte ständig in den Rückspiegel; Eppendorfer, St. Pauli 94); b) stammen, kommen: er ist aus gutem Haus, aus einer kinderreichen Familie; sie ist aus Berlin, aus Österreich; das Paket ist von Mutter, von zu Hause; woher ist der Wein?; die Milch ist von heute; das Fleisch ist vom Schwein; das Zitat, das Stück, das ist von Goethe; das Kind ist von ihm (er ist der Vater des Kindes); Meine Schwiegermutter ..., die ist noch ganz von früher (ist eine typische Vertreterin einer früheren Generation; Dierichs, Männer 167). 3. a) an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit stattfinden, vonstatten gehen: die erste Vorlesung ist morgen; der Vortrag ist um 8 Uhr, am 4. Mai, in der Stadthalle; *nicht s. (ugs.; nicht erlaubt, möglich o. Ä. sein, nicht geduldet werden): Fernsehen ist [heute] nicht, lest lieber mal ein Buch; Rauchen ist [bei mir] nicht; b) an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit, unter bestimmten Umständen geschehen, sich ereignen: die meisten Unfälle sind nachts, bei Nebel, im Winter, auf Landstraßen; das letzte Erdbeben war dort 1906; es war im Sommer letzten Jahres, in Berlin; *mit etw. ist es nichts (ugs.; etw. läuft nicht so ab, findet nicht so statt, wie es geplant, beabsichtigt o. Ä. war): wenn du krank bist, dann ist es wohl heute nichts mit unserem Ausflug; als sie von seiner Vergangenheit hörte, war es nichts mehr mit [der] Heirat; c) geschehen, vor sich gehen, passieren: eine Sache wie diese, so etwas darf nicht s.; muss das s.?; es braucht ja nicht sofort zu s.; das kann doch nicht s.! (das ist doch nicht möglich!); das solltest du lieber s. lassen (ugs.; nicht tun); sie kann das Trinken einfach nicht s. lassen (ugs.; kann nicht davon ablassen); Wenn ihr solche Bedingungen stellt, lassen wir das Ganze lieber s. (ugs.; unterlassen wir das Ganze lieber; Remarque, Obelisk 163); war während meiner Abwesenheit irgendwas? (ugs.; ist während meiner Abwesenheit etwas Erwähnenswertes vorgefallen?); wenn etwas ist/s. sollte (ugs.; sich etw. Wichtiges ereignet), ruf mich an; es sei!, so sei es denn! (es möge, soll, kann so geschehen!); R was s. muss, muss s. (es ist unvermeidbar); Was s. muss, muss s.! Jammern nützt nichts (Bruyn, Zwischenbilanz 127); seis drum (es ist schon gut, es macht nichts); *sei es ... sei es; sei es ... oder (entweder ... oder; kann, mag sein [dass] ... oder [dass]; ob ... oder [ob]): einer muss einlenken, sei es der Osten oder [sei es] der Westen; das Prinzip ist das gleiche, sei es in der Luft, sei es im Wasser. 4. da sein; bestehen; existieren: alles, was einmal war, heute ist oder einmal s. wird; in diesem Bach sind (gibt es) viele Fische; wenn er nicht gewesen wäre, hätte sich alles anders entwickelt; sind noch Fragen dazu?; die Königin ist nicht mehr (geh.; ist gestorben); die DDR ist nicht mehr/(landsch.:) ist gewesen (besteht nicht mehr); das wird niemals s. (der Fall sein); das war einmal (gehört der Vergangenheit an, besteht nicht mehr); ist [irgend] etwas? (ugs.; gibt es etw. Besonderes, einen Grund zur Beunruhigung?); sind (gibt es) noch Fragen?; R was nicht ist, kann noch werden (das kann immer noch in der Zukunft Wirklichkeit werden); das menschliche Sein (Leben, Dasein); R Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage (hier geht es um eine ganz wichtige Entscheidung; hierbei handelt es sich um eine existenzielle Frage; nach der Übersetzung der Stelle im Drama „Hamlet“ [III, 1] von W. Shakespeare [1564-1616]: To be or not to be, that is the question). 5. a) entspricht einem mit „können“ verbundenen Passiv: ... werden können: sie ist durch niemanden zu ersetzen (kann durch niemanden ersetzt werden); die Schmerzen waren kaum, nicht zu ertragen (waren unerträglich); das ist mit Geld nicht zu bezahlen (ist unbezahlbar); b) entspricht einem mit „müssen“ verbundenen Passiv: ... werden müssen: fehlerhafte Exemplare sind unverzüglich zu entfernen (müssen unverzüglich entfernt werden); der Ausweis ist unaufgefordert vorzuzeigen. II. 1. dient der Perfektumschreibung: der Zug ist eingetroffen; er ist gestorben; wir waren gerade abgefahren; wir sind [über den See] gerudert; sie sind mit dem Wagen in die Stadt (ugs.; sind in die Stadt gefahren); sie ist gerade eben raus (ugs.; ist gerade eben hinausgegangen); Vom Café bin ich mit Antje gleich zum Friedrichstadt-Palast (ugs.; bin ich mit ihr dorthin gegangen; Schädlich, Nähe 45); Sie ist in den Supermarkt (ugs.; ist in den Supermarkt gegangen od. gefahren), um Kachelreiniger fürs Bad zu kaufen (Büttner, Alf 160). 2. dient der Bildung des Zustandspassivs: das Fenster ist geöffnet; damit waren wir gerettet; sie sagt, die Rechnung sei längst bezahlt.————————
2sein [mhd., ahd. sīn]: 1. a) s. Hut; -e Jacke; s. Bier; -e Kinder; einer -er Freunde/von -en Freunden; meinem Vater s. Hut (ugs.; meines Vaters Hut); das Dorf und -e Umgebung; im Auftrag Seiner Majestät [des Kaisers]; -e (die von ihm geschriebenen) Bücher; er hat -en Zug (den Zug, mit dem er fahren wollte, mit dem er zu fahren pflegt) verpasst; sie geht in -e Klasse (in die Klasse, in die auch er geht); der Graben ist -e (ugs.; ist gut und gerne) drei Meter breit; er muss jetzt -e Tabletten (die Tabletten, die er zurzeit nehmen muss) einnehmen; er mit -em (ugs.; mit dem von ihm gewohnten) ewigen Genörgel; im Herbst macht er wieder -e Kur (die Kur, die er regelmäßig immer wieder macht); b) das Buch ist s. (landsch.; gehört ihm); sind das deine Handschuhe oder -e?; das ist nicht mein Messer, sondern -s/(geh.:) -es. 2. (geh.) ich hatte meine Werkzeuge vergessen und benutzte die seinen; sie soll die Seine/(auch:) seine (seine Frau) werden; er fuhr zu den Seinen/(auch:) seinen (zu seiner Familie, seinen Angehörigen); er hat das Seine/(auch:) seine (sein Teil; das, was er tun konnte) getan; R jedem das Seine/(auch:) seine (jeder soll haben, was ihm zusteht, was er gerne möchte; vgl. ↑"suum cuique");den Seinen/(auch:) seinen gibts der Herr im Schlaf (manche Leute haben so viel Glück, dass sie ohne Anstrengung viel erreichen; Ps. 127, 2).
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3sein [mhd., ahd. sīn] (dichter. veraltet): ↑"seiner": sie gedachte, erbarmte sich s.
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