Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Widerstand
Widerstand,1) Elektrizitätslehre: (elektrischer W.), Quotient aus der an einem Leiter liegenden elektr. Spannung U und der elektr. Stromstärke I ; Zeichen R, SI-Einheit: Ohm (Ω). Der elektr. W. eines Drahtes R = ρl/A wächst mit der Länge l und ist umgekehrt proportional zum Querschnitt A ; der spezif. Widerstand ρ (SI-Einheit: Ω · m) ist bei konstanter Temperatur eine Materialkonstante. In Gleichstromkreisen ist nur der ohmsche W. (Wirk-W.) wirksam; in Wechselstromkreisen treten außer dem Wirk-W. noch Blind-W. auf, die keine Leistung verbrauchen, an denen aber Spannung abfällt. Der Kehrwert des W. ist der elektr. Leitwert, bei Wechselströmen unterscheidet man zw. Wirk-, Blind- und Scheinleitwert. - In einem Stromkreis unterscheidet man zw. dem äußeren (Belastungs-)W. und dem inneren W. der Spannungsquelle; wegen des an der Spannungsquelle auftretenden Spannungsabfalles ist bei Stromentnahme die Klemmenspannung stets niedriger als die Urspannung.
2) Elektrotechnik: Bauelement, das dem elektr. Strom einen W., i. e. S. Wirk-W. bzw. ohmschen W. bei Gleichstrom, entgegensetzt. Kennwerte sind W.-Wert (in Ohm) und zulässige Belastbarkeit (in Watt). Mit W. können z. B. Spannungen herabgesetzt sowie Ströme eingestellt oder begrenzt werden. Unterschieden werden nach ihrem Aufbau Draht- und Schicht-W.; nach der Veränderbarkeit Fest-W. und Stell-W. (z. B. Schiebe-W., Kurbel-W., Stöpsel-W.); nach Einsatz z. B. Potentiometer, Einstellregler; nach Schaltung im Stromkreis Vor- und Parallel-W. Der Vor-W. (Vorschalt-W.) dient zur Spannungsminderung (z. B. Messbereichserweiterung von Voltmetern) oder zur Strombegrenzung bei Verbrauchern mit fallender Stromspannungs-Kennlinie (Lichtbogen, Gasentladungen u. a.). Im Wechselstromkreis wird für diese Zwecke der ohmsche W. durch einen induktiven oder kapazitiven W. ersetzt, um Wärmeverluste zu vermeiden. Der Parallel-W. wird dem Verbraucher parallel geschaltet, um einen Teil des Stromes zu übernehmen (z. B. Messbereichserweiterung von Amperemetern). Zur Kennzeichnung des W.-Wertes und der Toleranz bei Schicht-W. werden meist Farbringe auf den Bauelementeträger aufgebracht.
3) Mechanik: der Bewegung eines Körpers bzw. physikal. Systems entgegengerichtete Kraft, z. B. der Reibungs- und der Luftwiderstand.
4) Politik: (definitorisch) unscharfer Begriff für die vielfältigen Formen gesellschaftl. Verweigerung aus geistiger und moral. Entscheidung bzw. polit., demokrat. oder revolutionärer Grundüberzeugung u. Ä.; reicht von Renitenz, sozialem und polit. Dissens sowie Massenprotest bis hin zur fundamentalen (und häufig illegalen) Gegnerschaft von Gruppen oder einzelnen Personen (oft unter Berufung auf die Gewissensfreiheit) gegen autoritäre, undemokrat. oder wegen ihres repressiven Führungsstils abgelehnte Inhaber der Staatsgewalt (z. B. Verschwörungen, Attentate) oder der Führung einer Organisation bzw. Partei (z. B. polit. Sektierertum); schließt auch Handlungen gegen gesellschaftl. Wandlungs- bzw. Modernisierungsprozesse (z. B. der industriellen Revolution), gegen polit. Unterdrückung und Verfolgung (z. B. der Sozialdemokratie in Dtl. nach dem »Sozialistengesetz« 1878-90, der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt) u. Ä. ein; deshalb i. e. S. Bez. für das aktive Sichwidersetzen gegen alle Versuche sozialer und gesellschaftl. Disziplinierung, gegen die Zwänge (geschlossener) polit. Systeme, für jedes von den herrschenden polit.-ideolog. Normen abweichendes und persönl. Risiko in Kauf nehmendes Verhalten; in totalitären Diktaturen oft nur schwer zu unterscheiden von polit. Opposition. Auch in Demokratien kann sich aus Zivilcourage, pazifist. und ökolog. Überzeugungen, ideolog. Gegnerschaft und ähnl. Motiven W. entwickeln, haüfig als Bürgerprotest in Bürgerinitiaven (z. B. gegen den Bau der Startbahn West des Frankfurter Flughafens), aber auch in Untergrundbewegungen bis hin zum Terrorismus (z. B. der RAF in Dtl.), und mitunter strafrechtlich relevant werden (Widerstand gegen die Staatsgewalt).
Polit. W. organisiert sich unter Berufung auf das Widerstandsrecht häufig als (konspirative) Widerstandsbewegung, kann sich aber auch in Friedensbewegungen (wie der W. gegen den NATO-Doppelbeschluss 1980-83) u. Ä. äußern. - Aktiver W. zielt auf den gewaltsamen Sturz des Regimes; passiver W. setzt zivilen Ungehorsam, Demonstrationen, polit. Streiks ein. Eine besondere Form des W. ist der gewaltfreie Widerstand. Im kommunist. Machtbereich nach 1945 artikulierte sich organisierter polit. W. gegen die jeweilige Partei- und Staatsführung und ihren angemaßten Herrschaftsanspruch zumeist in Demokratiebewegungen (bes. nach 1975 als Bürgerbewegung).
Begriffsgeschichte: Inhalt und Umfang des Begriffs W., in seiner heutigen Verwendung, wurde v. a. von Forschungen zur NS-Zeit geprägt (u. a. P. Steinbach). Die zeithistor. und politolog. Forschung (empir. Diktaturvergleich) sieht inzwischen Parallelen im W. gegen Nationalsozialismus und Kommunismus; so sind Untersuchungen zum W. im kommunist. Machtbereich auch unter Rückgriff auf die bezüglich der NS-Zeit entwickelte Definition von W. erfolgt. Spezielle Hinterfragung erfuhr der Begriff aber u. a. auch durch die (v. a. frühneuzeitl.) Alltags- und Volkskulturforschung zu Ausdrucksformen sozialen Protests (Bauern-W., z. B. im Dt. Bauernkrieg 1524/26), die Mentalitätsgeschichte und Histor. Anthropologie.
Widerständiges polit. Verhalten und polit. Widerspruch (Dissens, Dissidenz) weist bes. in totalitären Diktaturen ein großes Spektrum auf. Es kann - nach Steinbach, H. Knabe, R. Eckert, E. Jesse u. a. - die relativ risikolose, private und passiv-partielle Resistenz ebenso umfassen wie (in steigernder Folge) partielle Kritik, sozialen Protest, passiven W. und Dissidenz sowie polit. Protest. Höchste Form des W. ist in dieser Skala der risikointensive (organisierte und aktive) polit. W., der - im globalen und öffentl. Ausmaß - polit. Aktionen, Sabotageakte usw. bis hin zum Aufstand, z. B. Siebzehnter Juni 1953 in der DDR, umfassen kann. In der Forschung werden v. a. die explizit polit. Motive und Zielsetzungen der Akteure, eine gewisse zeitl. und organisator. Konzistenz, aber auch das Risikomaß des nonkonformen Handelns sowie die tatsächl. Bedrohung des Systems als entscheidende Kriterien für die Zurechnung zum polit. W. genannt. Seine jeweiligen Ausdrucksformen und Ziele sind sowohl von den Zeitumständen und äußeren polit. Rahmenbedingungen, der gesellschaftl. Position der Akteure als auch von den gesellschaftl. Reaktionen und Entwicklungen abhängig.
Literatur:
Gössner, R.: W. gegen die Staatsgewalt. Handbuch zur Verteidigung der Bürgerrechte. Hamburg 1988.
König K.: Widerstandsanalyse. Göttingen 1995.
Holzkamp, K.: Schriften, Bd. 1: Normierung, Ausgrenzung, W. Hamburg 1997.
Mergner, G.: Dominanz, Gewalt u. W. Fragmente u. Brüche europäischer Mentalitätsgeschichte. Berlin 1998.
Devianz, W. u. Herrschaftspraxis in der Vormoderne, hg. v. M. Häberlein. Konstanz 1999.
5) Psychoanalyse: die Abwehr des Patienten gegen das Bewusstmachen verdrängter Bedürfnisse des Es oder Schuldgefühle des Über-Ich; ihre Analyse ist ein Kernstück der Tiefenpsychologie. In der Psychotherapie zeigt sich der W. in der unbewussten Gegenwehr gegen die Verbesserung der eigenen Lage, die sich aus dem sekundären Krankheitsgewinn wie auch aus Sicherheitsgründen und Angstabwehr entwickelt.
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