Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Wechselwirkung
Wechselwirkung, 1) Philosophie: die wechselseitige Wirkung von Dingen aufeinander. Nach I. Kant ist W. als eine Kategorie der Relation ein für die Erfahrung grundlegender Begriff, der die Einheit der Sinnenwelt begründet.
2) Physik: die gleichzeitige, gegenseitige Einwirkung zweier physikal. Systeme, gekennzeichnet durch Austausch von Energie und evtl. andere physikal. Größen. Die W. wird in der nichtrelativist. Mechanik durch die entgegengesetzt gleichen Kräfte (actio = reactio) der Systeme aufeinander beschrieben, die augenblicklich über beliebige Entfernungen wirken; nach der relativist. Physik wird die W. lokal in jedem Raum-Zeit-Punkt durch reale Felder vermittelt. Alle in der Natur vorkommenden Kräfte lassen sich nach dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik auf vier fundamentale W. (Kopplungen) zw. den Grundbausteinen der Materie, den Leptonen und den Quarks (Elementarteilchen), zurückführen, die mithilfe von Feldern beschrieben und durch den Austausch von Teilchen (Feldquanten, W.-Quanten) vermittelt werden. Ursache der Verschiedenartigkeit dieser Kräfte sind ihre unterschiedl. Reichweite (dieser Unterschied wird bei kleineren Abständen bzw. höheren Energien immer unbedeutender) sowie die der Theorie zugrunde liegende innere Symmetriegruppe, die die Zahl der ausgetauschten Teilchen und die Art der W. festlegt.
Die in (sub-)nuklearen Bereichen wirksame starke W. (einschl. der Kernkräfte) ist sehr kurzreichweitig (≤ 10—13 cm) und die stärkste der vier W. Träger dieser W., der die Hadronen unterliegen und die insbesondere den Aufbau der Hadronen aus Quarks bewirkt, sind die Gluonen. Zweitstärkste W. ist die durch Photonen vermittelte elektromagnet. W. unendlich großer Reichweite. Ihr unterliegen das Photon sowie alle geladenen und solche ungeladenen Elementarteilchen, die ein magnet. Moment oder elektr. und/oder magnet. Multipolmomente höherer Ordnung aufweisen. Der Aufbau der Atome aus Elektronen und Atomkernen beruht auf der elektromagnet. W., die auch bestimmend für die chem. Verbindungen ist. Die zw. allen Elementarteilchen mit Ausnahme des Photons wirksame sehr kurzreichweitige (rd. 10—16 cm) schwache W. wird durch die intermediären Bosonen W+, W und Z0 vermittelt. Sie bewirkt z. B. den Betazerfall instabiler Atomkerne und die Kräfte, die Neutrinos auf Quarks ausüben. Schwächste Kraft ist die Gravitations-W. (Gravitation) unendl. Reichweite, die zw. allen Elementarteilchen wirkt und v. a. in makroskop. (astronom.) Systemen von Bedeutung ist; ihr Feldquant ist das (hypothet.) Graviton. Die Stärken der W., die durch energieabhängige Kopplungskonstanten charakterisiert werden, verhalten sich in der Reihenfolge starke, elektromagnet., schwache W. und Gravitation etwa wie 1 : 1/137 : 10—14 : 10—39.Nachdem es gelungen ist, innerhalb des Standardmodells die schwache und die elektromagnet. W. bei Energien über rd. 100 GeV zur elektroschwachen W. zusammenzufassen und diese sowie die starke W. durch strukturell der Quantenelektrodynamik ähnl. Theorien (Weinberg-Salam-Theorie, Quantenchromodynamik) zu beschreiben, liegt die Zusammenfassung zu einer einheitl. Theorie nahe. Für diese Große Vereinheitlichte Theorie wurden versch. Ansätze mit Modellen von Eichfeldtheorien gemacht (z. B. die Georgi-Glashow-Theorie), um die starke und elektroschwache W. in einer durch eine einzige (kompakte) Symmetriegruppe charakterisierten W. zu vereinigen; die ausgetauschten Teilchen treten als Feldquanten von Eichfeldern (Eichbosonen) auf. Die Vereinigung der starken mit der elektroschwachen W. erfordert die Einführung einer neuen superschwachen W., die wahrscheinlich noch 1028-mal schwächer als die normale schwache W. ist und durch die Quarks (Teilchen mit Farbladung) in Leptonen (Teilchen ohne Farbladung) bzw. umgekehrt ineinander umgewandelt werden können, was auch einen Zerfall des Protons bewirkt. Eine Vereinigung der Gravitations- mit den drei anderen W. wird für Energien oberhalb 1019 GeV erwartet, bei denen die Gravitationskräfte zw. Elementarteilchen stärker als die starke und die elektroschwache Kraft werden (Supergravitation). Derartig hohe Energien waren in der Frühphase der Entwicklung des Kosmos von Bedeutung (Urknall).
Literatur:
Bethge, K.u. Schröder, U. E.: Elementarteilchen u. ihre W. Darmstadt 21991.
Nachtmann, O.: Phänomene u. Konzepte der Elementarteilchenphysik. Neuausg. Braunschweig 1992.
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