Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Wissenschaft
Wissenschaft,das System des durch Forschung, Lehre und überlieferte Lit. gebildeten, geordneten und begründeten, für gesichert erachteten Wissens einer Zeit; auch die für seinen Erwerb typ. methodisch-systemat. Forschungs- und Erkenntnisarbeit sowie ihr organisatorisch-institutioneller Rahmen. - W. wurde erstmals im W.-Verständnis der klass. grch. Philosophie von Sokrates, Platon und Aristoteles im Sinne von rational begründetem Wissen begriffen. Bis ins 18. Jh. hinein wurde kaum zw. Philosophie und W., z. B. zw. Naturphilosophie und naturwiss. Physik, unterschieden. Seit dem 19. Jh. hat eine Ablösung des begründungsorientierten W.-Begriffs durch ein an method. Normen und an der Beherrschung empir. Daten orientiertes W.-Verständnis stattgefunden. - Ein einheitlich logisch zusammenhängendes System der W. gibt es nicht, trotz versch. Entwürfe zu einer Einheits-W. (v. a. Neopositivismus).
Die Einteilung der W. folgt unterschiedl. Gesichtspunkten. Dem Ziel nach sind die W. entweder theoretische (»reine«) W. oder angewandte (praktische) W., dem Gegenstand nach werden am häufigsten Natur-W. (Physik, Chemie, Biologie, Astronomie, Geologie, Medizin u. a.) und Geistes-W. (Geschichte, Philologie, Philosophie, Psychologie, Theologie, Staats- und Rechts-W., Wirtschafts-W., Kunst-W. u. a.) unterschieden, der Methode nach empir. oder Erfahrungs-W. (durch planmäßige Beobachtung, Hypothesenbildung und Experiment gekennzeichnet, v. a. Naturwiss., empir. Sozialforschung), axiomat. oder rationale W. (z. B. Mathematik, Logik) und Geistes-W. (Deutung individueller Phänomene, Bedeutungszuweisung, Sinnverstehen; Hermeneutik). Mit den Grundlagenproblemen beschäftigt sich die Wissenschaftstheorie.
Die Idee der (wert)freien W. und die Erfolge der Natur-W. v. a. seit dem 19. Jh. prägten entscheidend das moderne Weltbild und führten zu einem über weite Strecken des 19. und 20. Jh. wirksamen Fortschrittsoptimismus. In Anbetracht v. a. der ökolog. Schäden durch die wiss.-techn. Zivilisation geriet dieser jedoch in den letzten Jahrzehnten zunehmend in eine Krise; es traten Zweifel an einer Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche auf. In kontroversen Diskussionen erfolgt eine Infragestellung der zweckfreien Forschung, die Forderung einer Orientierung am gesellschaftl. Bedarf, die Betonung der Verantwortung des Wissenschaftlers gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt, die erneute Erörterung der wiss. Methoden, Aufgaben und Ziele.
Literatur:
G. Funke W. u. Wissenschaftsbegriff, Beiträge v. u. E. Scheibe. Wiesbaden 1983.
Weizsäcker, C. F. von: Die Tragweite der W. Neuausg. Stuttgart 1990.
Gräfrath, B. u. a.: Einheit, Interdisziplinarität, Komplementarität. Orientierungsprobleme der W. heute. Berlin 1991.
Markl, H.: Natur als Kulturaufgabe. Über die Beziehung des Menschen zur lebendigen Natur. Tb.-Ausg. München 1991.
Spaemann, R. u. Löw, R.: Die Frage »Wozu?« Geschichte u. Wiederentdeckung des teleolog. Denkens. München u. a. 31991.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Wissenschaft