Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Wohnhaus
Wohnhaus,dem Menschen als Wohnstätte (Wohnung) dienendes Gebäude, das - nach Funktion (Ein- und Mehrfamilienhaus, Gemeinschafts-W., Heim), nach Form (frei stehendes oder eingebautes W., Reihenhaus; Flach-, Mittel-, Hochbau) sowie Besitzverhältnissen (Eigenheim, Miethaus) unterschieden - in zahlr. unterschiedl. Typen errichtet wird. Soziale Verpflichtungen und Programme (Eigenheim- oder Siedlungsbau, sozialer Wohnungsbau), wirtsch. Forderungen (Rentabilität, Bodennutzung) sowie städtebaul. Überlegungen stehen einander dabei oft widersprüchlich gegenüber und zwingen fast immer zu politisch motivierten Grundsatzentscheidungen, durch die zusätzlich zu den bestehenden bautechn., baupolizeil. und hygien. Vorschriften für Bauträger und Ausführende oft wesentl. Teile der gesamten Bauaufgabe vorfixiert werden. (Bauernhaus, Bürgerhaus, Städtebau) - Über rechtl. Fragen Baugenehmigung, Bauüberwachung, Bebauungsplan, Miete, sozialer Wohnungsbau, Wohnungseigentum, Wohnungsrecht.Geschichte: Auf Urformen der Behausung (Höhle, Windschirm, Zelt) folgten mit dem Sesshaftwerden des Menschen feste Wohnstätten, die sich zu einer Fülle unterschiedl. Typen entwickelten. Bereits in vorgeschichtl. Zeit bildeten sich zwei Grundtypen aus: das baulich fest mit einem Innenhof gekoppelte Hofhaus und das frei stehende Einzelhaus. - In der Jungsteinzeit treten im ägäischen Raum und in Kleinasien zunächst in den Boden eingetiefte Grubenhäuser in Oval- und Rundformen auf, oft mit abgeteilten kleinen Nebenräumen; wenig später erscheinen rechteckige Pfostenhäuser mit lehmbeworfenen Flechtwerkwänden und Walmdächern und schließlich Oval- und Rechteckhäuser, deren Wände aus Lehmziegeln auf Steinsockeln bestanden. Der für die Weiterentwicklung wichtigste Haustyp dieser Periode war das Megaronhaus (Megaron), das im ägäischen Raum in der Bronzezeit weit verbreitet war. Reiche Grundrissformen zeigen auch W. in Mesopotamien und Ägypten, wo seit dem 3. Jt. aber immer häufiger Hofhäuser auftraten: Innerhalb eines festen Mauerrings wurden um einen zentralen Innenhof herum Räume für die unterschiedl. Wohn- und Wirtschaftsfunktionen angelegt. Dieser Hofhaustyp ist als Stadthaus im Prinzip unverändert in allen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens beibehalten worden. - Während der Antike wurden in Syrien, Persien und im ägäischen Raum das Megaron- und das Pastashaus (quer gerichtetes Vorhallenhaus) im Lauf des 7.-5. Jh. v. Chr. mit dem Hofhaustypus kombiniert. Gesteigerte Wohnbedürfnisse führten etwa seit dem 3. Jh. v. Chr. zur Ausbildung des Peristylhauses (Peristyl). Dieser Typus des städt. W. verbreitete sich mit der Hellenisierung der antiken Welt im 3./2. Jh. v. Chr. über viele Länder und ging dabei oft Verbindungen mit traditionellen örtl. W.-Formen ein; bes. bekannt sind die Kombinationen mit dem italien. Atrium, an das in hellenist. Zeit das Peristyl angefügt wurde (Pompeji, Herculaneum). Bes. reiche Raumbildungen wurden beim Bau einer Villa erreicht. Hinzu kamen die künstler. Innenausstattungen wie auch der techn. Ausbau (Bäder, Hypokaustum u. a.). Parallel zur Entwicklung der Villa entstand bes. in den antiken Großstädten (z. B. Rom, Alexandria) der Typus des mehrgeschossigen Mietwohnhauses.Während mit dem Niedergang der antiken Großstädte im 5./6. Jh. n. Chr. bei nachlassendem Bevölkerungsdruck das Massen-W. wieder verschwand, hielten sich die aus dem Peristylhaus entwickelten und mit röm. Kultureinfluss über Teile Europas und der Mittelmeerländer verbreiteten Formen bis in die Neuzeit. In Mittel- und N-Europa blieb der Hofhaustypus während des MA. beschränkt auf Gemeinschaftsbauten (Klöster, Spitäler) und wurde erst wieder im gehobenen Wohnungsbau der Renaissance lebendig. - Im W.-Bau des mitteleurop. MA. wiederholte sich unter Veränderung der Einzelformen der bereits in den frühen Kulturen mehrfach abgelaufene Prozess der Umwandlung urspr. dörflicher, für landwirtsch. Nutzung vorgesehener Häuser zum städt. W., wobei häufig die Grundkonzeption und oft sogar Details des jeweiligen regionalen Bauernhauses bewahrt wurden. Ausgangspunkt war das bereits in der Jungsteinzeit auftretende frei stehende Einraumhaus, das gelegentlich mit Wirtschaftsbauten zu haken- oder u-förmigen Grundrissen zusammengesetzt wurde. Erst der etwa im 8. Jh. einsetzende Stadtentstehungsprozess führte zur Ausbildung eines spezifisch städt. W., das, in Reihen mit der Giebelseite zur Straße stehend, von der Straßen- und Hofseite aus erschlossen und belichtet wurde. Die Grundrisse früh- und hochmittelalterl. W. sind infolge häufiger Stadtbrände und späterer Um- und Einbauten kaum bekannt. Eine Ausnahme bilden die Einraumformen steinerner Wohntürme. Das regelmäßige Konstruktionssystem der übl. Gerüste aus Fachwerk erlaubte bei wechselnden Bedürfnissen eine variable Innenteilung der Bauten. I. d. R. lagen in dem meist höheren, oft 11/2-geschossigen Erdgeschoss mit der Diele, die vielfach zugleich als Werkstatt, Küche und Wohnraum diente, häufig auch in »eingehängten« Zwischengeschossen kleinere Werkstatträume oder Kontore; in den Obergeschossen sowie in den meist ausgebauten Dachgeschossen folgten Schlafzimmer und Kammern. In S-Europa, bes. in Italien, wurde der dort traditionelle Steinbau für städt. W. nicht aufgegeben. Neben einfachen Bürgerhäusern haben der schon im Früh-MA. einsetzende Umzug adliger Familien in die Städte und das rasche Aufblühen eines reichen Kaufmannsstandes in den oberitalien. Städten bald den Bau größerer W. bewirkt, mehrgeschossige Wohnbauten mit Läden oder Wirtschaftsräumen im Erdgeschoss sowie schlanke, hohe Wohntürme (u. a. die Geschlechtertürme, z. B. in Bologna, San Gimignano, Regensburg).
Im 15. Jh. entstanden einerseits großartige und reiche Bürgerhäuser, in denen adlige Lebensformen nachgeahmt wurden (u. a. Nürnberg, Augsburg, Antwerpen, Florenz), auf der anderen Seite wurden auch Hinterhäuser und Keller bewohnt und in den Ganghäusern (Lübeck, Hamburg) eigens für die Ausnutzung der tiefen Grundstücke geeignete neue W.-Formen entwickelt sowie erste Kleinhaussiedlungen angelegt (Weberhäuser in Nürnberg 1488, Fuggerei in Augsburg 1516-23). In vielen europ. Residenzen (Paris, London, Rom) ließen sich seit Beginn des 16. Jh. die Adelsfamilien des Landes Stadtpaläste errichten, bei denen umfangreiche Raumprogramme um zur Straße hin gelegene Höfe (Paris, Hôtel de Cluny u. a.) oder um peristylartige rechteckige Innenhöfe herum (Pienza, Rom u. a.) entwickelt wurden. Etwa gleichzeitig tauchte der seit der Spätantike verschwundene Bautyp Villa als unbefestigter Landsitz zunächst in Italien wieder auf. Eine spezif. Form des städt. W. bildete sich seit dem 17. Jh. in England aus. Es war ein meist dreiachsiges, drei- bis viergeschossiges Reihenhaus, das im 18. Jh. auch zu größeren, architektonisch durchgestalteten Einheiten zusammengefügt und um halb private Grünplätze (Squares) herum, seit der Mitte des 18. Jh. auch in halbrunden und ovalen Formen als »Crescent«, angelegt wurde.Diese im 18. Jh. durch stärkere räuml. Differenzierung vervollkommneten Wohnformen und W.-Typen wurden auch im 19. Jh. beibehalten. Die in den seit 1820/30 rasch wachsenden städt. Randzonen immer häufiger vertretene bürgerl. Villa orientierte sich ebenso am adligen Gartenpalais wie die städt. Bürgerhäuser an den Stadtpalais adliger Familien, doch wurde die Innengliederung in Hinsicht auf die angestrebte Vermietbarkeit mehrerer Geschosse so umgestaltet, dass neben 1-2 Wohnungen im 1. Obergeschoss in den übrigen 5-6 Obergeschossen jeweils 3-4 entsprechend kleinere Wohnungen vorhanden waren; neu war dabei, dass seit der Mitte des 19. Jh. bei ständiger Verbesserung sanitärer und stadthygien. Einrichtungen immer stärker funktionelle Überlegungen die Grundrissbildung bestimmten. Die Fassaden wurden nach einheitl. klassizist. Beginn in Stilformen des Historismus und um 1900 in denen des Jugendstils errichtet. Gleichzeitig entstand in den rasch wachsenden Arbeitervororten und in einzelnen Gebieten der Altstädte die Mietskaserne. Profitstreben und eine blühende Bodenspekulation führten bei gleichzeitigem ungeheurem Wachstum der Ew.-Zahlen und akuter Wohnungsnot zur Anlage von Hinterhäusern. In der 2. Hälfte des 19. Jh. entstanden in fast allen europ. Ländern Arbeitersiedlungen mit unterschiedl. W.-Typen, am Jahrhundertende die Gartenstadt.Obwohl auf der Suche nach neuen Grundrisslösungen seit Anfang des 20. Jh. Versuche mit dem Zeilenbau unternommen wurden, der mit dem Standard-Wohnungstypus »Zweispänner« eine bessere Besonnung aller Wohnungen erlaubte, wurde in vielen Großstädten noch die traditionelle Form der Blockbebauung beibehalten, oft allerdings mit Unterbrechung der zusammenhängenden Blockfronten oder mit erdgeschossigen Durchgängen, um die Gartenhöfe optisch miteinander zu verbinden (Wohnviertel in Hamburg von F. Schumacher; in Wien u. a. Karl-Marx-Hof). Auf Initiative des Dt. Werkbunds entstand 1927 die Weißenhofsiedlung in Stuttgart. Ein Ausbildungsschwerpunkt des Bauhauses lag in der Planung typisierter W. vom Einfamilienhaus bis zur mehrgeschossigen Wohneinheit.
Das für Bürozwecke schon lange bewährte Hochhaus wurde mit Gemeinschaftseinrichtungen (Ladengeschoss, Restaurant, Kindergarten, Freizeiteinrichtungen) zur verdichteten Wohnform. Le Corbusier prägte den Begriff »Wohnmaschine«, um den funktionellen Grundriss einer Wohnung zu betonen. In den USA wurden industriell vorgefertigte Gebäudeteile entwickelt, die nach dem Transport montiert wurden. Ein weiterer amerikan. Beitrag war die Anwendung flexibler Grundrisse (F. L. Wright). In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden Eigentumswohnungen am Cityrand mit wirtsch. Vorteilen durch rationellere Herstellung in der Serie und anteilige Grundstückskosten. Bei alternativen Projekten des W.baus spielt das ökologische Bauen eine wesentl. Rolle; Anregungen liefert die Stuttgarter Musterhauskolonie »Expo Wohnen 2000«.
▣ Literatur:
Kleine, G.u. Quibeldey, J.:Häuser. Typologie u. Gestalt. Braunschweig u. a. 1993.
⃟ Wohn-Häuser. Beispiele u. Hintergründe, hg. v. der Architektenkammer Hessen, Redaktion: R. Toyka. Hamburg 1994.
⃟ Welsh, J.: Das moderne Haus. A. d. Engl. Berlin 1995.
⃟ Haus u. Hof in ur- u. frühgeschichtlicher Zeit, hg. v. H. Beck u. H. Steuer. Göttingen 1997.
Im 15. Jh. entstanden einerseits großartige und reiche Bürgerhäuser, in denen adlige Lebensformen nachgeahmt wurden (u. a. Nürnberg, Augsburg, Antwerpen, Florenz), auf der anderen Seite wurden auch Hinterhäuser und Keller bewohnt und in den Ganghäusern (Lübeck, Hamburg) eigens für die Ausnutzung der tiefen Grundstücke geeignete neue W.-Formen entwickelt sowie erste Kleinhaussiedlungen angelegt (Weberhäuser in Nürnberg 1488, Fuggerei in Augsburg 1516-23). In vielen europ. Residenzen (Paris, London, Rom) ließen sich seit Beginn des 16. Jh. die Adelsfamilien des Landes Stadtpaläste errichten, bei denen umfangreiche Raumprogramme um zur Straße hin gelegene Höfe (Paris, Hôtel de Cluny u. a.) oder um peristylartige rechteckige Innenhöfe herum (Pienza, Rom u. a.) entwickelt wurden. Etwa gleichzeitig tauchte der seit der Spätantike verschwundene Bautyp Villa als unbefestigter Landsitz zunächst in Italien wieder auf. Eine spezif. Form des städt. W. bildete sich seit dem 17. Jh. in England aus. Es war ein meist dreiachsiges, drei- bis viergeschossiges Reihenhaus, das im 18. Jh. auch zu größeren, architektonisch durchgestalteten Einheiten zusammengefügt und um halb private Grünplätze (Squares) herum, seit der Mitte des 18. Jh. auch in halbrunden und ovalen Formen als »Crescent«, angelegt wurde.Diese im 18. Jh. durch stärkere räuml. Differenzierung vervollkommneten Wohnformen und W.-Typen wurden auch im 19. Jh. beibehalten. Die in den seit 1820/30 rasch wachsenden städt. Randzonen immer häufiger vertretene bürgerl. Villa orientierte sich ebenso am adligen Gartenpalais wie die städt. Bürgerhäuser an den Stadtpalais adliger Familien, doch wurde die Innengliederung in Hinsicht auf die angestrebte Vermietbarkeit mehrerer Geschosse so umgestaltet, dass neben 1-2 Wohnungen im 1. Obergeschoss in den übrigen 5-6 Obergeschossen jeweils 3-4 entsprechend kleinere Wohnungen vorhanden waren; neu war dabei, dass seit der Mitte des 19. Jh. bei ständiger Verbesserung sanitärer und stadthygien. Einrichtungen immer stärker funktionelle Überlegungen die Grundrissbildung bestimmten. Die Fassaden wurden nach einheitl. klassizist. Beginn in Stilformen des Historismus und um 1900 in denen des Jugendstils errichtet. Gleichzeitig entstand in den rasch wachsenden Arbeitervororten und in einzelnen Gebieten der Altstädte die Mietskaserne. Profitstreben und eine blühende Bodenspekulation führten bei gleichzeitigem ungeheurem Wachstum der Ew.-Zahlen und akuter Wohnungsnot zur Anlage von Hinterhäusern. In der 2. Hälfte des 19. Jh. entstanden in fast allen europ. Ländern Arbeitersiedlungen mit unterschiedl. W.-Typen, am Jahrhundertende die Gartenstadt.Obwohl auf der Suche nach neuen Grundrisslösungen seit Anfang des 20. Jh. Versuche mit dem Zeilenbau unternommen wurden, der mit dem Standard-Wohnungstypus »Zweispänner« eine bessere Besonnung aller Wohnungen erlaubte, wurde in vielen Großstädten noch die traditionelle Form der Blockbebauung beibehalten, oft allerdings mit Unterbrechung der zusammenhängenden Blockfronten oder mit erdgeschossigen Durchgängen, um die Gartenhöfe optisch miteinander zu verbinden (Wohnviertel in Hamburg von F. Schumacher; in Wien u. a. Karl-Marx-Hof). Auf Initiative des Dt. Werkbunds entstand 1927 die Weißenhofsiedlung in Stuttgart. Ein Ausbildungsschwerpunkt des Bauhauses lag in der Planung typisierter W. vom Einfamilienhaus bis zur mehrgeschossigen Wohneinheit.
Das für Bürozwecke schon lange bewährte Hochhaus wurde mit Gemeinschaftseinrichtungen (Ladengeschoss, Restaurant, Kindergarten, Freizeiteinrichtungen) zur verdichteten Wohnform. Le Corbusier prägte den Begriff »Wohnmaschine«, um den funktionellen Grundriss einer Wohnung zu betonen. In den USA wurden industriell vorgefertigte Gebäudeteile entwickelt, die nach dem Transport montiert wurden. Ein weiterer amerikan. Beitrag war die Anwendung flexibler Grundrisse (F. L. Wright). In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden Eigentumswohnungen am Cityrand mit wirtsch. Vorteilen durch rationellere Herstellung in der Serie und anteilige Grundstückskosten. Bei alternativen Projekten des W.baus spielt das ökologische Bauen eine wesentl. Rolle; Anregungen liefert die Stuttgarter Musterhauskolonie »Expo Wohnen 2000«.
▣ Literatur:
Kleine, G.u. Quibeldey, J.:Häuser. Typologie u. Gestalt. Braunschweig u. a. 1993.
⃟ Wohn-Häuser. Beispiele u. Hintergründe, hg. v. der Architektenkammer Hessen, Redaktion: R. Toyka. Hamburg 1994.
⃟ Welsh, J.: Das moderne Haus. A. d. Engl. Berlin 1995.
⃟ Haus u. Hof in ur- u. frühgeschichtlicher Zeit, hg. v. H. Beck u. H. Steuer. Göttingen 1997.