Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Zeitgeschichte
Zeitgeschichte,die der unmittelbaren Gegenwart vorangehende geschichtl. Epoche (als »jüngste Phase der Neuzeit«) und die histor. Disziplin, die sich deren Erforschung widmet; Grenzen zur Politikwiss. fließend. Über die genaue Periodisierung der Z. besteht keine allg. Übereinstimmung; in Dtl. wird unter Z. weithin die Geschichte seit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg und der russ. Oktoberrevolution 1917 verstanden. In Frankreich bezeichnet »histoire contemporaine« die Epoche seit der Frz. Revolution 1789; in Großbritannien beginnt die »contemporary history« mit der Parlamentsreform von 1832. - Seit dem Altertum Thema und Teil der Geschichtsschreibung, wurde ihre Behandlung mit der Entwicklung der krit. Geschichtswissenschaft im 19. Jh. vielfach aus der Forschung ausgeschieden, da die Unzugänglichkeit von wesentl. (staatl.) Quellen und die geringe zeitl. Distanz die wiss. Erforschung der Z. unmöglich machten. Die Erschütterungen des Ersten Weltkriegs führten dann zur Entwicklung von Begriff und Programmatik der Z.; in der Bundesrep. Dtl. wurde die Z. als Teildisziplin der Geschichtswiss. nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert; 1950 wurde das Forschungszentrum im Institut für Z. (München) gegründet. Neben der Erforschung des Nationalsozialismus, des Holocausts und des Zweiten Weltkriegs als zentrale Themen (Historikerstreit, Vergangenheitsbewältigung) traten seit den 60er-Jahren Vorgeschichte und Verlauf des Ersten Weltkriegs (Kriegsschuldfrage; »Fischer-Kontroverse«), in den 70er-Jahren die Besatzungszeit in Dtl. sowie die Anfänge der BRD und der DDR in den Vordergrund. Mit der Untersuchung der allgemeinen Merkmale des Werdegangs einer Personengruppe durch ein zusammenfassendes Studium ihrer Lebensläufe (Prosopographie) entstand ein neuer Forschungsansatz. Seit den 90er-Jahren rückten der Ost-West-Konflikt, die Gesamtgeschichte der SBZ/DDR bzw. des Kommunismus sowie die Osteuropaforschung stärker in den Mittelpunkt; auch institutionell haben die Forschungen z. Z. an Dichte und Breite zugenommen. Forschungsmethodisch gewannen dabei v. a. - nicht unumstritten - der empir. Diktaturvergleich sowie die Zeitzeugenbefragung (Oral History) neue Bedeutung und Dimension; inhaltlich erfuhren die Totalitarismus- und die Transformationsforschung, aber auch - ansatzweise - eine komplexere alltags-, kultur- und mentalitätsgeschichtl. Betrachtung sowie biograph. Arbeiten neue Aufwertung.
Literatur:
Schulz, Gerhard: Einführung in die Z. Darmstadt 1997.
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