Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Widerstandsbewegung
Widerstandsbewegung,organisierte Gegnerschaft gegen eine als tyrannisch, unrechtmäßig oder verfassungswidrig empfundene oder von einer ausländ. Macht eingesetzte Herrschaft, insbesondere die auf Erringung der freiheitl. Selbstbestimmung eines Volkes gerichtete Umsturzbewegung in totalitären Staaten. Die Teilnahme an einer W. sehen die Widerstandskämpfer unter Berufung auf das Widerstandsrecht als ethisch gerechtfertigt an, die in der Reg. stehenden Machthaber dagegen verfolgen sie als Hoch- und Landesverrat. I. e. S. wird als W. die aktive Opposition gegen die Gewaltherrschaft und die Kriegspolitik der faschist. Diktaturen in Europa zw. 1922 und 1945 bezeichnet, insbesondere gegen den italien. Faschismus und den dt. Nationalsozialismus und die mit ihnen kollaborierenden Kräfte (Antifaschismus). Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges entwickelten sich in allen von Dtl. besetzten Gebieten W. gegen die nat.-soz. Herrschaft (bes. Résistance, Resistenza, Četnici) aus sehr unterschiedl. polit., ideolog. und eth. Motiven sowie organisatorisch auf unterschiedl. Niveau; getragen von nahezu allen Bevölkerungsgruppen. - Nach der Machtübernahme Hitlers (30. 1. 1933) bildete sich in Dtl. eine organisatorisch und politisch äußerst uneinheitl. W. heraus. Die Kommunisten versuchten sich als Untergrundbewegung zu organisieren, scheiterten jedoch; vielfach wurde der Kampf vom Exil aus (v. a. Sowjetunion, Frankreich, Mexiko) fortgesetzt. Ansätze zu gemeinsamem Widerstand zeigten sich früh in Kontakten zw. Sozialdemokraten und Gewerkschaftern aller Richtungen, bes. zw. W. Leuschner und J. Kaiser (christl. Gewerkschaften). - Aus christlich-humanitären Antrieben richtete sich der Protest vieler engagierter Christen (Bekennende Kirche) gegen die totalitären Herrschaftsmethoden und Anschauungen (bes. gegen Judenfeindlichkeit und Euthanasieprogramm) des Nationalsozialismus (M. Niemöller u. a.). Häufig traten polit. Motivationen hinzu (D. Bonhoeffer, A. Delp). Die politisch vielfältig gegliederte bürgerlich-liberale und nat.-konservative Opposition (U. von Hassel u. a.) fühlte sich den Werten der dt. und preuß. Tradition verpflichtet und suchte daher der nat.-soz. Gewaltpolitik entgegenzuwirken. Ebenso wie General L. Beck wurde C. F. Goerdeler zu einer entscheidenden Integrationsfigur der dt. W. Neben Offizieren (u. a. E. von Witzleben) fanden auch ehem. Sympathisanten und Beamte des Regimes zur W.; manche Schriftsteller und Künstler wählten den Weg der »inneren Emigration«, viele gingen ins Exil (Exilliteratur). U. a. im Ruhrgebiet wurde ein v. a. von Jugendlichen getragener Widerstand bedeutsam (so genannte Edelweißpiraten). - Die durch Hitlers aggressive Außenpolitik entfachte Kriegsgefahr in Europa verstärkte die Bedeutung der Wehrmacht als Faktor des Widerstands. Doch das für Hitler erfolgreiche Münchener Abkommen ließ alle Staatsstreichpläne scheitern. Auch die militär. Erfolge der dt. Wehrmacht nach Kriegsausbruch lähmten zunächst jeden ernsthaften Widerstand. Ein von dem Tischler J. G. Elser am 8. 11. 1939 ausgeführtes Sprengstoffattentat auf Hitler schlug fehl. Bis 1942 war die Rote Kapelle aktiv. Der militär. Niedergang seit Ende 1942 (Schlacht um Stalingrad 1942/43), Nachrichten über nat.-soz. Verbrechen in den besetzten Gebieten, bes. an Juden, gaben der Opposition neuen Auftrieb. Im Kreisauer Kreis H. J. von Moltkes vereinten sich Widerstandskämpfer versch. Richtungen; Münchener Studenten schlossen sich in der Weißen Rose zusammen. Angehörige des Auswärtigen Amtes und Persönlichkeiten mit Auslandsbeziehungen bemühten sich bes. bei den westl. Alliierten um günstige Friedensbedingungen für Dtl. im Falle eines anti-nat.-soz. Umsturzes, fanden jedoch wenig Resonanz. Das Zusammenwirken des konservativen und liberalen Kreises um Goerdeler, zu dem auch die Sozialdemokraten J. Leber und J. Reichwein gestoßen waren, mit der militär. Opposition (F. Olbricht, H. von Tresckow, G. von Kluge, C. Schenk Graf von Stauffenberg) verdichtete sich seit 1943 zu einem Putsch- und Attentatsplan gegen Hitler (Zwanzigster Juli). - In versch. Weise waren Überlebende der W. führend am polit. Neubeginn nach 1945 beteiligt.
Literatur:
Venohr, W.: Patrioten gegen Hitler. Der Weg zum 20. Juli 1944. Bergisch-Gladbach 1993.
Lexikon des deutschen Widerstandes, hg. v. W. Benz u. W. H. Pehle. Frankfurt am Main 21994.
Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, hg. v. J. Schmädeke u. P. Steinbach. Neuausg. München 1994.
Widerstand im Dritten Reich, hg. v. H. Graml. Neuausg. Frankfurt am Main 9.-10. Tsd. 1995.
Widerstand in Deutschland 1933-1945. Ein historisches Lesebuch, hg. v. P. Steinbach u. J. Tuchel. München 21997.
Roon, G. van: Widerstand im Dritten Reich. Ein Überblick. A. d. Niederländ. München 71998.
Lexikon des Widerstandes 1933-1945, hg. v. P. Steinbach u. J. Tuchel. München 21998.
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