Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Weimarer Klassik
Weimarer Klạssik, Bez. für das geistige, v. a. literar. Leben im Weimar des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jh., i. e. S. für das Schaffen Goethes und Schillers ab 1786-88 (Goethes Italienreise) und insbesondere während ihres Freundschaftsbundes von 1794 bis zu Schillers Tod (1805). Den Ausgangspunkt bildete der von Herzogin Anna Amalia begründete und von ihrem Sohn Karl August fortgeführte »Weimarer Musenhof«, zu dem - neben Goethe und Schiller - u. a. C. M. Wieland, J. G. Herder, J. K. A. Musäus, Charlotte von Stein, die Schauspielerin Corona Schröter, zeitweilig auch W. von Humboldt, F. Hölderlin, Jean Paul und H. von Kleist gehörten. Wichtige Medien der W. K. waren, neben dem von Goethe 1791 gegründeten und bis 1817 geleiteten Hoftheater, Schillers Zeitschriften »Die Horen« (1795-97) und »Musenalmanach« (1796-1800), Goethes »Propyläen« (1798-1800) und die 1804 auf seine Anregung ins Leben gerufene Jenaische »Allgemeine Literatur-Zeitung«. Obwohl keine eigene Periode der dt. Literaturgeschichte, entwickelte die W. K. in zeitl. Parallelität und produktiver Auseinandersetzung mit den geschichtl. Ereignissen, der idealist. Philosophie (I. Kant, J. G. Fichte, F. Schelling, wenig später G. W. F. Hegel), dem spätaufklärer. und revolutionär-demokrat. Schrifttum sowie der dt. Frühromantik eine eigenständige Welt- und Kunstanschauung, die sie zu einem Höhepunkt der dt. Nationalliteratur werden ließ (bereits 1839/40 von H. Laube in der »Geschichte der deutschen Literatur« mit dem Prädikat »klassisch« ausgezeichnet). Ihr Programm war in der Ankündigung der »Horen« formuliert: Die Literatur sollte dazu dienen, das, »was rein menschlich und über allen Einfluß der Zeit erhaben ist, ... wieder in Freiheit zu setzen und die politisch geteilte Welt unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit wieder zu vereinigen«.
Unmittelbare ästhet. und geschichtsphilosoph. Vorleistungen kamen v. a. von J. J. Winckelmann (»Gedanken über die Nachahmung der griech. Werke in der Malerei und Bildhauerkunst«, 1755; »Geschichte der Kunst des Altertums«, 1764) und J. G. Herder (»Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit«, 1784-91; »Briefe zu Beförderung der Humanität«, 1793-97); für beide bestand das ideale Ziel der Geschichte in einer allgemeinen Erlangung der Humanität und der Gestaltung einer tätig-harmonischen menschl. Gemeinschaft. Auf Schiller wirkte v. a. Kants Idee von der erzieher. Rolle des Ästhetischen.
Der Reichtum der von Goethe und Schiller verfassten Werke, die zur W. K. im engeren Sinne gehören, erstreckt sich auf nahezu alle poet. Gattungen. Vorbereitet in Goethes Dramen »Iphigenie auf Tauris« (1787) und »Torquato Tasso« (1790), in den »Römischen Elegien« (entstanden 1788-90), auch in seiner Schrift »Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil« (1789) sowie in Schillers großen Gedichten (»Die Götter Griechenlands«, 1788; »Die Künstler«, 1789) und der Rezension »Über Bürgers Gedichte« (1791), erschienen die »klass.« Werke in rascher Folge: von Goethe »Reineke Fuchs« (1794), »Hermann und Dorothea« (1797), »Wilhelm Meisters Lehrjahre« (1796), von Schiller »Wallenstein« (UA 1798/99), »Maria Stuart« (UA. 1800), »Die Jungfrau von Orleans« (1801), »Die Braut von Messina« (1803) und »Wilhelm Tell« (1804); in den »Horen« bedeutende zeitkrit. Abhandlungen: von Schiller »Über die ästhet. Erziehung des Menschen« (entstanden 1793) und »Über naive und sentimental. Dichtung« (1795/96), von Goethe »Literar. Sansculottismus« (1795). Das lebendigste Zeugnis der W. K. ist »Der Briefwechsel zw. Schiller und Goethe in den Jahren 1794 bis 1805«, den Goethe 1828/29 veröffentlichte.
Literatur:
Borchmeyer, D.: Die W. K. Portrait einer Epoche. Neuausg. Weinheim 21998.
Busch-Salmen, G. u. a.: Der Weimarer Musenhof. Stuttgart 1998.
Biedrzynski, E.: Goethes Weimar. Das Lexikon der Personen u. Schauplätze. Zürich 41999.
Oellers, N. u. Steegers, R.: Treffpunkt Weimar. Literatur u. Leben zur Zeit Goethes. Stuttgart 1999.
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