Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Voltaire
Voltaire[vɔl'tɛ:r], eigtl. François-Marie Arouet, frz. Schriftsteller und Philosoph, * Paris 21. 11. 1694, ✝ ebd. 30. 5. 1778; studierte nach humanist. Ausbildung im Jesuitenkolleg Louis-le-Grand Jura; wegen krit. Äußerungen gegen den Hof 1716 verbannt; 1717 wegen einer ihm zugeschriebenen Satire elf Monate in der Bastille. Ersten großen Erfolg errang er mit der Tragödie »Oedipus« (1719), europ. Ruhm erreichte er mit dem Epos über Heinrich IV. »Die Henriade« (1723). 1726 wurde er wegen einer persönl. Auseinandersetzung mit dem Chevalier de Rohan aus Paris verbannt und ging nach Großbritannien (bis 1729), wo er sich intensiv mit der engl. Philosophie (v. a. J. Locke), dem polit. System und dem öffentl. Leben beschäftigte. Literar. Ergebnis waren die »Philosoph. Briefe«, deren (anonyme) Veröffentlichung in Frankreich 1734 ihm einen Haftbefehl einbrachte, da die Schrift erstmals die Vorstellungen der Aufklärung über Gewissensfreiheit, religiöse Toleranz und polit. Gleichheit zusammenfasste. V. floh nach Lothringen, wo er bis 1744 auf Schloss Cirey bei der Marquise Du Châtelet-Lomont lebte und arbeitete (u. a. »Éléments de la philosophie de Newton«, 1738; »Das Zeitalter Ludwigs XIV.«, 1751). Später arrangierte er sich vorübergehend mit dem Hof (1745 Ernennung zum Hofhistoriographen, 1746 Mitgl. der Académie française), folgte aber 1750 der Einladung Friedrichs d. Gr. nach Potsdam, das er 1753 wieder verließ. Er kaufte das Gut Ferney an der frz.-schweizer. Grenze, wo er sich 1758 endgültig niederließ. Von hier aus korrespondierte er mit fast allen bedeutenden Persönlichkeiten Europas, v. a. aber griff er mit seinen Schriften in das polit. und gesellschaftl. Leben Frankreichs ein und erreichte die Rehabilitierung von Opfern der absolutist. Justiz. Auch an der »Encyclopédie« Diderots und D'Alemberts arbeitete er mit, wobei er in seinen Lexikonartikeln v. a. gegen Aberglauben und Fanatismus zu Felde zog (deren unheilvolle Folgen er in der kath. Kirche repräsentiert sah, die sich der weltl. Macht zur Durchsetzung ihrer Interessen bediene). Seine Religionskritik ist neben seinen polit. Aktivitäten Teil seines Kampfes gegen Ungerechtigkeit und Unvernunft. Sein »Philosoph. Wörterbuch« (1764) bot eine Zusammenfassung seines antikirchl. Denkens. Im Febr. 1778 kehrte er für die Uraufführung seiner Tragödie »Irène« nach Paris zurück; er starb kurz nach dem triumphalen Erfolg.V.s umfangreiches Werk umfasst alle von der frz. Aufklärung gepflegten Gattungen. Die Tragödien verbinden klassizistisch strenge Form mit aufklärer. Inhalt: »Zaire« (1732), »Mahomet« (1742, dt. von Goethe, 1802). Zu den lebendigsten literar. Zeugnissen des 18. Jh. gehören die »kleinen Romane«, bes. der Roman »Candide oder der Optimismus« (1759), wo er die leibnizsche These von »dieser Welt als der besten aller möglichen« ironisch umkehrt, außerdem »Zadig« (1747) und »Das Naturkind« (1767). Neben V.s praktisch-polit. Philosophie ist sein histor. Werk (»Die Zeiten Ludwigs XIV.«, 1751; »Geschichte des russ. Reiches unter der Regierung Peters d. Gr.«, 1759-63) von besonderer Bedeutung als Beispiel einer im Wesentlichen krit. Methode und als wegweisend für die moderne säkularisierte Geschichtsschreibung. Die Weltgeschichte deutet V. als eine aus immanentem Entwicklungsgesetz heraus fortschreitende Vervollkommnung der Vernunft. - Mit V. wurde der Schriftsteller zur öffentl. Macht. Seine herausragende Stellung im geistigen Leben Europas gab dem 18. Jh. den Namen »das Jahrhundert Voltaires«.
Literatur:
Holmsten, G.: V. Reinbek 111994.
Lepape, P.: V. oder die Geburt der Intellektuellen im Zeitalter der Aufklärung. Aus dem Frz. Frankfurt am Main u. a. 1996.
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